♪♫♪ ...music makes the people come together... ♪♫♪

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Mittwoch, 3. Oktober 2012

DISKOGRAFIE: BJÖRK

Ursprünglich der Alternative-Band Sugarcubes entsprungen, machte sich Björk seit 1993 daran, mit ihrer Musik die Popwelt zu spalten: Die einen lieben sie, die anderen hassen sie. Mit welch einer ungebrochenen Konstanz sie sich nicht nur musikalisch, sondern auch optisch stets abstrakt und exzentrisch darstellt, ist in der (jüngeren) Musikgeschichte so nur selten anzutreffen. Und ob sie nun zukunftsweisend, minimalistisch, experimentell oder poppig klang: es war immer große Kunst. Und deshalb widme ich mich nun endlich ihrer Diskografie!




"DEBUT" (1993)

 Um die Bedeutung und Wichtigkeit von "Debut" ganz zu verstehen, muss man die Zeit verstehen, in der es erschien. In den frühen 90er Jahren zog sich eine Dance-Welle über den halben Globus, Techno entwickelte sich zum Flächenbrand, und der House eroberte langsam aber sicher die Clubs. Dies war die Zeit, in der das Debüt der Dame aus Island entstand - und durchaus seine Spuren hinterließ. Obwohl der Titel hier eher irreführend ist. Ihr eigentliches Solodebüt erschien schon 1977, im Alter von 12 Jahren, unter dem Titel "Björk". Und doch kann man durchaus "Debut" als ihr eigentliches Debüt betrachten, hatte das einstige (durchweg isländisch gesungene) Album doch herzlich wenig mit dem gemein, was hier zu hören war. Einen wirklichen roten Faden kann man hier zwar nur schwer erkennen, aber dieser erste Solo-Versuch im Erwachsenenalter zeigte ein paar erstaunliche, spinnerte und geniale Ansätze, die einst bei manchen Jubelschreie und bei anderen Stirnrunzeln zur Folge hatte. Irgendwo findet sich hier aber immer ein Song, der jeden kriegt. "Human Behaviour" (♪♫♪) ist und bleibt ein großartiges Stück Pop mit hohem Weirdness-Faktor; "Venus As A Boy" (♪♫♪) präsentiert sich als nachdenklicher Pop mit Streichern und softelektronischer Untermalung; das zum Teil auf einer Toilette aufgenommene "There Is More To Life Than This" (♪♫♪) kommt mit einem flotten Dance-Groove daher; beim housigen Kracher "Big Time Sensuality" (♪♫♪) konnte selbst der größte Kritiker nicht die Füße still halten, und "Play Dead" (♪♫♪) zeigt sie von einer düsteren, aber sehr wohl melodischen und einnehmenden Seite. Der Gesamteindruck des Albums ist aufgrund seiner stilistisch sehr unterschiedlichen Ausrichtungen vielleicht ein wenig schwammig - aber der Wichtigkeit im Pop der frühen 90er und in der künstlerischen Entwicklung Björk's, tut dies keinen Abbruch. Ein gelungener Einstand, an dem der Zahn der Zeit in Björks Backkatalog allerdings am meisten genagt hat.

 






"POST" (1995)

 Das zweite Album von Björk (fortan werde ich ihr 1977er Kindheits-Debüt "Björk" der Einfachheit halber nicht mehr mit zählen) sollte ein kleiner Quantensprung werden, im Vergleich zu ihrem Erstlingswerk. Auf der einen Seite wurden die Songs noch deutlicher greifbar, und der rote Faden noch erkennbarer, aber auf der anderen Seite wurden auch ihre Experimente noch ausgeprägter. Stilistisch tanzt sie auch hier wieder auf den verschiedensten Hochzeiten, was im Großen und Ganzen aber sogar noch besser miteinander harmonieren sollte, als das beim vorangegangenen Versuch der Fall war. Da hätten wir etwa den grandiosen und genial abgefahrenen Elektropop-Bastard "Army Of Me" (♪♫♪), der sich auf Anhieb in die Hirnwindungen fräst. "Hyper-Ballad" (♪♫♪) macht als fabelhafte und melancholisch-elektronisch schwebende Perle eine hervorragende Figur; "It's Oh So Quiet" (♪♫♪) zeigt sich als tadelloser und mitreißend stimmungsvoller Big-Band-Kracher; "Enjoy" (♪♫♪) empfiehlt sich als düster dräuender Elektropop mit Tiefenwirkung; "Possibly Maybe" (♪♫♪) kommt ganz zerbrechlich und nachdenklich daher geschwebt, und "I Miss You" (♪♫♪) entwickelt sich zur schicken, von zeitweilig tribalen Beats und fiebrigen Bläsern unterstützten Dance-Perle. Zwar hatte sie auf "Post" noch immer nicht ganz zu ihrer künstlerischen Perfektion gefunden, aber der Grundstein für folgende Großtaten war gelegt. Ein äußerst gelungenes Album, das dem Zahn der Zeit diesmal deutlich besser widerstehen konnte. 









"TELEGRAM" (1996) 

Eines sei Neulingen gleich vorweg gesagt: Nein, "Telegram" ist kein offizielles Studioalbum der isländischen Sängerin. Es war ihr erstes Remix-Album. Hier sammelte sie Remixe zu fast allen Songs ihres vorangegangenen Albums "Post", zusammengestellt mit dem Hintergedanken "fuck what people think". Bearbeitet von diversen Remixern entstand hier eine Platte, welche die bekannten Originale vermehrt nackter und minimalistischer präsentierte - wie dies etwa bei "Possibly Maybe", welches auf atmosphärischer Elektronik daher geistert, sowie dem nun nur noch von leidenschaftlichen Streichern umschwärmten "Hyperballad" zu hören ist. "I Miss You" wird mit relaxten oldschool-HipHop-Klängen entschleunigt, was sogar einen Rappart des britischen MC's Rodney P einschließt. "You've Been Flirting Again" erinnert in seiner hypnotisch elektronischen Färbung an spätere Großtaten der "Vepsertine"-Phase, ehe es von nahezu romantischen Streichern erobert wird. "Cover Me"  wird hier auf das dreifache seiner ursprünglichen Länge gestreckt, und zusätzlich mit Elektro-Elementen und stampfenden Beats angereichert. Und von "Army of Me" bleibt in seiner hier zu hörenden Fassung fast gar nichts mehr übrig, was noch an das Original erinnern würde - selbst der Gesang ist fast vollständig verschwunden. Zudem gab es hier den herrlichen "neuen" Song "My Spine"(♪♫♪) zu hören, der ursptünglich für "Post" gedacht war, doch zugunsten von "Enjoy" von dem Album entfernt wurde. Im Ganzen ist "Telegram" eine sehr interessante Angelegenheit - aber der Griff zu Original-Album "Post" ist dann doch weitaus verlockender.









"HOMOGENIC" (1997)

 Das dritte Album von Björk sollte einen Wendepunkt in ihrem künstlerischen Schaffen darstellen. "Homogenic" wurde ihr erstes vollwertiges Meisterwerk, das den weiteren Verlauf ihrer Karriere maßgeblich prägen und beeinflussen sollte. Beinah ausnahmslos hervorragende Songs und futuristisch-elektronische Klänge, vereinten sich im Jahr 1997 hier zu einem der herausragendsten (Elektro-)Pop-Alben der 90er Jahre - das so manchem vor Staunen die Kinnlade herunter krachen ließ. Noch nie zuvor klang ein Album von Björk so schlüssig, gradlinig und experimentell zugleich. Und zum ersten mal konnte man so etwas wie einen deutlichen roten Faden erkennen, der sich durch das gesamte Album zieht - ohne dabei aber auch nur ansatzweise dem Gleichklang zu erliegen. Zwar kommen auch hier, ähnlich wie bei den beiden Vorgängern, die unterschiedlichsten Zutaten zusammen, aber Björk hatte sich zu einer hörbar gereiften Künstlerin gewandelt, die ihre Kräfte besser zu bündeln verstand. Zum Einstieg fesselt einen bereits "Hunter" (♪♫♪), ein düster getragenes und meisterhaftes Stück Elektropop, das von minimalistisch puckernden Beats, Marschtrommeln und Björk's zwischen sanft bis leidenschaftlich oszillierender  Stimme zusammengehalten wird. Großartig geht es dann auch sofort mit "Jóga" (♪♫♪) weiter, auf dem sich elegische Streicher, emotionale Vocals und futuristisch ungerade Elektrobeats, die klingen, als hätte man das Knacken und Splittern des Polareises in digitale Klänge gebannt, zu einem wahrhaften Meisterstück vereinen. "Bachelorette" (♪♫♪), das Herzstück der Platte, manifestiert sich mit dramatischem Gesang, schwelenden James-Bond-Streichern und experimentellen Beats, zur weit in den Himmel empor ragenden Pop-Kathedrale. Mit krachend-verzerrten Beats und minimalistischen Synthieklängen gibt sie "5 Years" (♪♫♪) zum besten, "Pluto" (♪♫♪) jagt einem als verstörendes Acid-Elektro-Rumpelstilzchen einen wohligen Schauer über den Rücken, und das grandiose "All Is Full Of Love" (♪♫♪) gibt sich als nahezu perfekte Hymne die Ehre.
"Homogenic" wurde schon zur Zeit seines Erscheinens von Kritikern vollkommen zurecht umjubelt, und ist wohl bis heute eines ihrer mit Abstand besten und überzeugendsten Werke, dem die Zeit rein gar nichts anhaben konnte. Ein Meilenstein im Elektro-Pop - und nicht weniger!









"SELMASONGS" (2000)

Im Grunde genommen ist "SelmaSongs", dass im Jahr 2000 erschien, kein reguläres Studioalbum von Björk. Die hier vertretenen 7 Songs bilden den Soundtrack zum düsteren Independent-Musical-Film "Dancer In The Dark" von Lars von Trier, in dem Björk zudem auch die Hauptrolle spielte. Ein dunkelgraues und aufwühlendes Drama, in dem Björk eine aufgrund einer Erbkrankheit fast blinde Frau mimt, die täglich hart in einer Fabrik arbeitet, um ihrem Sohn eine Operation zu ermöglichen, die ihm ihr eigenes Schicksal ersparen soll. Als sie heraus findet, dass ihr ein Freund das ersparte Geld gestohlen hat, erschlägt sie ihn im Affekt - und wird zum Tode durch den Strang verurteilt. Keine leichte Kost also - was man den von Björk vorgetragenen Songs (welche sie im Film in ihren zahlreichen Tagträumen singt) zum Glück nicht anhört. Passend zu seiner Funktion als Soundtrack, ist auf "SelmaSongs" vermehrt Orchester zu hören - dem Björk allerdings immer wieder elektronische Beats und Soundspielereien entgegensetzt. Das großartige "Cvalda" (♪♫♪), dass im Duett mit Catherine Deneuve entstand, beginnt mit Sounds aus Bohrern, Hammerschlägen und Geräuschen diverser Fabrikmaschinen, die bald einen ganz eigenen Groove bilden, ehe sich im weiteren Verlauf Glockenspiel, Streicher und Bläser hinzu gesellen. Unterlegt von Geräuschen einer Lokomotive, gibt sie dann zusammen mit Radiohead-Sänger Thom Yorke die sehnsüchtige und melancholische Perle "I've Seen It All" (♪♫♪) zum besten. Das nachdenkliche und fein elektronisch arrangierte "Scatterhaert" (♪♫♪) sollte einen ersten Eindruck davon geben, was einem auf ihrem nächsten regulären Studioalbum erwarten würde. Während des dramatisch-schönen "107 Steps" (♪♫♪) zählt sie im Film singend ihre letzten Schritte zum todbringenden Galgen, und das finale "A New World" (♪♫♪), welches sie im Film a cappella kurz vor der Vollstreckung der Todesstrafe darbietet, präsentiert sich hier als von Orchester und soften Elektrobeats unterlegte Hymne. Eine großartige Songsammlung, die den Film (für den Björk heute selber keine guten Worte mehr findet) bei weitem überstrahlt.

 







"VESPERTINE" (2001)


Wer dieses Album nicht kennt, aber im Vorwege erfährt, dass Björk hier diverse ungewöhnliche Klangquellen zusammengetragen und unzählige Soundschichten übereinandergelegt hat, um den gewünschten Sound zu extrahieren, der würde wohl etwas ganz anderes erwarten, als hier tatsächlich dargeboten wird. "Vespertine" ist eine dunkles Album, zerbrechlich und widerspenstig zugleich, aber immer auf seine eigene düstere Weise ganz und gar bezaubernd. Sie wollte ein Album für den Winter erschaffen, was ihr auch vortrefflich geglückt ist. Unterkühlte Soundscapes treffen auf experimentelle Beats und melancholische Gesänge, atmosphärische Klangwelten, und geisterhafte und doch liebevolle Song-Kunstwerke. Und so ruhig der Gesamteindruck des Albums auch sein mag, so passiert in den Details doch eine Menge - was sich vor allem bei mehrmaligem Hören heraus kristallisiert. Die erste Single "Hidden Place" (♪♫♪) stand bereits exemplarisch für den Klang des ganz Werkes: minimalistische Soundlandschaften treffen auf flüsternden Gesang und düster schwebende Chöre, untermalt mit herzschlagartigen Beats. Aus dem wunderbaren und feingliedrig arrangierten "It's Not Up To You" (♪♫♪), schälen sich klackernde Sounds, Harfen, engelsartige Chöre, leidenschaftliche Streicher und softe Beats heraus. Die berauschende Art-Pop-Perle "Pagan Poetry" (♪♫♪) bildet mit bezaubernden Spieldosen-Klängen, tief verzerrten Beats und einer himmlischen Melodie, das Herzstück dieser Platte. Und das großartige und einnehmend emotionale "Aurora" , dass mit hypnotischen Gesängen, fein frickelnder Elektronik und Harfen bezirzt, basiert auf einem Sound-Sample von Fußschritten im Schnee. Ihr ist hier wahrlich ein dunkles, aber ebenso fabelhaftes Album gelungen, das sich - wenn man ihm erst einmal die Chance gibt - fest in den Hirnwindungen verankert, und einen weiteren berauschenden Höhepunkt in Björks beispielloser künstlerischer Karriere markiert.









"GREATEST HITS" (2002) 

Knapp 10 Jahre nach dem Solo-Debüt von Björk, war es an der Zeit für einen vorläufigen Karriererückblick. Auf dem 2002 erschienenen "Greatest Hits" versammelte Björk 14 ihrer größten Hits, die alle ihre Soloalben seit "Debut" umfasste. Und das dies zu einer unschlagbaren Songsammlung führen musste, wird jedem klar sein, der die Musik der Dame zu schätzen weiß. Angeführt wird diese Compilation von dem großartigen "All is full of Love" (♪♫♪), das hier nun auch in der abgeänderten Single-Edit enthalten ist. Danach folgt ein musikalisches Feuerwerk, das sich von "Human Behaviour" und "Army of Me", über "Jóga" oder "Hunter", bis hin zu "Hidden Place" und "Pagan Poetry" erstreckt. Eine erstklassige Zusammenstellung, ganz ohne Zwiefel. Und auch die hierfür aufgenommen neue Single "It's In Our Hands" (♪♫♪) liefert ein neues Highlight, das stilistisch nahtlos an den Stil ihres letzten Album "Vespertine" anknüpft. "Greatest Hits" stellt somiz einen sehr guten Querschnitt durch ihr bisheriges Schaffen dar, welche die wichtigsten Singles von Björk auf einer Disc versammelte.

 






"FAMILY TREE" (2002)  

Zeitgleich mit der regulären "Greatest Hits", erschien ebenso eine aufwändige 6-Disc-Box, die den Namen "Family Tree" trug. Und diese macht als Alternative zum regulären Release durchweg Sinn. Jedes Disc hatte hier sein eigenes Motto. Die erste CD "Roots 1" widmete sich der Musik vor ihrem '93er Solodebüt "Debut". So hören wir hier etwa das wunderbare ""Síðasta Ég" aus ihrer Zeit mit The Elgar Sisters, das leicht strange und düster anmutende "Fuglar" ihrer 80er Jahre Anarcho-Punk-Band KUKL, oder die wunderbare erst Single "Ammæli" mit ihren Sugarcubes. Die zweite Disc mit dem Titel "Roots 2" versammelt B-Seiten und alternative Versionen einige ihrer Album-Tracks, was u.a. die zauberhafte "Hidden Place"-B-Seite "Mother Heroic" (♪♫♪) einschließt. Die dritte Disc "Beats" fokussierte Songs mit elektronischerem Einschlag, wie etwa auch das famose und futuristische "Nature is Ancient" (♪♫♪). Die vierte und fünfte Disc, "Strings 1" und Strings 2", bestanden dann wiederum aus Live- und Studio-Aufnahmen diverser Album-Tracks mit Begleitung des Streicher-Quartetts Brodsky Quartet. Und die letzte und sechste Disc stellt eine alternative "Greatest Hits" dar, die im Gegensatz zur regulären, parallel  erschienen Compilation, von Björk selbst zusammengestellt wurde, und sich so zum Teil von der Tracklist unterschied. So bedachte sie etwa auch 2 Stücke aus dem "Dancer in the Dark"- Soundtrack "SelmaSongs", welches auf der herkömmlichen Version komplett außen vor gelassen wurde. Einziger Wermutstropfen: den auf der regulären Fassung enthaltenen neuen Song "It's In Our Hands", sucht man hier vergebens. Dennoch stellt "Family Tree" eine hervorragendes Box-Set dar, welches noch ausführlicher die Geschichte der Sängerin erzählte. 










"MEDÚLLA" (2004)


Mit diesem Album war der Moment gekommen, in dem sich Björk endgültig von Formatradio und Musikfernsehen los sagte. Denn was sie der Welt mit "Medúlla" lieferte, sollte die Gemüter endgültig spalten. Zu verkopft und experimentell empfanden sie die einen - während die anderen staunend vor diesem Meisterstück hockten, noch unfähig all die seltsamen und überwältigenden Strukturen und Sounds einzuordnen, die scheinbar unentwegt auf einen einströmten. Dabei war der Ursprung aller hier gehörten Klänge, in einer einfachen und allgegenwärtigen Quelle auszumachen: der menschlichen Stimme! Eben daraus hat Björk hier alle nur erdenklichen Klänge destilliert. Vom Heulen, Jaulen, Jauchzen, Keuchen und Stöhnen, von Chören, über Beatbox, bis hin zu am Computer bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Tönen, ist hier die volle Bandbreite des menschlichen Kommunikationsorgans zu hören. Und das erstaunlichste bei all dem: Wenn man es nicht wüsste, man würde meinen Synthesizer und diverse undefinierbare Instrumente wahrzunehmen. Denn was Björk hier schuf war ganz große Kunst, die sie mit einem Schlag wieder mal ganz an die kreative Spitze im Pop katapultierte. Oder um es mit den Worten des Musikexpress auszudrücken, in dessen Leserpoll Björk im selben Jahr die Liste der besten Solokünstlerinnen anführte: "Auf dem ersten Platz kommt Björk - und danach lange nichts!" Und den Grund dafür, konnte und kann man noch immer in praktisch jedem einzelnen Song hören. Im melancholischen, von dunklen Chören und verzerrtem Keuchen unterlegten Opener "Pleasure Is All Mine". Oder im düsteren, von manischen und futuristisch-markanten Beatbox-Effekten, sowie schwerelosen Chorgesängen begleiteten "Where Is The Line" (♪♫♪). Hinter den johlenden und flötenden Stimmsamples und dem triphopigen Beatboxing von "Who Is It"(♪♫♪), hält sich in Wirklichkeit nicht anderes als ein nahezu catchy Ohrwurm versteckt. "Desired Constellation" (♪♫♪) offenbart sich als melancholisch-emotionales Meisterstück, dessen atmosphärisches und den gesamten Song dominierendes Flirren, aus einem Stimmsample von Björk's Song "Hidden Place" entstand. "Oceania" (♪♫♪) präsentiert eine fabelhafte und unmittelbar einnehmende Art-Pop-Perle, das ruhige "Sonnets/Unrealities XI" nimmt hingegen gar wahrhaft sakrale Formen an, und auf "Ancestors" bilden Stöhnlaute und krudes Knurren eine geschlossene Einheit mit Björk's überirdischen Gesängen. Ein wahrlich erhabenes und zugleich dunkles Meisterwerk hat Björk hier geschaffen, dessen emotionale und künstlerische Tiefe sich unmöglich nach wenigen Hördurchläufen erschließen lassen. Dieses Album braucht Zeit um sich ganz zu entfalten. Doch hat es einen erst einmal ganz gepackt (und das wird es zweifellos), lässt es einen nicht wieder los. Ein Triumph!










"DRAWING RESTRAINT 9" (2005) 

Aus dieser Diskografie sticht "Drawing Restraint 9" wohl am stärksten heraus. Denn ebenso wie beim 2000er "SelmaSongs" handelt es sich auch hier um kein offizielles Studioalbum. Auch dies ist ein Soundtrack, von Björk erarbeitet für den gleichnamigen Experimentalfilm  ihres Lebensgefährten Matthew Barney. 'Ähnlich experimentell wie in dem Film, der auf einem japanischen Walfänger spielt, und in seinen gut 130 Minuten Spieldauer nur einen einzigen (japanischen) Dialog enthält, geht es hier auch musikalisch zu - so kommt hier etwa auch oft das japanische Instrument Shō zum Einsatz, welches der Musik einen ganz eigenen Klangcharakter verleiht. Auch vergangene Experimente werden hier erneut aufgegriffen - so kann man im düster getragenen und diabolisch anmutenden "Pearl" ähnliche Stimmexperimente wahrnehmen, die ihr vorangegangenes Album "Medúlla" prägten, während das bezaubernde "Ambergis March" Erinnerungen ihres 2001er Albums "Vespertine" mobilisiert. Und solche von dramatischen Bläsern dominierten Stücke wie "Hunter Vessel" oder "Vessel Shimenawa",  sollten einen deutlichen Einfluss auf einige Stücke ihre folgenden Studioalben "Volta" und "Biophilia" ausüben.  Doch wo der vorangegangene Soundtrack "SelmaSongs", der im Grunde als eigenständiges Album durchgehen kann, durchweg neue famose Songs von Björk hochpersönlich darbot, hält sie sich gesanglich auf dieser Arbeit geflissentlich zurück. Nur in wenigen Stücken dieses Soundtracks ist sie zu hören. So etwa im fragilen, aber wunderbaren "Bath" (♫♪), dem grandios atmosphärischen "Storm" (♪♫♪), oder dem leidenschaftlich verträumten "Cetacea" (♪♫♪). Trotzdem ein kunstvoller Soundtrack, den es durchaus zu entdecken lohnt - wenn auch wohl am ehesten für Fans der Künstlerin brauchbar.








"VOLTA" (2007)


Es ging schon ein erstauntes und oft auch empörtes Raunen durch die Reihen der Musikkenner, als noch vor Release von Björks 2007er Album "Volta" bekannt wurde, dass der unvermeidliche Timbaland an der Produktion ihrer neuen musikalischen Kopfgeburt teilhaben würde. Eben jener Produzent, der zur selben Zeit die gefühlte Hälfte der westlichen Chartswelt mit Mainstream-Hits bestückte. Eigentlich ein Kreis, in dem sich die exzentrische Isländerin weniger bewegt. Doch eine gewisse Erleichterung machte sich breit, als sich herausstellte, dass die Liaison sich über nur knapp 3 Songs erstrecken sollte. Jedoch wurde schon beim ersten Hören klar, dass alle Sorgen unbegründet waren: auf dem famosen Opener "Earth Intruders" (♪♫♪) sind zwar Timabaland-ähnliche Strukturen deutlich zu erkennen, die Björk aber mit genügend eigenwilligen elektronischen Eigenheiten sabotiert, um ihren eigenen Stil nicht zu verwässern, oder gar endgültig dem Mainstream preiszugeben. Ähnliches ist auch beim großartigen "Innocence" (♪♫♪) zu vermerken, auch wenn selbiges noch mal zusätzlich eine kräftige Schippe Exzentrik zulegt. Und im deutlich ruhigere Saiten anschlagenden "Hope" (♪♫♪), ist sein Einfluss sehr gedämpft, der sich hier aber auch nur auf das Co-Songwriting beschränkt. Und auch sonst hat "Volta" so einige Perlen in petto. So gerät "Wanderlust" (♪♫♪) zur atmosphärischen, von ungeraden Beats getragene Hymne; auf dem wundervollen und emotionalen, von majestätischen Bläsen angeführten "The Dull Flame of Desire" (♪♫♪), sowie der zärtlich fragilen Ballade "My Juvenile" (♪♫♪), macht sie gemeinsame Sache mit Antony Hegarty (von Antony & The Johnsons); "Pneumonia" erklärt sich als grandiose und vor Emotionen nur so berstende Ballade, in der sie ein paar einsame Bläser hoch hinauf in den Himmel tragen; und mit dem radikal kratzbürstigen "Declare Independence" (♪♫♪) gibt sie uns in Form von Elektro-Rock-Elementen und fiesen Acid-Sounds, ordentlich einen auf die Mütze. Ein äußerst gelungenes Album - welches allerdings das erste seit langer Zeit darstellt, das einen greifbaren roten Faden, oder ein übergeordnetes Konzept vermissen lässt. Es ist vielmehr ein Querschnitt aus ihrern poppigeren Tagen der 90er Jahre, und ihrer experimentelleren Phase in den 00ern. Und auch wenn das ganze am Ende nicht so schlüssig klingt wie seine Vorgänger, so gelang ihr doch auch ihr ein famoses Werk, das noch heute zu begeistern weiß.








"BIOPHILIA"  (2011)

Manch einen Fan von Björks Experimenten der vorangegangenen Alben, dürfte ihr bis hierher letztes Album "Volta" ein wenig verunsichert haben. Trotz seiner hohen Qualität, vermissten selbige allzu schmerzlich das übergeordnete Konzept, das seit Jahren ihre Kunst prägte. Doch mit ihrem 7. Studioalbum aus dem Jahr 2011, sollte sie ihre Fans voll und ganz entschädigen. Denn "Biophilia" sollte ein Konzeptalbum in mehrerer Hinsicht werden. Zum einen stellt es das erste App-Album der Welt dar: natürlich gab und gibt es das Album als regulären physischen Tonträger und Download, doch der ursprüngliche Gedanke war ein Release in Form einer Reihe von interaktiven Apps, die für das iPad von Apple kreiert wurden, und auf die der Nutzer selbst einwirken und so zum Teil die Songs sogar verändern kann. Zum anderen trieb sie hier der Anspruch, stilistisch als auch inhaltlich Naturphänomene mit  Musik zu verbinden - was wiederum auch optisch in den dazugehörigen Apps verdeutlicht wird. Die wunderbare Ballade "Moon" (♪♫♪) etwa, scheint durch verschiedene sich wiederholende Klang-Zyklen, die Rotation des Erdtrabanten zu symbolisieren. Das atmosphärische, von Sequenzer-Klängen dominierte "Thunderbolt" (♪♫♪) enthält Arpeggios, welche die Zeitspanne zwischen Blitz und Donner darstellen sollen. Die erste und grandiose Single "Crystalline" (♪♫♪) beschäftigt sich thematisch mit Kristallstrukturen, und bewegt sich als experimentell veranlagter, aber hochmelodischer Elektro-Pop im Terrain der "Verspertine"-Ära, bis es am Ende von einer famosen Drum'n'Bass-Einlage sabotiert wird. "Dark Matter" (♪♫♪), welches in der von Björk bekannten Kunstsprache Glibberish vorgetragen wird, setzt sich mit dunkler Materie auseinander, und kommt passend dazu als düster getragener Art-Pop daher. Das dunkle, von bedrohlich orgelnden und elektronischen Klängen durchsetzte "Hollow" (♪♫♪), setzt sich mit der menschlichen DNS auseinander, während das musikalisch in zauberhaft schöne Klänge gebannte "Virus" (♪♫♪) von einer parasitären Liebesbeziehung kündet, wie sie zwischen Virus und Zelle herrscht. "Mutual Core" (♪♫♪) ist eine wahrhaft berauschende Elektro-Art-Pop-Hymne, die zwischen bedächtig orgelnden Versen, und explosiv mitreißenden Refrains pendelt, und die Bewegung der tektonischen Platten versinnbildlicht. Und die warme, minimalistisch aufgebaute, aber emotional eindringliche Ballade "Solistice",  nimmt in seiner Klangstruktur Bezug auf die Bewegung der Planeten und die Erdrotation. "Biophilia" ist ein höchst inspiriertes und wundervoll experimentierfreudiges Gesamtkunstwerk, mit dem Björk ein weiteres Meisterstück ablieferte. Und zudem versehen mit einem genialen Konzept, auf das Darwin mit Sicherheit stolz gewesen wäre.


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