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Dienstag, 26. Januar 2021

Special: BEST of 2020 - Meine Platten des Jahres


Seit dem Bestehen dieses Blogs, ließ ich es mir bisher noch in keinem Jahr nehmen, meinen persönlichen Platten des Jahres einen recht ausführlichen Post zu widmen. Nur diesmal bin ich äußerst spät dran. Bin ich mit dieser Liste normalerweise spätestens Ende Dezember fertig, hat es sich diesmal etwas hingezogen. Was teils an "technischen Problemen" lag, aber vor allem daran, dass ich zu spät angefangen habe, und zu langsam vorangekommen bin. Doch nun hab ich es endlich geschafft, und hier sind sie nun leicht verspätet: meine 25 Lieblingsalben aus dem Jahr 2020!





25. ALANIS MORISSETTE - "SUCH PRETTY FORKS IN THE ROAD"

In meiner Jugend in den 90er Jahren, war Alanis Morissette fraglos eine der größten Namen im Musikbusiness. Ihr internationales Debüt "Jagged Little Pill" (1995) wurde zurecht zu einer Art Game-Changer und zu einem der meistverkauften Platten aller Zeiten. Und auch mit ihrem 1998er "Supposed Former Infatuation Junkie" sollte sie ein weiteres herausragendes Album nachlegen. Doch dann drehte sich langsam der Wind. Zwar konnte sie mich zumindest noch seinerzeit mit dem 2002er "Under Rug Swept" überzeugen (in der Langzeitwirkung sollte es sich allerdings als nicht allzu fruchtbar erweisen), und spätestens mit dem 2004er "So-Called Chaos" gab sie sich endgültig dem Radio-Mainstream geschlagen - und driftete musikalisch von da an immer weiter in die Belanglosigkeit ab. Entsprechend überrascht war ich schon Anfang 2020, als sie auf Halseys Album "Manic" im Song "Alanis Interlude" ihre wohl stärkste Leistung seit den 90ern ablieferte. Und mit ihrem jüngsten Album "Such Pretty Forks in the Road" - ihrem ersten seit 8 Jahren - setzte sie diesen Kurs einige Monate später auch auf Albumlänge fort. Man kann zwar nicht behaupten, dass sie den eher rohen, rotzigen und wilden Stil ihrer frühen Tage reanimiert hätte - aber hier ist endlich der gewisse Funke wieder da, den man so lange bei ihr vermisst hatte. Das Album liefert schon gleich einen starken Start, denn auf "Smiling" (♪♫♪) verbindet sie eine düster angehauchte Atmosphäre mit Alternative-Rock-Elementen, bedächtigen Streichern und einem mitreißenden Refrain, sodass man sich gleich an ihren Sound der späten 90er Jahre erinnert fühlt. Ähnliche Momente kann man aber auch auf dem restlichen Album finden, wie etwa auf dem tollen "Losing The Plot", welches eher ruhig beginnt, sich aber schon bald in geradezu hymnische Gefilde emporschwingt. Oder aber natürlich auf dem wunderbaren und melancholischen "Reckoning", sowie dem schattig  atmosphärischen "Nemesis". Dieser Sound dominiert aber nicht das ganze Album, das etwa auch noch unbeschwerten, aber zugleich charmanten und mitreißenden Pop-Rock zu bieten hat, wie das etwas entspanntere, aber zeitweilig auch hymnische "Ablaze", oder die von Piano und einem catchy Refrain dominierte erste Single "Reasons I Drink". Unterm Strich sollte Alanis Morrisette mit "Such Pretty Forks in the Road" zwar kein Meisterwerk gelingen, dass mit ihren ersten beiden Major-Alben konkurrieren könnte, aber dennoch eine äußerst solide Platte, die ihre künstlerisch relevanteste Leistung seit mehr als 20 Jahren darstellt.





24. KYLIE MINOGUE - "DISCO"

Mit Kylie Minogue ist das bei mir ja eine zwiespältige Angelegenheit. So sympathisch sie auch sein mag und so catchy einige ihrer zahlreichen Hits auch fraglos gewesen sind, so tat sich die Australierin in den vergangenen Jahrzehnten aber nur selten durch wirklich gelungene Musik hervor. Meist bediente sie überwiegend eher seichte Pop-Klischees, und konnte nur in wenigen Fällen mit etwas mehr Substanz bestechen - wie zuletzt vor bummelig 20 Jahren, als sie mit den Alben "Light Years" (2000) und "Fever" (2001) den Höhepunkt ihrer Karriere erlebte. Danach folgten zwar noch vereinzelt gelungene Ohrwürmer wie etwa "Slow" oder "In My Arms", aber allgemein eher ein merkbarer und konsequenter Abstieg, der sich in immer mittelmäßigeren Platten verdeutlichte. Doch im künstlerisch überaus vielversprechenden ersten Jahr des neuen Musikjahrzehnts, kam wohl weitestgehend unerwartet auch Kylie plötzlich wieder mit einer wirklich tollen Platte daher: ihrem mittlerweile 15. Studioalbum "Disco". Und mit diesem plakativen Titel hat sie nicht zu viel versprochen, schlägt sie auf ihrem jüngsten Album doch einen ähnlichen Weg ein, den Kolleginnen wie Dua Lipa oder Jessie Ware schon etwas früher im Jahr 2020 gingen: den eines catchy Popalbums, welches den Disco- und Dance-Sound der 70er und 80er Jahre mit zeitgenössischen Klängen verbindet. Die Klasse besagter Platten kann Kylie hier zwar nicht ganz erreichen, aber das macht nichts - denn "Disco" ist trotzdem ein pure gute Laune und positive Vibes versprühendes Album geworden, hat es doch zahlreiche wirklich schicke Songs im Gepäck. So wie etwa die herrlich leichtfüßige Disco-Pop-Perle "Miss a Thing", die Erinnerungen an ihr 2001er "Fever" weckt, das funky melodische "Real Groove", oder den warmen Dancepop-Ohrwurm "Dancefloor Darling". Oder eben so schillernde Disco-Hymnen wie das ungemein catchy "Supernova", das ein klein wenig an die Pet Shop Boys erinnernde "I Love It" (♪♫♪), oder das unwiderstehlich in die Beine fahrende "Where Does The DJ Go?", welches irgendwie auch ABBA gut zu Gesicht gestanden hätte. Auch wenn nicht jedes Stück ein astreiner Hit ist, so begegnet man auf "Disco" dennoch keinem einzigen schlechten Song! Allzu viel inhaltliche Tiefe bietet das Album dabei zwar nicht, aber das soll und will es ja auch gar nicht! Denn "Disco" ist vor allem eine prall gefüllte Disco-Pop-Wundertüte, mit der man sich 2020 wunderbar den Frust durch die Coronakrise von der Seele tanzen konnte.





23. TXT - "MINISODE1: BLUE HOUR"

Eigentlich ist K-Pop ja nicht so mein Ding. Anfangs waren es ausschließlich BTS, die mich in diesem Genre wirklich begeistern konnten, woran sich fraglos auch bis heute nichts geändert hat. Doch offenbar scheint sich der Fokus ihres Labels Big Hit Entertainment mehr auf Talent und Authentizität zu konzentrieren, als dies bei vielen anderen Labels im K-Pop üblich ist. Nachdem sie sich in den ersten 6 Jahren nach ihrem Debüt ausschließlich der Karriere von BTS widmeten, schickten sie Anfang 2019 die 5-köpfige Band TXT ins Rennen, die dann tatsächlich als erste K-Pop-Band nach ihren "großen Brüdern" von BTS mein Interesse weckte. Und nachdem sie mich schon mit ihrer äußerst gelungenen "Dream Chapter"-Trilogie zu überzeugen vermochten, die sich grob den verschiedenen Facetten des Heranwachsens widmete, sollte dies auch bei ihrem jüngstes Mini-Album "Minisode1: Blue Hour" nicht anders sein. Denn auf den hier vorliegenden 5 Stücken sollte die Band ihre bisher stetige Weiterentwicklung noch weiter vorantreiben. Nicht nur, weil die Bandmitglieder hier zum ersten Mal bei der Mehrheit der Songs auch direkt am Songwriting beteiligt waren, sondern auch weil sie ein sehr zeitgenössisches Thema ansprechen. So ist dieses Mini-Album nicht nur während der aktuellen Pandemie entstanden, sondern es thematisiert sie und ihre Auswirkung auch mehr oder weniger direkt. Denn inhaltlich erzählt ihre jüngste Platte aus der Perspektive eines Jugendlichen, der sich isoliert und emotional verloren fühlt, während das sehr gelungene Pixel-Art des Covermotivs (welches sich auch in den restlichen Visuals des Albums und dessen Fotobüchern fortsetzt) die Online-Kommunikation symbolisieren soll, die in dieser Pandemie bei vielen Menschen den persönlichen zwischenmenschlichen Kontakt ersetzt. Entsprechend spiegelt sich dies auch in vielen der Songs wider. In dem mit Einflüssen aus Indierock, Nu-Gaze und einem leichten 80s-Einschlag gewürzten Opener "Ghosting" behandeln sie etwa das Gefühl, sich wie ein Geist zu fühlen, wenn man von der Welt und anderen Personen isoliert ist. In der ersten Single "Blue Hour" (♪♫♪), einem catchy Uptempo-Disco-Ohrwurm, der herrlich nostalgische 90s-Vibes versprüht, nutzen sie dann die sogenannte "Blaue Stunde" (wie die Zeit vor Sonnenaufgang bzw. nach Sonnenuntergang bezeichnet wird, in welcher der Himmel tiefblau ist) als Metapher, um den Wunsch auszudrücken, sich in Erinnerungen an schöne vergangene Zeiten zu flüchten. Und die zweite Single "We Lost The Summer", eine warme und sonnige, von der britischen Musikerin Charli XCX co-komponierte Dancehall-Perle mit Tropical-House-Elementen, handelt davon, sich als junger Mensch in der durch die Corona-Pandemie auf den Kopf gestellten Welt zurechtzufinden. Und so gelang der jungen Band hier ein tolles Mini-Album, welches sich auch mit der aktuellen Lebensrealität auseinandersetzt - womit sie künstlerisch immer mehr der Tradition von BTS folgen, dabei aber dennoch hörbar eine eigene Identität entwickeln.












22. MILEY CYRUS - "PLASTIC HEARTS"

Was für eine bewegte Karriere doch Miley Cyrus bereits hinter sich hat...auch wenn sie dabei immer etwas unstet wirkte, und wie auf der Suche nach ihrer wahren künstlerischen wie persönlichen Identität. Angefangen vor 15 Jahren mit ihrer Rolle als  mit ins Gesicht gefrästem Colgate-Grinsen ausgestattetes Disney-Girlie "Hannah Montana", wandelte sie sich ab den frühen 2010ern zu einem bislang ungeahnt wilden, unangepassten und sexuellen Image - und legte inmitten ihres bis dahin sehr mittelmäßigen musikalischen Outputs mit ihrem 5. Album "Miley Cyrus & Her Dead Petz" ein fantastisches, aber weitestgehend verkanntes Meisterwerk vor. Doch als man es gerade am wenigsten erwartete, machte Miley kurz darauf eine Kehrtwende, und sollte sich mit ihrem letzten Album "Younger Now" (2017) in ziemlich biedere Country-Pop-Sphären verirren, die mitunter böse Erinnerungen an "Unsere kleine Farm" wecken konnten. Doch die scheinbar ewige Suche nach ihrem wahren Ich könnte in 2020 mit ihrem 7. Album "Plastic Hearts" endlich ein zumindest vorläufiges Ende gefunden haben. Denn das Miley zu neugierig und experimentierfreudig ist, um nicht auch noch in Zukunft mit einigen Wandlungen zu überraschen, kann man sich durchaus denken. Und doch erweckt sie auf ihrem jüngsten Werk das Gefühl, endlich ganz bei sich zu sein, und lieferte damit das bislang rundeste Album ihrer bisherigen Karriere ab, folgt es doch einem in sich sehr geschlossenen Sound, der ihren typischen Pop-Appeal mit deutlichen Rock-Einflüssen der 80er und 90er Jahre verbindet. Und schon die ersten beiden Vorab-Singles sollten sich als gewaltige Kracher erweisen: der von Synthpop und Rock beeinflusste Hit "Midnight Sky" (♪♫♪), sowie das fabelhafte Duett "Prisoner" mit Dua Lipa, das Elemente aus Dance, Dark-Pop und Glam-Rock vereint. Gegen diese starken Vorboten sollte aber auch das restliche Album eine ziemlich gute Figur machen, gibt es hier doch noch so manche Perle zu entdecken. So wie u.a. etwas das herrlich stimmungsvoll rockende "WTF Do I Know?", die wunderbar nach den frühen 90ern schmeckende Pop/Rock-Ballade "Angels Like You", das etwas elektronischer angehauchte "Gimme What I Want", das ohrwurmig-düstere "Night Crawling" im Duett mit 80s-Rocker Billy Idol, oder das deutlich emotionaler veranlagte "Never Be Me". Zwar mag "Plastic Hearts" letztendlich nicht an die schwindelerregend hohe Kreativität und Relevanz eines "Miley Cyrus & Her Dead Petz" heranreichen. Aber sie hat hier dennoch ein verdammt schickes Album abgeliefert, das einen im Jahr 2020 sehr unverbrauchten Sound lieferte, und damit nebenbei auch den Rock-Sound der 80er und 90er Jahre wieder hip machte.






21. TXT - "THE DREAM CHAPTER: ETERNITY"

Der jungen südkoreanischen Band TXT ist man ja nur wenige Plätze zuvor in dieser Liste mit ihrem jüngsten Mini-Album "Minisode1: Blue Hour" schon einmal begegnet. Ein in meinen Augen ohne Frage tolles Album (sonst wäre es ja auch nicht in dieser Liste), aber ihre im Frühjahr veröffentlichte Platte "The Dream Chapter: Eternity" hat hier dennoch knapp die Nase vorn. Denn die Band um die 5 jungen  Männer Soobin, Yeonjun, Beomgyu, Taehyun und Huening Kai hatte hier ein verdammt schickes und verspieltes Pop-Album ausgeheckt, das mit den verschiedensten Stilen und Stimmungen aufwartet. Zudem bildet es den Abschluss ihrer "Dream Chapter"-Serie, die 2019 mit dem Mini-Album "The Dream Chapter: Star" und dem Album "The Dream Chapter: Magic" begann, und dessen inhaltliches Konzept sich mit dem Heranwachsen befasst. Dieser dritte und letzte Teil der Konzeptserie dreht sich dabei um die dunklen Seiten von Jugend und Freundschaft, und stellt musikalisch betrachtet den  klaren Höhepunkt der Album-Trilogie dar. Denn hier zappten sie sich nicht nur durch die diversesten Genres und Einflüsse, sondern verpackten diese auch in ein mit 6 Songs zwar schlankes, aber strammes Bündel an Hits (oder solchen, die welche hätten werden müssen): der stark im Funk-Pop angesiedelte, und ansteckend tanzbare Opener "Drama"; der als Leadsingle veröffentlichte, catchy-düstere Trap-Pop-Ohrwurm "Can't You See Me?" (♪♫♪); das von Dreampop- und Jazz-Einflüssen geküsste, und dadurch wunderbar warme und verträumte "Fairy of Shampoo"; die gefühlvolle Akustik-Ballade "Maze in the Mirror", der auch Nähe zum Britpop nachgesagt wird; der von einer düsteren Atmosphäre getragene, und als zweite Single veröffentliche R&B-Hit "Puma"; und der schon geradezu experimentell veranlagte Closer "Eternally", der im Kern zwar ein sanfter und harmonisch melodischer Midtepmo-Pop-Song ist, dabei aber immer wieder von Breaks aus düster elektronischen Beats heimgesucht wird. Das alles macht ein zwar kurzes, aber verdammt charmantes und sehr gelungenes Pop-Album, welches die Band - zusammen mit dem hier ja ebenfalls platzierten "Minisode1: Blue Hour" - in 2020 auf einem guten Weg zeigte, der in eine vielversprechende Zukunft führen könnte.






20. THE STROKES - "THE NEW ABNORMAL"

Es kommt mir eigentlich noch wie gestern vor, als ich Anfang der 2000er die einst blutjunge US-Indierock-Band The Strokes für mich entdeckte, und vor allem ihre ersten beiden Platten "Is This It" (2001) und "Room On Fire" (2003) suchtete. Und auch mit ihren folgenden Alben "First Impressions of Earth" (2005), "Angles" (2011) und "Comedown Machine" (2013) vermochten sie mich mit Leichtigkeit bei der Stange zu halten, wenngleich sie darauf dennoch nicht ganz die Klasse der frühen Tage erreichen konnten. Doch nach ihrer bislang längsten Plattenpause von 7 Jahren, sollten die Strokes in 2020 ihr sechstes Studioalbum "The New Abnormal" nachlegen - und damit auch ihr bestes Album seit über 15 Jahren. Denn hier klangen die Strokes wieder so sehr aufs Wesentliche konzentriert, so relevant und auch wieder so sehr nach einer richtigen Band, wie sie es zuletzt eben auf "Is This It" und "Room On Fire" taten. Dabei kopierten sie aber keineswegs den Sound ihrer frühen Tage: sie halten ihn zwar augenscheinlich nach wie vor in allen Ehren, kreierten mit "The New Abnormal" aber dennoch ein  höchst eigenständiges und dabei auch noch enorm spannendes, frisches und mitreißendes Indierock-Album, welches dabei aber auch in verschiedene andere Richtungrn strahlt. So wie gleich zum Einstieg der rhythmische und unaufgeregt tänzelnde Opener "The Adults Are Talking", das fast schon nachdenkliche und zugleich leidenschaftliche "Selfless", der großartig aus New Wave, Dance-Rock, Post-Punk und Synthpop gebastelte Indie-Hit "Brooklyn Bridge to Chorus", oder das auf mitreißend catchy Gitarren reitende, und mit Auszügen aus Billy Idols "Dancing With Myself" (1980) spielende "Bad Decision". Oder aber im weiteren Verlauf auch das fantastische, zugleich hymnische, funky melodische und atmosphärische "Eternal Summer", in dem Julian Casablancas' Gesang zwischen hohen und tiefen Passagen pendelt, das von minimalistisch oldschooligen Synthesizern à la Kraftwerk dominierte "At The Door" (♪♫♪, dessen Musikvideo dazu sehr passend nostalgische Erinnerungen an kultige Zeichentrick-Serien wie "Captain Future", "HE-Man" oder "M.A.S.K." heraufbeschwört), oder auch der deutlich im Dream-Pop verwurzelte Closer "Ode To The Mets". Zwar haben die Strokes auch in den Jahren davor kein einziges schwaches Album abgeliefert, aber auf "The New Abnormal" findet die Band zu solchen kreativen Stärken zurück, dass man sich glatt ein wenig in die frühen 2000er zurückversetzt fühlt. 






19. PHOEBE BRIDGERS - "PUNISHER"

Die 25jährige amerikanische Singer/Songwriterin Phoebe Bridgers ist trotz ihres jungen Alters eine äußerst umtriebige und schaffensfreudige Musikerin. Das verwundert schon weniger, wenn man sich in dem kreativen Dunstkreis umschaut, dem sie entstammt. Einst entdeckt vom US-Musiker Ryan Adams (mit dem sie heute allem Anschein nach aber vor allem eine gescheiterte Beziehung verbindet), suchte sie mit ihrem 2017er Solodebüt "Stranger In The Alps" erst einmal alleine ihr Glück, ehe sie 2018 gemeinsam mit den Musikerinnen Julien Baker und Lucy Dacus das Trio Boygenius gründete. Im selben Jahr schnappte sie sich dann aber auch Conor Oberst (den kreativen Kopf und Sänger von Bright Eyes),  mit dem sie bereits auf ihrem Debüt ein Duett aufgenommen hatte, und gründete mit ihm die gemeinsame Band Better Oblivion Community Center, dessen gleichnamiges Debüt in Folgejahr erschien. Ach, und auf mehreren Stücken des diesjährigen Albums "Notes on a Conditional Form" von The 1975 war sie zudem auch noch zu hören. Ganz schön viel los bei der jungen Dame, deren wohl bislang wichtigste und herausragendste musikalische Leistung in dieser Auflistung allerdings noch fehlt: und zwar ihr zweites Soloalbum "Punisher", welches im Frühsommer diesen Jahres das Licht der Welt erblickte. Dieses wurde auch sogleich von einem Sturm der Begeisterung unter Kritikern begleitet, was auch fraglos berechtigt ist. Und diesbezüglich sprechen die Songs der Platte für sich selbst. So beachte man etwa die sanfte und intime Folk-Perle "Garden Song", die sich laut Sängerin um einen wiederkehrenden Albtraum dreht, den sie auf Tour hat, oder den fast zauberhaft verträumten Titelsong "Punisher", in dem sie sich vorstellt, wie sie vermutlich den Musiker Elliot Smith stalken würde, wenn er noch am Leben wäre. Oder aber auch das wunderbare "Chinese Sattelite", welches nach der Künstlerin davon handelt, dass sie keinen Glauben hat - und das sie, so schön der Gedanke auch sein mag, davon überzeugt ist, dass uns kein Erlöser und auch keine Aliens besuchen werden, und das uns auch kein verborgenes Gleis den Weg nach Hogwarts öffnet. Aber auch sonst wartet auf "Punisher" noch so viel wunderbares. So wie das zu folkig warmen und schwebenden Klängen vom titelgebenden Beschützerkomplex erzählende "Savior Complex", der mitreißende und im Albumkontext auffallend beschwingte Indie-Rock-Hit "Kyoto" (♪♫♪), oder das fantastische "I Know The End", welches sehr sanft und ruhig beginnt, sich in seinem weiteren Verlauf aber zu wahrhaft epischer Größe erhebt. Und so hat sie alles in allem mit "Punisher"
 aus einer überwiegend minimalistischen und melancholischen Verbindung aus Indierock und Emo-Folk, ein wunderbares, emotionales und zeitloses Album geschaffen, das man sich aus dem Musikjahr 2020 nur schwer wegdenken kann.







18. GRIMES - "MISS ANTHROPOCENE"

Mit ihrem letzten Album "Art Angels" von 2015, sollte die kanadische Künstlerin Claire Boucher alias Grimes einen perfekten Balanceakt zwischen Pop und Experimental hinlegen, mit welchem sie sich auch Dank zahlreicher hochkarätiger und anspruchsvoller Ohrwürmer sofort in den Gehirnwindungen festsetzte. Auf ihrem diesjährigen Nachfolger "Miss Anthropocene" sollte sie es dem Hörer allerdings nicht ganz so leicht machen, wie noch zuletzt. Doch das tat die Dame, die ja künstlerisch wie auch persönlich für eine Menge experimentelle und futuristische Spleens bekannt ist, offenkundig mit voller Absicht. Denn wo "Art Angels" trotz verschiedenster Stimmungen einen dennoch homogenen Charakter besaß, schälte sich bei der geradezu enormen Vielfalt von "Miss Anthropocene" deutlich schwerer ein Albumgefühl heraus. Doch das sollte sich recht schnell als ziemlich irrelevant herausstellen, denn das fast schon wahnsinnige und wahnwitzige Genie der Dame trug auch hier wieder die faszinierendsten Früchte. Das schafft sie hier mit einem nahezu durchgehend düsteren, und deutlich von Industrial, Electronica und Experimental geprägten Sound, der aber Abstecher in die unterschiedlichsten anderen Genres unternehmen kann. So geht es auf dem Opener "So Heavy I Fell Through The Earth" mit düster-schwebenden Ambient-Klängen los, und führt über den aus Folk, Britpop, Country und Dance verschmolzenen Hit "Delete Forever" (♪♫♪), die ätherisch tanzbare Elektro/Trance-Perle "Violence", oder die auf  eine fast björk'sche Art und Weise schwerelos im Raum treibende Elektro-Ballade "New Gods". Und es führt bis hin zu dem atmosphärischen, von Grunge- und Goth-Elementen geprägten "My Name Is Dark",  dem ohrwurmigen und sogar für einen Dauereinsatz in Radio denkbaren "You'll Miss Me When I'm Not Around", oder zu dem epische 7 Minuten langen, dabei aber sehr melodischen "Idoru", welches das Album als abschließender Song mit einer eher optimistischen Grundstimmung ausklingen lässt. Als Gesamtwerk ist "Miss Anthropocene" wieder einmal enorm ambitioniert in Szene gesetzt - wie man es bei Grimes nicht anders gewohnt ist, und wie man es von der Lebensgefährtin eines Elon Musk ja auch beinahe erwarten muss. Da es aber nicht dem etwas eingängigeren und mitreißenden Sound seines Vorgängers nacheifert, braucht es vielleicht bei manch einem etwas mehr Zeit, um sein wahres Potential zu entfalten. Doch diese Zeit ist sehr lohnenswert investiert, erkennt man doch wohl spätestens nach ein paar Durchläufen, dass in "Miss Anthropocene" ein faszinierendes kleines Pop-Kunstwerk steckt.





17. ARCA - "KICK I"


Schon in den vergangenen Jahren konnte man Arca auf diesem Blog begegnen, deren Musik ich kennenlernte, als die Venezolanerin 2015 auf Björks Album "Vulnicura" als Produzentin in Erscheinung trat - woraufhin mir dann auch Arcas Solowerke ins Bewusstsein rückte. Zum Glück kann man nur sagen. Denn über die bisherigen drei Soloalben "Xen" (2014), "Mutant" (2015) und "Arca" (2017) hinweg, erschuf die Musikerin stets vielschichtige, experimentelle, vertrackte und futuristische Electronica-Klänge, mit enorm viel Tiefe und Seele. Bis zu ihrem letzten Album war Arca alias Alejandra Ghersi allerdings noch unter ihrem gebürtigen Vornamen Alejandro bekannt - bis er bzw. sie sich 2018 als nichtbinäre Person outete, und seitdem weibliche oder geschlechtsneutrale Pronomen verwendet. Dies thematisiert sie auch gleich im Opener ihres jüngsten und insgesamt vierten Soloalbums "Kick I": das von zunehmend offensiven Lyrics und Beats begleitete "Nonbinary", das aber zum Ende dennoch in einem melodisch getragenen Outro mündet. Man könnte aber nicht behaupten, dass dieser Einstieg exemplarisch für das restliche ihm folgende Album wäre. Denn so vielschichtig und komplex Arca als Persönlichkeit ist, so ist es auch ihre Kunst. Und daran ließ sie vor allem anderen hier keinen Zweifel, kann man auf "Kick I" doch so viele unterschiedliche Facetten der Künstlerin durchstreifen, wie wohl auf keinem ihrer Alben zuvor. So vermag das auf sanften und melodischen Synthesizern schwebende "Time" 
(♪♫♪) vage Erinnerungen an Robyn zu wecken, "Mequetrefe" vermengt südamerikanische Vibes mit asymmetrischen Beats und elektronischen Sperenzchen zu einem abstrakten Hit, und mit "Calor" schuf sie eine Art getragene und kunstvolle Piano-Synthpop-Ballade, die unter die Haut geht. Zusammen mit Björk als Gastsängerin gelang ihr dann mit "Afterwards" ein grandioses Elektropop-Meisterstück, welches mit Erinnerungen an Björks famose "Homogenic"-Phase nur so um sich wirft, auf "Watch" gibt sie mit Shygirl herrlich verstörenden und kreativen Elektro-Rap zum Besten, das hervorragende "KLK" mit Rosalia lässt hingegen ein wenig an M.I.A. denken, und das vielschichtige "La Chiqui" feat. Sophie erweist sich  als paranoider Future-Electronia-Hirnfick. Das ist mit Sicherheit nicht für jeden auf Anhieb so leicht zu verdauen, denn "Kick I" ist zwar Arcas bislang vielseitigstes, aber nicht unbedingt ihr zugänglichstes Album. Zwischenzeitig kann es mitunter sogar ziemlich sperrig sein, aber es ist bei all dem immer kreativ, relevant und faszinierend - und seiner Zeit vermutlich um Jahre voraus!






16. THE WEEKND - "AFTER HOURS"

Es ist vollkommen unbestreitbar, dass der Kanadier Abel Tesfaye alias The Weeknd ein enorm talentierter und fähiger Musiker ist, der schon unzählige hochkarätige Hits auf seinem Konto hat. Doch mit durchweg gelungenen Alben hat er sich in seiner Karriere meist relativ schwer getan. Vielleicht lag es an seinem stets sehr hohen musikalischen Output, dass sich auf seinen Studioalben bisweilen Hits und Füller die Waage hielten, und damit nie so richtig an die Qualitäten seiner Mixtape-Trilogie (die 2011 veröffentlichten "House of Balloons", "Thursday" & "Echoes of Silence", welche 2012 auf der Compilation "Trilogy" zusammengefasst wurden) anknüpfen konnten. Hätte er nicht ganz so viel veröffentlicht, und nur die besten Songs seiner ersten drei offiziellen Studioalben Alben "Kiss Land" (2013) ,"Beauty Behind The Madness" (2015) und "Starboy" (2016) auf einem Album vereint, hätte es eines der besten R&B/Pop-Platten der letzten Jahre oder gar Jahrzehnte werden können. Wobei davon sein zweites Album immerhin in seiner Gesamtheit noch am besten funktionierte - aber ein wirklich stimmiges und als Gesamtwerk herausstechendes, reguläres Studioalbum blieb er uns trotzdem immer noch schuldig. Nun, zumindest bis zum Jahr 2020 und seinem 4. Studioalbum "After Hours". Denn hier sollte er künstlerisch nochmal eine ordentliche Schippe drauf legen, und dabei so viele starke Songs, sowie eine derart runde Gesamtatmosphäre bieten, dass man "After Hours" gar als perfekte Symbiose aus dem düsteren Melodrama seines ersten Mixtapes "House of Balloons", sowie dem mitreißenden Pop-Appeal von Alben wie "Starboy" bezeichnen könnte. Und das liegt noch nicht einmal an dem großen Hit des Albums - auch wenn definitiv noch einmal festgestellt werden muss, dass "Blinding Lights" ein derart famos 80s-infizierter Synthwave-Ohrwurm ist, das er auch nach unzähligen Durchläufen keinerlei Abnutzungserscheinungen aufweist. Doch das Album hat noch viel mehr in petto. Ob nun den düster atmosphärischen Opener "Alone Again", das wunderbar melodische und mit Drum'n'Bass-Elementen verzierte "Hardest To Love", das leidenschaftliche und sich hervorragend an Auszügen aus Elton Johns "Your Song" bedienende "Scared To Live", den famosen R&B/Trap-Hit "Heartless", sowie aber auch solche unwiderstehlich catchy Synthpop-Ohrfänger wie "In Your Eyes" oder "Save Your Tears" (♪♫♪). Es scheint, als wenn ihm die 4-jährige kreative Pause seit seinem letzten vollwertigen Studioalbum "Starboy" gut getan hätte. Denn mit "After Hours" ist The Weeknd das beste und in sich schlüssigste Album seiner bisherigen Karriere gelungen. 






15. DUA LIPA - "FUTURE NOSTALGIA"

Schon vor 2020 war die britische Sängerin Dua Lipa alles andere als ein unbeschriebenes Blatt im zeitgenössischen Pop. Mit ihrem 2017er Debütalbum "Dua Lipa", sowie einer Reihe durchaus prägnanter und populärer Hits wie "Be The One", "New Rules" oder "IDGAF", konnte die heutige 25jährige bereits einige Erfolge erzielen. Doch zum Start des neuen Musikjahrzehnts sollte die junge Frau qualitativ wie auch kommerziell weit über sich selbst hinaus wachsen - mit Hilfe ihres hervorragenden, im Frühjahr 2020 erschienen Albums "Future Nostalgia". Und es schien damals fast so, als hätte das Schicksal einem dieses Album geschickt. Denn mitten im weltweiten Lockdown zu Beginn der Coronakrise, der durch pandemiebedingte Verschiebungen eh arm an neuer Musik war, kam sie hier mit so einem leichtfüßigen Charme und so einer ansteckenden Lebensfreude daher, dass man die Isolation noch etwas leichter zu ertragen wusste. Denn auf "Future Nostalgia" ist der Titel Programm, hat die junge Dame hier doch nicht nur auf äußerst charmante, unverkrampfte,  und nicht zuletzt überzeugende Art und Weise die Geschichte des Dance und Disco in einem Pop-Album der Gegenwart konserviert. Denn auf "Future Nostalgia" reiht sich ein Highlight an das nächste. So allen voran etwa die Hits des Albums: der unwiderstehliche Disco-Pop-Ohrwurm "Don't Start Now", der mitreißende Synth-Pop-Hit "Physical", welcher mit Referenzen an den gleichnamigen 1981er Hit von Olivia Newton-John spielt, das relaxt tanzbare und mit Disco-, Electronica- und Funk-Einflüssen gespickte "Levitating", die wie eine Mischung aus Madonna, Daft Punk und Donna Summer anmutende Elektro-House-Nummer "Hallucinate", oder natürlich die zeitlos catchy Dance-Pop-Perle "Break My Heart" (♪♫♪). Schon eine stolze Reihe von Ohrwürmern, die sich aber mit Hinblick auf das restliche Album mit Leichtigkeit erweitern lässt.  Denn da wären etwa noch der Titelsong "Future Nostalgia", der eine nach frühen 80s schmeckende Mischung aus Elektro-Funk, House und HipHop bietet, aber auch der von Prince inspirierte und unwiderstehlich melodische Synthpop-Song "Cool", oder der catchy Disco-Dance-Pop-Ohrwurm "Love Again". So ist ihr mit "Future Nostalgia" ein hervorragendes Album gelungen, das zum Glück sowohl bei Kritikern als auch Hörern großen Anklang fand. Kein Wunder, ist es doch ein sowohl äußerst zeitgeistiges, aber ebenso auch nostalgisches wie zeitloses Pop-Album.






14. FLEET FOXES - "SHORE"

Die Fleet Foxes haben sich über die Jahre ja einen wirklich guten Ruf erspielt. Die Folk-Band aus Seattle hat in den mehr als 10 Jahren ihres Bestehens stets hohe Qualität abgeliefert, und sich auch nicht der Weiterentwicklung verschlossen - was ihnen mit jedem Album großen Lob einbrachte. Und doch gab es da immer dieses eine Album, das geradezu übermächtig aus dem Backkatalog der Band herausragte, und wohl oder übel über alles andere seinen Schatten warf: das 2008er Debüt "Fleet Foxes". Zumindest könnte man sagen, dass das bis 2020 so war, bevor die Band ihr viertes Studioalbum "Shore" in die Welt entließ. Denn aller besagter Qualitäten zum Trotz, welche die Band auch in der Zeit seit ihrem Debüt ablieferte, so konnten sie diesem Über-Album doch vermutlich niemals so sehr auf Augenhöhe begegnen, wie ihnen dies hier gelungen ist. Auch in der Fachpresse wurde der wieder deutlich leichtere, prachtvollere und wärmere Sound des neuen Albums gelobt, was auch zum Plan der Band passt, die hier einen neuen und optimistischeren Weg des Songwritings finden wollten - und die das Album selbst als "a celebration of life in the face of death" umschrieben, oder wie es der Frontmann Robin Pecknold so schön ausdrückte: "I wanted the album to exist in a liminal space outside of time, inhabiting both the future and the past, accessing something spiritual or personal that is untouchable by whatever the state of world may be at a given moment." Und so haben sie hier ein Album voll von harmonischen und wie aus der Zeit gefallenen Folk-Perlen geschaffen, das beständig so klingt, als würde es durch und durch von einem warmen Licht durchflutet. Und wer allein schon ein paar der insgesamt 15 hervorragenden Songs hört, der weiß was ich meine. So wie das wunderbar blumige und tänzelnde "Sunblind", das wie aus goldenem Glück gegossene "Can I Believe You" (♪♫♪), oder das warme, melancholisch-schöne und (ha!) federleichte "Featherweight". Oder das nach einem zeitlosen Hit schmeckende "Maestranza", das von Bläsern und barocken Klängen verzierte "Going-to-the-Sun Road", oder das geradezu feierliche "Cradling Mother, Cradling Woman", das zudem mit einem Sample der Beach Boys versehen ist. Überaus passend, muss man doch nicht allzu selten an Bands wie die  Beach Boys denken, wo es doch auf diesem Album vor satten und honigsüßen Harmonien nur so wimmelt. Diese sind den Fleet Foxes zwar wahrlich noch nie fremd gewesen - aber seit ihrem Debüt vor 12 Jahren, vermochten sie mich damit nicht mehr so sehr zu fesseln, wie sie es 2020 auf "Shore" geschafft haben.






13. LADY GAGA - "CHROMATICA"

Ein besonderes Pop-Highlight des noch jungen neuen Musikjahrzehnts, war auch das Comeback von Lady Gaga - hat man doch auf gewisse Weise auch lange darauf warten müssen. Sie war zwar nie wirklich weg, aber ich kann dennoch nur ihre ersten 3 Alben als vollwertige Gaga-Alben durchgehen lassen: das 2008er "The Fame" bzw. dessen 2009er Update "The Fame Monster", das 2011er "Born This Way" und das 2013er "Artpop" - auch wenn letzteres eine eher durchwachsene Angelegenheit war. Danach sollte sie sich aber für die restlichen 2010er in Coverversionen seichter Easy-Listening-Standards ("Cheek To Cheek"), in gewöhnlichem Pop-Rock und Country-Pop ("Joanne"), oder zuletzt mit einer Reihe Schmachtfetzen gar in die Spuren von Barbra Streisand verirren ("A Star is Born"). Und als ich gerade drum und dran war, Lady Gaga vorerst in die angestaubte Schublade des Adult-Contemporary zu entsorgen, kam sie 2020 mit ihrem jüngsten Album "Chromatica" daher - und schuf damit ein schillerndes Dance-Pop-Juwel, das die verschiedensten Spielarten der Dance-Musik mit catchy Hooklines und sehr persönlichen, autobiografischen Lyrics verbindet. Doch entgegen anderer großer Dance-Alben aus 2020, wie "Future Nostalgia" von Dua Lipa, "What's Your Pleasure?" von Jessie Ware, oder "Disco" von Kylie Minogue, welche sich vor allem am Sound der 70er und 80er bedienten, fokussierte sich Gaga auf "Chromatica" stärker auf die 90er Jahre. So findet man auf dem Album etwa kräftig vom Eurodance geküsste Ohrwürmer wie das melodische "Alice", das simple aber wirkungsvoll mitreißende "Stupid Love", oder das hymnisch-schöne "Free Woman". In letzterem sind aber auch (Euro-)House-Einflüsse auszumachen, die an anderen Stellen der Platte ebenfalls in den Vordergrund rücken - wie vor allem im famosen Hit "Rain on Me" im Duett mit Ariana Grande, welches doch sehr nach den frühen Daft Punk schmeckt, oder in "Sour Candy" mit der K-Pop-Girlgroup Blackpink, das eher Erinnerungen an den House der frühen bis mittleren 90er Jahre weckt. Daneben kann man dann zudem u.a. noch die emotionale Dance-Perle "Fun Tonight" finden, das mit Elektro- und Techno-Elementen spielende "911", aber auch den famosen und perfekt als Single taugenden Synth-Pop-Hit "Plastic Doll", die leidenschaftliche, an die frühen 90er gemahnende Dance-Pop-Nummer "Enigma", oder das großartige und ziemlich offensichtlich von Madonnas 1990er Klassiker "Vogue" inspirierte "Babylon". Und selbstverständlich darf auch der Song nicht unerwähnt bleiben, der meines Erachtens das Herzstück des Albums verkörpert: das grandiose, kreative und teils gar unkonventionelle Duett "Sine From Above" (♪♫♪) mit Elton John, welches als nachdenkliche Ballade beginnt, sich bis zum Refrain zu einer epischen Dance-Hymne steigert, und zum Ende in wirbelnden Drum'n'Bass-Beats mündet. Und so erlebte Lady Gaga mit "Chromatica" meines Erachtens nicht einfach nur eine lapidare Rückkehr zu alter Form - hier  zeigte  sie sich viel eher in der Form ihres Lebens! Denn ein so geschlossenes, ausfallfreies und in ihrem ganz eigenen Kosmos authentisches Album wie "Chromatica", hat man in meinen Augen von Lady Gaga bislang noch nicht gehört!





12. HALSEY - "MANIC"

Ich muss ja gestehen, dass die junge US-Musikerin Ashley Frangipane alias Halsey in den ersten Jahren ihrer Karriere noch unter meinem musikalischen Radar hindurch flog, und höchstens 2016 durch den gemeinsamen Hit "Closer" mit The Chainsmokers zu mir durchdringen konnte - auch wenn ich da noch nicht den blassesten Schimmer hatte, wer sie eigentlich genau war. Das mag natürlich auch mit daran liegen, das trotz solider erster Erfolge mit ihren beiden ersten Alben "Badlands" (2015) und "Hopeless Fountain Kingdom" (2017), die auch von Kritikern zumindest wohlwollend aufgenommen wurden, der große internationale Durchbruch in die 1. Liga des zeitgenössischen Pop noch ausgeblieben war. Denn ein wirklich großer Wurf fehlte in ihrer Diskografie bis dahin noch - was sich aber recht schnell ändern sollte, wodurch sie dann auch endlich auf meinem Radar auftauchte. Den Anfang nahm dabei ihrer großer 2018er Welthit "Without Me", gefolgt von ihrem Feature-Beitrag auf dem 2019er Hit "Boy With Luv" von BTS. Doch was sie dann gleich zu Beginn des Jahres 2020 unter dem Titel "Manic" als ihr drittes Studioalbum veröffentlichte, sollte mich endgültig überzeugen. Hier hatte die Sängerin nach eigener Aussage vor, ein roheres und persönlicheres Album zu machen, als sie es bisher getan hatte, und das ist ihr auch allemal gelungen. Denn was sie hier geliefert hatte, war so kreativ, vielseitig, authentisch und persönlich, wie nur wenige andere Pop-Alben seines Jahrgangs. Und so zappt sich die junge Dame auf "Manic" durch diverse Genres, die bei ihr nicht nur allesamt sitzen wie angegossen, dabei lässt sie auch noch reihenweise Ohrwürmer, Hits und andere Pop-Perlen aus dem Ärmel purzeln. Dazu zählt auch der besagte 2018er Welthit "Without Me", aber selbst ohne diesen hätte das Album mehr als genug Argumente, warum es als eines der besten Pop-Alben des Jahres 2020 zu betrachten ist. So wie etwa mit dem nachdenklichen und autobiografischen Opener "Ashley", dem von akustischen Gitarren, rhythmischen Beats und softer Elektronik getragenen "Graveyard", dem vollkommen unkitschigen und teils geradezu spacigen Country-Pop-Hit "You Should Be Sad" (♪♫♪), oder der emotionalen und hervorragend produzierten Ballade "Forever (Is a Long Time)". Und auch mit dem deutlich von den Beach Boys angefixten "Dominic's Interlude" mit Dominic Pike, dem herrlich 90s-orientierten Rock-Ohrwurm "3AM", oder dem eindringlichen "Alanis' Interlude", auf dem Gastsängerin Alanis Morissette übrigens eine ihrer stärksten Leistungen seit den 90er Jahren abrufen konnte. Oder ebenso mit dem schwermütig schönen "Suga's Interlude", auf dem Suga von BTS als Gastrapper und Co-Produzent glänzt, sowie mit der auf sanfte Weise geradezu hymnischen und zeitlosen Pop-Perle "Still Learning". All das - und natürlich noch ein wenig mehr - ergibt ein so fabelhaftes, vielseitiges und maximal authentisches Album, dass es für mich auch trotz der zahlreichen und starken Konkurrenz hörbar aus dem Musikjahr 2020 herausragt.





11. PERFUME GENIUS - "SET MY HEART ON FIRE IMMEDIATELY"

Ich pflege ja schon seit Jahren meine Bewunderung für den amerikanischen Künstler Michael Hadreas, der aber vor allem unter seinem Künstlernamen Perfume Genius bekannt ist. Ganz genau genommen war es sein zweites Album "Put Your Back N2 It" im Jahr 2012, mit dem für mich alles begann. Sein vorangegangenes Debüt "Learning" lernte ich im Rückblick dann auch schnell kennen und lieben, ebenso wie mich auch die beiden späteren Alben "Too Bright" (2014) und "No Shape" (2017) voll und ganz zu überzeugen wussten. Ironischerweise sollte es sein jüngstes und mittlerweile 5. Studioalbum "Set My Heart On Fire Immediatley" sein, dass zu Beginn keinen allzu glatten Start bei mir hatte - und das, trotzdem es mit einem Metacritic-Schnitt von 91/100 sein bisher von Kritikern am meisten gefeiertes Album darstellt. Doch das sollte nur ein vorübergehender Zustand sein, muss man sich doch vielleicht erst einmal mental ganz für das öffnen, was der heute 39jährige Singer/Songwriter auf dieser Platte wunderbares und kreatives ausgeheckt hat. Denn trotzdem er der Traurigkeit und dem Drama seiner Frühwerke schon auf seinen letzten zwei Alben weit mehr Klangfarben folgen ließ, spielt er diesbezüglich mit "Set My Heart On Fire Immediatley" dennoch in einer ganzen eigenen Liga - experimentiert er hier doch mit den teils grundverschiedensten musikalischen Ausrichtungen. So schon gleich zu Beginn des Albums, wenn er auf dem von klassischen Balladen à la Roy Orbison inspirierten Opener  "Whole Life" über das Altern singt, während er gleich darauf im dreckig grungig veranlagten "Describe" düstere emotionale Abgründe erforscht, und dann im blumigen "Without You" mit Country-Einflüssen spielt. Und diese bunte, aber zunehmend immer faszinierendere Vielfalt setzt sich auch auf den restlichen Stücken des Albums fort. So gelang ihm mit der gefühlvoll warmen  Ballade "Jason" 
(♪♫♪) ein wunderbar barockes Meisterstück, in "On The Floor" packt er dann sogar farbenfroh schunkelnde Rock&Roll-Vibes aus, und lässt mit "Your Body Changes Everything" rhythmische, teilweise düstere und zugleich erotische Klänge auf den Hörer einprasseln. Und ebenso muss man mindestens auch noch das rockig-elektronische und minimalistische "Nothing At All", das sanfte und getragene, beinahe schon zerbrechlich schöne "One More Try", oder das großartige "Some Dream", welches als sanfte und tieftraurige Ballade beginnt und endet, aber zwischendurch von rohen und rotzigen Gitarrenklängen dominiert wird. Bei einer derartigen stilistischen, wie auch emotionalen Bandbreite, kann einem mitunter ganz schwindelig werden - letztendlich aber vor allem vor Freude! Denn "Set My Heart On Fire Immeditally" mag definitiv nicht das am leichtesten zugängliche Werk in dem bisherigen künstlerischen Schaffen von Perfume Genius sein, aber eines seiner besten und ambitioniertesten ist es allemal. 





10. TAME IMPALA - "THE SLOW RUSH"

Das australische Musikprojekt Tame Impala hat sich über die vergangenen 10 Jahre und seine bisherigen drei Studioalben "Innerspeaker" (2010), "Lonerism" (2012) und "Currents" (2015) nicht nur als beständige Größe im Indie etabliert. Nein, durch seine kreative Kopfgeburt Tame Impala, hat der Sänger, Songwriter und Produzent Kevin Parker auch schon seinen Weg in den Mainstream gefunden, haben doch auch schon Mark Ronson, Rihanna, Lady Gaga oder Kanye West seine musikalischen Dienste in Anspruch genommen. Kein Wunder, besitzt Parker doch so viel Talent, dass es für mehrere Karrieren ausreichen würde. So ist er nicht nur das einzige Mitglied von Tame Impala, er erschafft die Alben seines Projekts auch praktisch im kompletten Alleingang, und ist neben dem Songwriting, dem Gesang, den Instrumenten, der Produktion oder dem Abmischen in der Regel sogar für das Design des Cover-Artworks verantwortlich. Und das dabei dann bei auch noch immer wieder absolut fabelhafte Musik herauskommt, konnte er zuletzt in diesem Jahr mit Tame Impalas viertem Studioalbum "The Slow Rush" wunderbar demonstrieren. Denn hier lieferte er zwar einerseits den in schönste Melodien gegossenen Psychedelic-Pop, den man von ihm und seinem Projekt gewohnt ist, gab all dem aber dennoch einen ganz eigenen Anstrich. Welchen genau, lässt sich dabei in Worten gar nicht mal so leicht beschreiben, klaubte sich Parker auf "The Slow Rush" seine Einflüsse doch clever aus rund 6 Jahrzehnten der Pop- und Rockmusik zusammen. So startet der fabelhafte Opener "One More Time" mit melancholisch tanzbarem Space-Pop in das Album, das zeitlos wunderbare und geradezu nach einem Hit schreiende "Borderline" (♪♫♪) besticht dann durch Disco- und Soft-Rock-Elemente, während "Posthumous Forgiveness" (♪♫♪) einen Ausflug in schillernde Klangsphären aus Prog- und Space-Rock unternimmt, dabei anfangs noch nach einer sehr spacigen Version von Led Zeppelin klingt, nur um im letzten Drittel in einen eigentlich vollkommen anderen Song zu mutieren, auf dem Parkers Gesang zu einer lieblichen Melodie auf  butterzarten Synthesizern dahin schwebt.  In "Breathe Deeper" erstrecken sich dann die Einflüsse von 70s-R&B, über 80s-Fleetwood Mac und bis hin zu 90s-Daft Punk, und das von nostalgisch 70s-infiziertem R&B und Soul geprägte "On Track" wurde von Kritikern hingegen schon mit den Arbeiten von Daryl Hall (Hall & Oates) verglichen. Aber das war noch längt nicht alles, zieht uns u.a. doch etwa auch noch "Lost in Yesterday" mit einer Extraportion Funk und einer unwiderstehlichen 80s-Bassline auf die Tanzfläche, während "Glimmer" mit schicken House-Vibes aufwartet, "Is It True" einen ansteckend boogie-artigen Groove auspackt, und "It Might Be Time" sich als famoser Psychedelic-Rock-Hit mit treibenden Drums, Piano und Electronica-Elementen empfiehlt. Und in den weiteren Stücken wurden von diversen Kritikern auch noch zahlreiche andere Einflüsse aus Stilen wie Philly-Soul, Acid House, 90s-Techno, u.v.m. identifiziert. Oder um es einfach mal mit einem Zitat von NPR auszudrücken: "Listen closely and you can pick up traces of Rick James, Paul McCartney and Wings, Ravel, Childish Gambino, Pink Floyd, Human League, Prince and on and on." Dem ist wahrlich kaum noch etwas hinzuzufügen. Außer, dass Kevin Parker mal wieder nicht anders konnte, als aus all dem ein rundes und stimmiges, aber vor allem anderen geradezu fantastisches Album zu destillieren. 







9. SUFJAN STEVENS - "THE ASCENSION"

Es gibt nicht allzu viele große kreative Köpfe in der zeitgenössischen Musik, bei denen es einem Naturgesetz gleichzukommen scheint, dass man von ihnen immer wieder mindestens Hervorragendes, wenn nicht sogar Herausragendes erwarten kann - und die dann dabei auch noch in die verschiedensten Richtungen und Stile experimentieren, ohne das ihre Kunst dabei aber je an Qualität, Seele oder Tiefe einbüßen würde. Einer davon ist fraglos der amerikanische Sänger, Songwriter und Multiinstrumentalist Sufjan Stevens. So ist der Musiker zwar schon seit den 90ern als solcher aktiv, aber allein schon in den letzten paar Jahren hat er musikalisch auf so vielen verschiedenen Hochzeiten getanzt, wie andere in jahrzehntelangen Karrieren nicht. So legte er mit seinem bislang letzten Soloalbum "Carrie & Lowell" (2015) ein zurecht von Kritikern bejubeltes Lo-Fi/Folk-Meisterwerk vor, kreierte dann gemeinsam mit Bryce Dessner, Nico Muhly und James McAllister den spacigen Psychedelic-Prog-Epos "Planetarium" (2017) und veröffentlichte Anfang diesen Jahres zusammen mit seinem Stiefvater Lowell Brahms das von Enya beeinflusste New-Age-Album "Aporia". Und auch auf seinem jüngsten Soloalbum  ging er wiederum ganz andere Wege - und zwar überwiegend elektronische. Denn das von Sufjan Stevens selbst produzierte "The Ascension" bietet intelligenten, facettenreichen, kreativen und atmosphärischen Elektropop, der dem Künstler mindestens ebenso gut steht, wie praktisch jeder andere Stil, an dem er sich bislang versucht hat. Denn egal welche Klanglandschaften er auch immer erforscht, leitet ihm bei all dem stets sein unglaubliches Gespür für wunderbare Melodien und zeitlos schöne Songs - was er auch auf diesem Album wieder einmal deutlich machte. Da wäre schon gleich zum Einstieg der wunderbare Opener "Make Me An Offer I Cannot Refuse", der ein wenig an die elektronisch-atmosphärischen Klanglandschaften von Björk oder Radiohead denken lässt, gefolgt von der fast schon meditativ getragenen und zu Herzen gehenden Ballade "Run Away With Me", und dem fantastischen "Video Games" (♪♫♪), hinter dem sich ein heimlicher Hit aus einer geradezu catchy Melodie, einem verträumt tanzbaren Rhythmus und herrlich minimalistischen Früh-80er-Synthesizern verbirgt. Und die Reise sollte auf "The Ascension" ebenso spannend weitergehen, wie sie begonnen hat - und führt dabei u.a. über das zuerst fast schon bedächtig schwebende, aber sich zum Ende hin hymnisch aufbauende "Tell Me You Love Me", das von deutlich experimentellerer Elektronik geprägte "Ativan", das tolle und auf seine anspruchsvollere Art geradezu hittaugliche "Landslide", oder über das herrlich düstere, 80s-infizierte und von einem prägnanten Groove angetriebene "Death Star" - und führt letzten Endes bis zum mehr als 12-minütigen, geradezu hypnotischen Protest-Epos "America" (♪♫♪), der das Album beendet. Und trotz seines hohen Maßes an Kreativität, sowie seinem durchaus spürbaren Hang zum Experiment, klingt all das dennoch nie verkopft, sperrig oder überfordernd. Stattdessen zeigt sich Sufjan Stevens auf "The Ascension" einfach wieder einmal als fantastischer Musiker, der irgendwie nichts falsch zu machen scheint.






8. HAIM - "WOMEN IN MUSIC PT. III"

Das die amerikanische Band HAIM um die drei Schwestern Danielle, Alana und Este Haim definitiv auf die Seite der Guten im zeitgenössischen Pop/Rock gehört, ist ja eigentlich schon ein paar Jährchen bekannt. Und so konnten sie sich mit ihren bisherigen zwei Alben "Days Are Gone" (2013) und "Something To Tell You" (2017) bereits vollkommen zurecht einen Menge Respekt erspielen. Doch all der Qualitäten ihres bisherigen Outputs zum Trotz, sollten die jungen Damen in 2020 mit ihrem dritten Album "Women in Music Pt. III" erstmals ihr volles Potential entfalten. Denn so kreativ und inspiriert wie auf "Women in Music Pt. III", hatte man HAIM bislang auf Albumlänge noch nicht erlebt. Hier purzeln die musikalischen Perlen praktisch unaufhörlich aus den Boxen, die sich dabei durch verschiedenste Stile und Bezüge arbeiten. Der Opener "Los Angeles" startet etwa gleich mit jazzigem Saxofon und rhythmischen Drums in einen schlussendlich sommerlich-nostalgischen Ohrwurm, in "The Steps" (♪♫♪) bedienen sie sich daraufhin an stimmungsvollen Rock-Einflüssen, die nach den frühen 90er Jahren schmecken, mit seinem "rumpelnden" Groove und seinen spacigen Gitarrenriffs entwickelt dann später das fantastische "Up from a Dream" (♪♫♪) eine nahezu Led-Zeppelin-artige Atmosphäre, und auf "3AM" geben sie sogar eine geschmeidige und unwiderstehliche G-Funk-Perle zum Besten, dass man zwischenzeitlich denken könnte, die frühen 90er wären nie zu Ende gegangen. Das wunderbare "Another Try" paart dann softe Raggae-Vibes mit feierlichen Bläsern und einer warmen Atmosphäre, in "Leaning On You" folgen sie wiederum einem wunderbar puren und folkigen Sound, während die famose, rohe und minimalistische Singer/Songwriter-Hymne "Man from the Magazine" gewisse Erinnerungen an Joni Mitchell weckt. Und selbstverständlich sind da ja auch noch die tollen ersten drei Vorab-Singles, die schon im vergangenen Jahr veröffentlicht wurden: der rhythmische und zugleich relaxte Indie-Synthpop-Ohrwurm "Now I'm In It" (das bei mir stets Erinnerungen an den 1997er Hit "I Want You" von Savage Garden weckt), die wunderschöne und beinahe zu Tränen rührende Folk-Ballade "Hallelujah",  oder die entspannte und funky Indie-Pop-Nummer "Summer Girl", die mit wunderbarem Einsatz von Saxofon wie ein warmer Sommerwind in die Gehörgänge weht. 
Und so hat das Trio mit "Women in Music Pt. III" unter Beihilfe ihrer Co-Songwriter/-Produzenten Rostam Batmantanglij (ehemals Vampire Weekend) und Ariel Rechtshaid (Vampire Weekend, Madonna, Solange) ein so unbestrittenes Meisterwerk vorgelegt, dass ihre vorangegangenen - und hervorragenden - Werke dagegen fast schon wie Aufwärmübungen klingen. Ein Album, das man im Jahr 2020 gehört haben muss.







7. JESSIE WARE - "WHAT'S YOUR PLEASURE?"

In diesem Jahr - und auch in dieser bisherigen Jahresbestenliste - sind wir einigen hochkarätigen weiblichen Dance- und Disco-Pop-Alben begegnet, die fraglos mit zum Besten gehören, was dieses Genre in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. So wie etwa Kylie Minogues "Disco", Lady Gagas "Chromatica" oder Dua Lipas "Future Nostalgia", die dabei gerechterweise auch kommerziell gewaltig einschlagen sollten. Dagegen sollte die Britin Jessie Ware mit ihrem mittlerweile vierten Album "What's Your Pleasure?" nur vergleichsweise geringe breite Aufmerksamkeit erregen - wenngleich es zumindest meiner Meinung nach zu den unwiderstehlichsten und besten Platten seiner Art gehört, die man im Jahr 2020 zu hören bekam. Denn zusammen mit Co-Songwriter und Produzent James Ford (Arctic Monkeys, Gorillaz, Foals) sollte sie hier nostalgische und zeitgenössische Disco- und Dance-Bezüge auf so authentische und zeitlose Weise zu einem fabelhaften Pop-Album vermengen, wie es in der Form in 2020 niemand anderem gelingen sollte. So geht das Album im geschmeidig schwerelosen und von sanften Streichern begleiteten Opener "Spotlight" mit 90s-House-Klängen los, schwenkt dann im unwiderstehlich sinnlichen und tanzbaren Titelsong "What's Your Pleasure?" hinüber zu eher von Electronica und Italo-Disco geprägten Gefilden, versprüht auf dem catchy und relaxten Ohrwurm "Ooh La La" 
(♪♫♪) funky Disco-Vibes, und erinnert in  der famosen Synth-Pop-Perle "Soul Control"(♪♫♪)  wiederum auf wunderbare Weise an die frühen Tage von Madonna. Und das war keineswegs ein Querschnitt der stärksten Songs des Albums, sondern nur die ersten vier Stücke - und denen folgen noch so viele andere Perlen, dass einem fast gar keine andere Wahl bleibt, als sich in dieses Album zu verlieben. So etwa der nahezu hypnotisch elektronische und von schwebenden Streichern untermalte Euro-Disco-Ohrwurm "Save a Kiss", die atmosphärisch getragene Elektropop-Perle "Adore You", das sinnlich housige und clubige "Mirage" (welches geschickt Bananaramas 80er-Hit "Cruel Summer" zitiert), oder auch das mit seinem von Bläsern und Streichern angereicherten Synthpop-Sound vage an Depeche Mode und die Pet Shop Boys erinnernde "The Kill".  In meinen Augen hat Jessie Ware hier durchaus etwas erstaunliches geleistet. Denn nachdem sie mich bereits mit ihrem 2012er Debüt "Devotion" vollends begeistert hatte, allerdings mit ihren beiden weiteren Soloalben "Tough Love" (2014) und "Glasshouse" (2017) leider nie an dessen Qualität anknüpfen konnte, sollte ihr in 2020 mit "What's Your Pleasure?" die bislang stärkste Leistung ihrer Karriere gelingen. Und auch wenn der große Hype darum abseits der fantastischen Kritiken leider weitestgehend ausgeblieben ist, muss es dennoch fraglos mit zum Besten gezählt werden, was der Pop des Jahres 2020 zu bieten hatte.






6. RINA SAWAYAMA - "SAWAYAMA" 

Ein besonders spannender Newcomer des Jahrgangs 2020 war wohl definitiv die Singer-Songwriterin Rina Sawayama. Wobei man Newcomer dabei aber dennoch in Anführungszeichen setzen müsste. Denn die 30jährige japanisch-britische Musikerin hat einem in der Vergangenheit bereits mit einer ihrer gut ein Dutzend Singles auffallen können, die sie seit 2013 veröffentlicht hat, sowie aber auch mit ihrer EP "Rina" aus dem Jahr 2017. Es sollte aber bis zum Auftakt des neuen Musikjahrzehnt dauern, bis die Dame mit "Sawayama" auch endlich ihr Debütalbum veröffentlichte. Und auch wenn ich sie erst mit diesem Album entdeckt habe, werden wohl auch langjährige Begleiter ihrer bisherigen Musik mir sicherlich beipflichten, dass dieses Album seine Wartezeit allemal wert war. Denn hier hat sie ein so intelligentes, mitreißendes und frisches Pop-Meisterwerk ausgeheckt, welches nostalgisch und futuristisch zugleich anmutet. Denn passend zu den Geschichten aus ihrem Leben, die sie in den Lyrics erzählt, und die über ihre Familie und ihre Identität handeln, welche von den sehr gegensätzlichen Kulturen Japans und Englands geprägt ist, kreierte sie hier eine nostalgische wie auch vielfältige Atmosphäre aus Sounds und Stilen der 2000er. Eben weil diese Dekade nach Aussage der Künstlerin auch den Soundtrack zu all den Dramen darstellte, die sie auf ihrem Debüt besingt. Und so tummeln sich auf "Sawayana" auch die verschiedensten und gegensätzlichsten Bezüge und Stile, die oft hörbar von Musikern wie Lady Gaga, Britney Spears oder Gwen Stefani, aber auch von No Doubt, Evanescence oder Korn inspiriert sind. Und all das vermischt sie - manchmal sogar innerhalb eines einzigen Songs - zu so einem kreativen und erstaunlich runden Sound, dass man sich fragen muss, ob jemals zuvor jemand so etwas schon einmal gemacht hat. So beachte man neben dem hymnisch rockigen Einstieg mit dem Opener "Dynasty" auch gleich darauf das famose "XS" (♪♫♪), welches den typischen R&B der frühen 2000er zitiert, mit einer ordentlichen Prise Britney Spears vermengt, und mit ein paar treibenden Gitarrenriffs garniert. Oder etwa gleich im Anschluss das aggressiv nach vorn gehende "STFU!", das Nu-Metal mit Pop auf einen Nenner bringt. Doch das deckt noch lange nicht die stilistische Bandbreite des Albums ab. Da gibt es etwa noch so eine entspannte und dennoch catchy Melange aus Disco, Funk und House wie in "Comme des Garçons (Like The Boys)", oder auch den schillernd mitreißenden und mit 80s-Pop flirtenden Ohrwurm "Paradisin", welcher laut Künstlerin wie der Titelsong einer TV-Show über ihre Jugend klingen sollte. Ebenso aber etwa auch die wunderbare und soft elektronische Pop-Perle "Bad Friend", die fabelhafte und mitreißende Stadion-Rock-Hymne "Who's Gonna Save You Now?", der herrlich warme und mit Sicherheit von Carly Rae Jepsen inspirierte Synthpop-Ohrwurm "Tokyo Love Hotel", oder die zeitlos schöne Pop-Hymne "Chosen Family" (♪♫♪), welche die Künstlerin in Gedanken an die LGBTQ-Szene schrieb, die sie als ihre eigene "chosen family" betrachtet. Auch wenn auf dem Papier bei so vielen unterschiedlichen Stilen eigentlich nichts zusammenzupassen scheint, verbinden sich die Songs von "Sawyama" zu einem fantastischen und herausragenden Debüt, welches in seiner überschäumenden Kreativität vielleicht sogar als Blaupause für den Pop der kommenden Jahre dienen könnte. Denn einen Großteil der Musik im Jahrgang 2020 hat es schon mal locker in die Tasche gesteckt.








5. THE 1975 - "NOTES ON A CONDITIONAL FORM" (2020)

Seit ihrem selbstbetitelten Debüt im Jahr 2013, konnte sich die britische Rockband The 1975 ja fraglos einen großen und spannenden Namen in der Musikwelt machen - und auch vor allem spätestens mit ihrem dritten Studioalbum "A Brief Inquiry Into Online Realtionships" (2018) auch zu wahrhaften Kritikerlieblingen avancieren. Doch das ist jüngst doch wieder etwas schwieriger geworden. Denn was sie im Jahr 2020 als ihr viertes Studioalbum "Notes on a Conditional Form" ausgeheckt hatten, sollte eine geradezu polarisierende Wirkung auf viele Hörer und vor allem Kritiker ausüben. Und zwar in solch einem Ausmaß, dass es sogar zu der seltenen Situation führte, dass das Album von namhaften Magazinen sowohl mit Höchstwertungen geadelt (der NME etwa vergab 5 von 5 Punkten), als auch nahezu in der Luft zerfetzt wurde (The Independent watschte es mit 1 von 5 Punkten ab). Und mal ehrlich: ganz so leicht machen sie es auch nicht jedem mit diesem Album, welches schon auf seinem Opener "The 1975" mit einer 5-minütigen, von Ambient-Music untermalten Protestrede von Greta Thunberg beginnt. Doch auf welch eine wilde und ereignisreiche musikalische Reise man sich hier begibt, wird noch deutlicher, wenn sie direkt im Anschluss mit  "People" einen Abstecher in treibend rotzige Gefilde aus Industrial-Rock und Anarcho-Punk unternehmen, um danach sofort im verträumten und orchestralen Instrumental "The End (Music for Cars)" zu münden. Und das ist erst der Anfang eines langen und spannenden musikalischen Abenteuers, denn auf "Notes on a Conditional Form" durchstreifen 1975 über insgesamt 22 Songs und fast 1 1/2 Stunden Musik derart gegensätzliche Stile und Stimmungen, dass es fraglos manch einen Hörer gnadenlos überfordern kann. Doch fragt man mich persönlich, ist gerade das die besondere Stärke des Albums. Denn auch wenn der Vergleich etwas hinken mag, aber auf gewisse Weise ist "Notes on a Conditional Form" wie eine gute Fantasy-Geschichte: hier kann praktisch alles passieren...und das tut es auch. Hat man sich diesem Brocken von einem Album erst einmal ganz geöffnet, wird man auch schnell merken, dass es trotz seines gewaltigen Umfangs keinen einzigen überflüssigen Song zu bieten hat.  So beachte man nebst anderen Stücken etwa das wunderbare und mit Auszügen aus UK-Garage, Post-Dubstep und Electronica gebastelte "Frail State of Mind", die zugleich eingängige wie experimentelle Elektro-Pop-Perle "Yeah I Know", oder die zeitlose und nach den 90s schmeckende Pop-Rock-Hymne "Then Because She Goes". Ferner muss man aber auch noch andere Perlen erwähnen, wie die emotionale, sanfte, und leichte Erinnerungen an Sufjan Stevens weckende Country-Folk-Ballade "Jesus Christ 2005 God Bless America" 
(♪♫♪) im Duett mit Phoebe Bridgers, den mit Shoegaze- und Dream-Pop-Bezügen sehr schöne Früh-90er-Vibes versprühenden "You & Me Together Song", oder das herrlich mit elektro-popigen Elementen ausgestattete "I Think There's Something You Should Know". Oder aber auch das mit einer Kombination aus House, Electronica und Dancehall aufwartende "Shiny Collarbone", die unkaputtbar gute und warme Midtempo-Hymne "Guys", oder  das catchy melodische "If You're Too Shy (Let Me Know)" (♪♫♪), welches mit Einflüssen aus Pop-Rock und Synthpop, sowie einem leidenschaftlichen Saxofon-Solo wie ein verschollener Hit der 80er anmutet. Was "Notes on a Conditional Form" aber in meinen Augen so besonders macht, ist nicht einfach nur seine enorme Vielseitigkeit - sondern vielmehr, dass praktisch jede Sekunde und jede Stilrichtung des Albums so authentisch und überzeugend klingt, als hätte die Band nie etwas anderes gemacht. Und das alles haben sie dann auch noch in eine nahezu nicht enden wollende Reihe von Songs gebannt, von denen jeder einzelne auf seine Weise nach einem Klassiker klingt. 






4. BTS - "BE"

Wenn es in 2020 ein Album gab, das einen inmitten dieses von der Corona-Pandemie gebeutelten Jahres daran zu erinnern vermochte, dass es auch wieder bessere Zeiten geben wird, dann war dies in meinen Augen zweifellos "BE" von BTS. Wobei es allerdings ein Glück im Unglück war, dass dieses Album überhaupt jemals entstanden ist. Denn nachdem im Februar 2020 erst ihr letztes Album "Map of the Soul: 7" erschienen war, hatte die Band eigentlich gar nicht geplant, in diesem Jahr noch ein weiteres Album zu veröffentlichen - zumal sie die meiste Zeit davon eh mit ihrer Stadion-Welttournee beschäftigt gewesen wäre, die sie u.a. auch an 2 Tagen ins Berliner Olympiastadion geführt hätte. Doch dann kam die Corona-Pandemie und zahlreiche Einschränkungen, die Touren, Konzerte und vieles andere noch immer unmöglich machen. Und diese unfreiwillige Freizeit nutzte die stets extrem umtriebige Band keineswegs zum Faulenzen, sondern stattdessen auf sehr kreative Weise: sie kreierten dieses Konzeptalbum, auf dem die Bandmitglieder RM, Jin, Suga, J-Hope, Jimin, V und Jungkook ihre Eindrücke und Gedanken zu diesem von Entbehrungen, Ängsten und Isolation geprägten Jahres zum Ausdruck brachten, um damit den Hörern und der Welt ein wenig Hoffnung und Zuversicht zu schenken. Und das wird schon in der Leadsingle deutlich, die das Album eröffnet. Denn die warme und mit minimalistischen Akustikgitarren angereicherte Alternative-HipHop-Perle "Life Goes On" (♪♫♪die im übrigen den historischen Erfolg zu verbuchen hat, als erster koreanischsprachiger Song in der Geschichte den 1. Platz der US-Charts erreicht zu haben) beschreibt sehr treffend die Einsamkeit und menschenleeren Straßen während der weltweiten Lockdowns: "One day, the world stopped without any warning / Spring didn't know to wait, showed up not even a minute late / Streets erased of footprints / I lie here, fallen to the ground / Time goes by on its own, without a single apology." Und doch zeigt sich der Song in seinem Kern als hoffnungsvolle Durchhalte-Hymne, wenn es etwa im Refrain heißt: "Like an echo in the forest / The day will come back around / As if nothing has happend / Yeah, life goes on / Like an arrow in the blue sky / Another day flying by / On my pillow, on my table / Yeah, life goes on / Like this again."  Ähnlich geht es dann im gleich darauf folgenden "Fly To My Room" weiter, welches sich an Elementen aus 90s-R&B und Gospel bedient, und sich inhaltlich damit befasst, der Frustration durch Isolation und erzwungene Untätigkeit zu entkommen. "It's so frustrating, it's driving me crazy / Feels like it's still day one / Somebody turn back the clock / The entire year got stolen", heißt es gleich zum Beginn des Songs, bis sie aber zu der Erkenntnis gelangen, dass man das Beste aus der Situation machen muss: "Let's go, let me fly to my room / Lower your gaze and zoom anywhere / Come on now, let me fly to my room / Get me outta my blues / And now I'm feeling brand new." Und dem folgt die wunderbare und emotionale, von Akustikgitarren begleitete Ballade "Blue & Grey", die sich mit Depressionen auseinandersetzt, aber ebenso auch mit dem Wunsch, glücklicher werden zu wollen: "I just wanna be happier / To melt the cold me / My hands have reached out countless times / Colorless echo / Oh, this ground feels so heavier / I am singing by myself / I just wanna be happier." Nachdem "BE" bis hierher nun insgesamt eher ruhig, nachdenklich und introvertiert begann, geht ab der Mitte des Albums die Stimmungskurve allerdings kontinuierlich nach oben. Das beginnt mit dem von Disco und Funk geprägten "Telepathy", in dem die Band auf optimistische Weise das Gefühl ausdrückt, ihre Fans während der Pandemie nicht sehen zu können, setzt sich dann fort in der verdammt funky Oldschool-Rap-Nummer "Dis-ease", die von dem aktuellen Gefühl der Unsicherheit, aber zugleich auch von einer hoffnungsvollen Zukunft kündet, sowie dem mitreißenden EDM-Ohrwurm "Stay", in welchem die Band darüber singt, wie sehr sie ihre Fans vermissen. Und all das mündet dann schlussendlich im großen Finale des Albums, mit dem Welthit "Dynamite" (♪♫♪): einem ungemein catchy Disco-Pop-Kracher, der wunderbare 70's-Vibes versprüht, zurecht zu einem absoluten Welthit avancierte (wie u.a. Platz 1 in den USA, und Top 10 in zahlreichen Ländern wie England, Australien, Kanada, Deutschland, Japan, u.v.m. ), und sogar für einen Grammy nominiert ist. Nach nur 7 Songs und einer knappen halben Stunde Musik, ist der ganze Spaß dann auch schon wieder vorbei - aber das macht gar nichts, da Qualität bekanntlich über Quantität geht. Und mit "BE" haben BTS einen wunderbaren musikalischen Zeitzeugen geschaffen, der nicht nur auf ihre Weise die Gefühle und Eindrücke während der Corona-Pandemie für die Nachwelt in der Musikgeschichte konserviert. Sie unternahmen damit zudem den äußerst ambitionierten wie auch geglückten Versuch, dem Hörer während der noch andauernden Krise ein wenig Trost und Zuversicht zu spenden. Ein Album, das die Welt nach dem Jahr 2020 wahrlich gebraucht hat!





3. DECLAN McKENNA - "ZEROS"

Das der britische Sänger und Songwriter Declan McKenna ein überaus begabter Musiker ist, sollte in einer etwas gerechteren Welt eigentlich keinem ein großes Geheimnis mehr sein. Denn trotz seiner durchaus immer weiter steigenden Popularität, ist dies trotzdem leider noch viel weniger Menschen bekannt, als es sollte - konzentriert sich selbige wohl auch größtenteils auf die Indie-Szene. Die breitere Masse hat den jungen Mann allerdings immer noch nicht auf dem Schirm, was einem geradezu tragischen Versäumnis gleichkommt. Denn bereits vor ein paar Jahren konnte man sich von seinem zweifellosen Talent überzeugen, als er im Jahr 2017 sein hervorragendes Debütalbum "What Do You Think About The Car?" veröffentlichte. Und damit lieferte der damals gerade einmal 18 Jahre junge Musiker, der die meisten der Songs zwischen seinem 15. und 17. Lebensjahr komponiert hatte, eine so starke Leistung ab, dass meine Begeisterung darüber bis heute ungebrochen ist. In 2020 sollte der mittlerweile 22jährige dann auch endlich sein zweites Album "Zeros" aus der Taufe heben, und damit seinem eh schon immer augenscheinlichen Talent noch einmal besonderen Nachdruck verleihen. Denn die fraglos hohen Qualitäten seines Erstlingswerkes, konnte er auf "Zeros" mit Leichtigkeit überflügeln, klingt es doch tatsächlich noch geschlossener und fokussierter, als sein Vorgänger. Musikalisch blieb er dabei zwar seinen Indierock-Wurzeln treu, verschob den Gesamtsound aber deutlich in Richtung 60s/70s und Glam-Rock. Inhaltlich behandelt das Album währenddessen vor allem sozial- und gesellschaftskritische Gedanken und Geschichten, ist es laut Sänger doch unter anderem von dem Sachbuch "Homo Deus" des israelischen Historikers Yuval Noah Harari inspiriert. In selbigem wirft der Autor (der seit 2005 als Professor für Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem lehrt) die Frage auf, welche dystopischen Zukunftsszenarien für die Menschen eintreffen könnten, "wenn neue Technologien dem Menschen gottgleiche Fähigkeiten verleihen - schöpferische wie zerstörerische - und das Leben selbst auf eine völlig neue Stufe der Evolution heben", und vorher niemand eingreife. Derlei Bezüge werden schon zum Einstieg in das Album deutlich, wie im mitreißenden und ausgelassenen Opener "You Better Believe!!!", welcher mit seiner herrlich ungestümen Rotzigkeit ein wenig an die frühen Arctic Monkyes erinnert, und in der er wie von einer dystopischen und selbstzerstörerischen Welt erzählt: "We're gonna get ourselves killed / You're going overboard, babe, you're going nowhere / We're gonna get ourselves killed / What do you think about the rocket I built? / Is it so fast, so high speed? / It's just what you need." Und diese Thematik spiegelt sich in verschiedener Form auch in den weiteren Stücken wider. So etwa in der grandiosen und spacigen Glam-Hymne "Born To Be An Astronaut" (♪♫♪), welche unweigerlich Erinnerungen an David Bowie auf den Plan ruft, und die sich damit befasst, wie verletzend und unerreichbar Träume oft sein können. Ebenso im hervorragend von E-Gitarren und Piano angetriebenen, und unterschwellig psychedelischen "Daniel, You're Still a Child", in dem er über Menschen singt, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, und sich von der Welt um sich herum entfremden - was laut dem Künstler zudem auch die Kernaussage des enorm catchy und mit deutlicher 60s-Schlagseite glänzenden Indiepop-Ohrwurms "The Key To Life On Earth" (♪♫♪) ist. Sehr raffiniert geht es auch in "Sagittarius A*" zu, einem unwiderstehlichen Indiepop-Schunkler, der nach einem supermassereichen Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße benannt ist - und in dem McKenna diesen mächtigen, rücksichtslos alles verschlingenden Himmelskörper als Metapher für die mächtigen und rücksichtslosen Menschen nutzt, die auf lange Sicht unseren Planeten aus Eigennutz zerstören, und alle anderen mit in den Untergang ziehen: "You don't have to be sad about it, Mother Nature / Don't let the boys try to doubt it / 'Cause your reaction's all that they want / So just like you said to me once, have a day off / Everybody gets so tired of hearing what you said / When you think your money's gonna stop you getting wet / So Noah, you best start building / You better have ten thousand children / Because everybody wants to be one." Aber damit noch lange nicht genug. Denn mindestens ebenso erwähnenswert ist auch das fantastische, kreativ umgesetzte und stellenweise gar epische "Eventually, Darling", das laut Sänger vor allem symbolisieren soll, wie schmerzhaft und brutal Veränderungen sein können. Oder natürlich auch das von atmosphärischen Gitarren und Orgeln dominierte, aber sich  zum Ende in ein rasendes Klanggewitter steigernde "Twice Your Size", sowie der erneut ein wenig in Richtung der frühen Arctic Monkeys schielende Ohrwurm "Rapture" (♪♫♪), welche sich beide ziemlich direkt und erstaunlich charmant mit Endzeitszenarien auseinandersetzen. Und nach insgesamt 40 spannenden und atemlosen Minuten, lässt Declan McKenna einen nach "Zeros" nur noch mit dem dringenden Wunsch zurück, dass er hoffentlich noch eine große Karriere vor sich haben möge. Denn trotzdem ein Begriff wie "Indie-Wunderkind" mittlerweile leider ziemlich abgegriffen ist, hat Declan McKenna ihn allerdings fraglos verdient. Denn mit "Zeros" sollte er erneut unter Beweis stellen, dass man einen so talentierten Singer/Songwriter wie ihn wahrlich nicht alle Tage erlebt.





2. TAYLOR SWIFT - "FOLKLORE" & "EVERMORE"

Was war es in diesem Jahr doch für eine relativ schwere Wahl, was mein persönliches Album des Jahres angeht. Denn eigentlich müsste ich bereits Gold verleihen, wo es an dieser Stelle des Siegertreppchens doch eigentlich "erst" um Silber geht. Denn mir persönlich fiel es unheimlich schwer, anhand einer objektiven Bewertung zu entscheiden, wer den Platz an der Spitze meiner Jahresbestenliste in 2020 am meisten verdient hatte. Nun musste ich nach meinem Bauchgefühl entscheiden, wer in dieser Liste die Silbermedaille bekommt - und meine Wahl fiel auf gleich zwei Alben, die ich auf einem Rang zusammenfassen musste. Denn mit dem im Juli erschienenen "Folklore" und dem im Dezember nachgefolgten "Evermore", hat Taylor Swift in 2020 gleich zwei so fantastische wie qualitativ ebenbürtige Meisterwerke abgeliefert, die in einer so hör- und spürbar engen Verwandtschaft zueinander stehen, dass man eigentlich gar nicht anders kann, als sie gemeinsam auf einen Platz zu setzen - wie es u.a. USA Today, Variety und Slate in ihren Jahresbestenlisten immerhin auch getan haben. Die Alben sind zudem auch eine Art Dokument dafür, wie man auch eine Krise in kreative Energie umwandeln kann. Denn eigentlich wäre Taylor im Frühjahr 2020 mit ihrem "Lover Fest" um die Welt gezogen, um ihr letztjähriges Erfolgsalbum "Lover" zu bewerben - doch die Coronakrise, der mehrwöchige weltweite Lockdown und die Kontaktbeschränkungen, machten dies bekanntlich unmöglich. Und so nutzte Taylor die Zeit, um sich ganz in ihre Fantasie zu flüchten, und daraus das Album "Folklore" zu kreieren. Und so scheint es fast so, als hätten die Monate der sozialen Isolation den Wunsch in Taylor Swift geweckt, sich mehr zurück auf die Wurzeln und Ursprünge zu besinnen - auf all das, was jenseits von Tweets und digitalem Alltag wirklich von Bedeutung ist. Denn mit "Folklore" schuf sie ein verträumtes und bittersüßes, aber vor allem zeitlos schönes Indie-Folk-Meisterwerk, welches sämtlich auf zündende Ohrwürmer und Pop-Banger verzichtet. Stattdessen erschuf sie hier eine warme, emotionale und aufs Wesentliche reduzierte Atmosphäre, die einem Bilder von Wäldern und Seen vor Augen ruft, und in der sie uns wunderbare Geschichten von Erinnerungen und Nostalgie, von Liebe und Verlust, von Hoffnung und Schmerz erzählt. Das einführende "The 1" zeigt sich etwa gleich als nostalgisches, von warmen Piano-Klängen und sanften Handclaps begleitetes Gedankenspiel um ein alternatives Leben, in dem eine unerfüllte Liebe ein Happy End findet: "We were something, don't you think so? / Rosé flowing with your chosen family / And it would've been sweet / If it could've been me / In my defense, I have none / For digging up the grave,  another time / But it would've been fun / If you would've been the one." Wenn einem das noch nicht genug am Herzen zwickte, und Erinnerungen an die eine oder andere eigene unerfüllte Liebe weckt, dann wäre da auch gleich darauf die wunderschöne erste Single "Cardigan" (♪♫♪), welche von einer lange verlorenen, jugendlichen Liebe erzählt - und die in wunderbaren Bildern und Metaphern beschreibt, was eine Jugendliebe so besonders und prägend macht: "And when I felt like I was an old cardigan / Under someone's bed / You put me on and said I was your favourite / To kiss in cars and downtown bars was all we needed / You drew stars around my scars, but now I'm bleeding." Oder in der wunderschönen Ballade "Exile" (♪♫♪) im Duett mit Bon Iver, welches von zwei ehemaligen Geliebten erzählt, die ihr erstes Widersehen nach ihrer Trennung aus gänzlich gegensätzlichen Perspektiven betrachten, aber schlussendlich im gemeinsam Refrain beide übereinstimmen, dass sie nicht mehr zur Welt des anderen gehören: "I think I've seen this film before / And I didn't like the ending / I'm not your homeland anymore / So what am I defending now? / You were my town, now I'm in exile seein' you out / I think I've seen this film before / So I'm leavin' out the side door." Und was für weitere wunderbare Songs und darin verpackte Geschichten man noch so auf diesem Album entdecken kann. So etwa im wunderbaren "Mirrorball" (♪♫♪), in dem sie sich mit einer Discokugel vergleicht, welche die unterschiedlichsten Persönlichkeiten reflektiert, und andere unterhält - die aber in Millionen Stücke zersplittert, wenn ihr Herz gebrochen wird. Zu warmen und nachdenklichen Folk-Klängen folgt sie dann auf "Seven" bittersüßen Kindheitserinnerungen, erzählt in "August" mit den schönsten Worten von einer unglücklichen Sommerliebe, und beschreibt im wunderbaren und zugleich traurigen "Epiphany" eine Person, die in einer Welt voller Schmerz und Gewalt darauf hofft, Frieden in ihren Träumen zu finden - und ist u.a. durch die militärischen Erfahrungen ihres Großvaters inspiriert: "Keep your helmet, keep your life, son / Just a flesh wound, here's your rifle / Crawling up the beaches now / 'Sir, I think he's bleeding out.' / (...) Only 20 minutes to sleep / But you dream of some epiphany / Just one single glimpse of relief / To make some sense of what you've seen." Neben den vielen anderen wunderbaren Songs des Albums, sollte aber auch das fantastische "The Lakes" nicht unerwähnt bleiben, das sie sich anfangs für die physische Version des Albums aufsparte, aber mittlerweile auch seinen Weg in die digitale Deluxe-Edition des Albums gefunden hat - und in dem sich die anfangs erwähnte Atmosphäre des Albums fabelhaft widerspiegelt. Das wird zum einen in Textzeilen deutlich, wie "I'm not cut out for all these cynical clones, these hunters with cell phones", aber ebenso auch in Passagen, wie: "A red rose grew up out of ice frozen ground, with no one around to tweet it". Oder vor allem auch in seinem geradezu poetisch anmutenden Refrain: "Take me to the lakes where all the poets went to die / I dont belong and, my beloved, neither do you / Those Windermere peaks looks like a perfect place to cry / I'm setting off, but not without my muse." 

Und nachdem dieses Überraschungsalbum schon auf Anhieb zu einer der größten und besten Platten seines Jahrgangs avanciert war, schob sie weniger als 5 Monate später ebenso überraschend dessen Schwesternalbum "Evermore" nach. Denn nach dem Release von "Folklore" stand die Singer/ Songwriterin gemeinsam mit ihren Co-Songwritern und Produzenzen Aaron Dessner und Jack Antonoff, mit denen sie das letzte Album realisierte, vor einem künstlerischen Scheideweg - wie sie auch hier im Vorwort des Album-Booklets erläuterte: "It feels like we were standing on the edge of this folklorian woods and had a choice: to turn and go back or travel further into the forest of this music." Doch wie sie sagt, konnten sie einfach nicht damit aufhören, neue Songs zu schreiben, und so wanderten sie noch weiter in diese musikalischen Wälder hinein - und man kann nur von Glück reden, dass es so gekommen ist. Denn mit "Evermore" hat sie einen perfekten Nachfolger geschaffen, der nicht einfach nur das Erfolgsrezept seines Vorgängers zu wiederholen versucht. Die beiden Geschwisteralben sind sich zwar sowohl in ihrem indie-folkigen Sound, als auch ihrem romantischen, eskapistischen und nostalgischen Grundcharakter sehr ähnlich. Und auch das detaillierte Storytelling um die fiktionalen Charaktere, sowie den sehr impressionistischen Stil des Songwritings teilen sich beide Platten. Aber dennoch fügt "Evermore" auch seine eigenen Nuancen hinzu, indem es noch tiefer in die verschiedenen Facetten seiner fiktiven Charaktere und Geschichten eintaucht, und musikalisch ein paar zusätzliche Einflüsse durchscheinen lässt. Das fängt noch sachte in dem wunderbaren, von gezupften Gitarren und Glockenspiel begleiteten Chamber-Folk-Liebeslied "Willow" 
(♪♫♪) an, geht aber schnell noch weiter in die Tiefe. So etwa in der sanften, von Bläsern und Streichern untermalten, sowie leicht barock anmutenden Pop-Perle "Gold Rush", welche sich mit dem Neid und der Verunsicherung auseinandersetzt, welche die Protagonistin des Songs für eine attraktivere Person empfindet ("What must it be like to grow up so beautiful? / With your hair falling into place like dominos / You see me padding across your wooden floor / With my Eagles t-shirt hanging from the door."). Oder auch in der intimen und emotionalen Ballade "Tolerate It", die von dem inneren Ringen erzählt, jemanden zu lieben, der einem kaum Beachtung schenkt ("I wait by the door like I'm just a kid / Use my best colors for your portrait / Lay the table with the fancy shit / And watch you tolerate it / If it's all in my head, tell me now / Tell me I've got it wrong somehow / I know my love should be celebrated / But you tolerate it."), sowie die im Duett mit HAIM gesungene, und herrlich stimmungsvoll schunkelnde Country-Folk-Nummer "No Body, No Crime" (♪♫♪), die sich als erstaunlich und herrlich makaber erweist. Denn in der Geschichte des Songs erzählt eine Frau von ihrer besten Freundin Este, die von ihrem untreuen Ehemann für dessen Geliebte ermordet wurde - was zwar jeder ahnt, aber niemand beweisen kann: "He reports his missing wife / And I noticed when I passed his house / His truck has got some brand new tires / And his mistress moved in / Sleeping in Este's bed and everything / I think he did it, but I just can't prove it / No, no body, no crime / But I ain't lettin' up til the day I die." Und so nimmt sie schlussendlich das Gesetz in die eigene Hand, und übt (blutige) Rache für ihre beste Freudin: "Good thing my daddy made me get a boating license when I was 15 / And I've cleaned enough houses to know how to cover up a scene / Good thing Este's sister's gonna swear she was with me / Good thing his mistress took out a big life insurance policy / She thinks I did it, but she just can't prove it / No, no body, no crime / I wasn't lettin' up until the day he died." Oder auch das wunderschöne und tief melancholische "Coney Island" (♪♫♪) im Duett mit The National, auf dem sich nicht nur der rauhe Bariton ihres Sängers Matt Berninger hervorragend mit dem sanften Gesang Swifts ergänzt. Dazu erzählen die beiden in wunderbaren, von einer Art Vorstadtnostalgie geprägten Worten von den Erinnerungen an eine verlorene Liebe: "'Cause we were like the mall before the internet / It was the one place to be / The mischief, the gift-wrapped suburban dreams / Sorry for not winning you an arcade ring / (...) I'm on a park bench in Coney Island / Wondering where did my baby go? / The fast times, the bright lights, the merry go / Sorry for not making you my centerfold." Und auf diesem wunderbaren Album wartet noch so viel mehr. So wie das im Albumkontext fast schon popige "Long Story Short", auf dem sie von den schwersten Momenten in ihrem Leben, aber vor allem von dem Frieden und der Erlösung erzählt, die sie durch ihre aktuelle Beziehung fand. Ebenso das wunderbare "Marjorie", in dem sie sich den Erinnerungen an ihre Großmutter, der Opernsängerin Marjorie Finlay widmet, welches zudem mit Samples ihres Soprangesangs untermalt wird. Oder auch die zeitlos schöne Pianoballade "Evermore", auf der sie in einem weiteren Duett mit Bon Iver den langsamen Weg der Heilung von einer schweren und endlos scheinenden Depression beleuchtet. 
Und so hat Taylor Swift in diesem Jahr zwei herausragende Alben kreiert, die beide so relevant und hochwertig sind, dass sie damit nicht nur ihren kompletten bisherigen Backkatalog weit überstrahlt, sondern auch so gut wie alles, was mir 2020 sonst noch so zu Ohren gekommen ist. Also kein Wunder, dass "Folklore" und "Evermore" hier zwar offiziell "nur" auf dem zweiten Rang stehen, aber im Herzen ebenfalls meine Platten des Jahres darstellen.





1. BTS - "MAP OF THE SOUL: 7"

Das Jahr 2020 war für die meisten wahrlich kein schönes Jahr, und durch die Corona-Pandemie für jeden von uns durch Einschränkungen wie Kontaktbeschränkungen, Mundschutzpflicht, Quarantänemaßnahmen oder weltweite Lockdowns geprägt. Im Kontrast dazu, war aber das Musikjahr 2020 ein überaus gutes, und hat das neue Jahrzehnt immerhin auf künstlerischer Ebene sehr vielversprechend eingeläutet. Insbesondere deshalb fiel es mir vor allem schwer, mich für den 1. Platz zu entscheiden - wie ich bereits im Beitrag zum zweiten Platz dieser Liste betonte. Denn vor allem diese beiden ersten Ränge sind für mich in diesem Jahr quasi gleichwertig. Da es aber der Sinn solch einer Liste ist, sich für eine Reihenfolge zu entscheiden, hab ich dem im Februar 2020 veröffentlichten Album "Map of the Soul: 7" von BTS den Vorzug für den 1. Platz gegeben - und das hat auch durchaus seine Gründe. Zum einen stellt es das bislang ambitionierteste Werk der 7-köpfigen koreanischen Band um die drei Rapper RM, J-Hope und Suga, sowie die vier Sänger Jin, Jimin, V und Jungkook dar. Und zum anderen bietet es dabei so einige Attribute, die nicht nur bei Popalben verdammt rar gesät sind! Denn trotz seiner Fülle an Songs (19 Stück an der Zahl), an deren Songwriting und/oder Produktion die Band wie immer auch wieder selbst entscheidend beteiligt war, bietet das Album sowohl eine enorm hohe Dichte an Hits und Ohrwürmern, als auch an den unterschiedlichsten Stilen und Genres. Dabei schaffte die Band hier aber dennoch das Kunststück, dass sie auch als geschlossenes Album wunderbar funktionieren. Das liegt nicht nur an der qualitativ hochwertigen, wie auch stets authentischen Interpretation der einzelnen Songs und Stile, als vor allem auch an dem Konzept, das dem Album zugrunde liegt - und dies entfaltet eine derartige Komplexität, dass hier ein entsprechendes Vorwissen durchaus von Vorteil ist. Denn zum einen bieten BTS hier einen rundum faszinierenden künstlerischen  Rückblick auf ihre bis dahin bereits 7jährige Bandgeschichte. Nicht nur durch die Lyrics, in denen sie diesbezüglich ihre Erinnerungen, Gefühle und Erfahrungen, sowie ihre persönlichen wie öffentlichen Höhe- und Tiefpunkte reflektieren. Auch in manchen Songtiteln oder der Verwendung von Samples, werden immer wieder Brücken zu früheren Stationen im Backkatalog der Band geschlagen, der bis zu diesem Album bereits knapp ein Dutzend Platten umfasste. Aber noch viel komplexer und auch faszinierender wird "Map of the Soul: 7" dadurch, dass die Band all dies zudem in einen Kontext mit den psychologischen Theorien der sogenannten "Landkarte der Seele" des bedeutenden schweizerischen Psychologen Carl Gustav Jung setzt - in welchen selbiger im frühen bis mittleren 20. Jahrhundert die verschiedenen Ebenen der menschlichen Psyche benannte und beschrieb (ich habe zum besseren Verständnis das viel gelobte Buch "C.G. Jungs Landkarte der Seele" von Murray Stein gelesen, auf dem der Jungianer die Analytische Psychologie Jungs allgemeinverständlich erklärt, was ich auch in der Tat nur jedem ans Herz legen kann). Und um drei primäre Ebenen, wie Jung sie definierte, geht es auf diesem Album: um die Persona, den Schatten und das Selbst (oder im englischen entsprechend "Persona", "Shadow" und "Ego"). Das Album beginnt gleich mit der Persona, die Jung als unser öffentliches Ich, sowie als eine Art gesellschaftliche Maske umschrieb, die wir alle unbewusst in der Öffentlichkeit tragen, und welche uns von unserer positiven und gesellschaftlich akzeptablen Seite zeigt. Das spiegelt sich dann auch gleich im entsprechend betitelten Opener "Intro: Persona" wieder: einer von furztrockenen Gitarrenriffs und Samples ihres 2014er Songs "Intro: Skool Luv Affair" geprägten Solonummer von Rapper RM, auf der er die verschiedenen Facetten seiner Persönlichkeit, sowie seinen Weg zur Ergründung der Frage beleuchtet, was ihn als Musiker und Person ausmacht. Daraufhin folgt dann eine Reihe Songs, die passend zu diesem "1. Akt" eher die strahlende, schillernde und öffentliche Seite des Septetts widerspiegelt. Und worunter dann etwa so Hits wie die farbenfrohe Funk-Pop-Hymne "Boy With Luv" (dessen Titel an ihren 2014er Hit "Boy In Luv" angelehnt ist), die warme, von Ed Sheeran co-komponierte Midtempo-Pop-Ballade "Make It Right", oder der energiegeladene Rap-Rock-Ohrwurm "Dionysus" zu finden sind. 


Die nächste psychologische Ebene des Schattens, den Jung als den dunklen Zwilling der Persona beschreibt, der all das will, was die Persona nicht erlaubt, beginnt dann zum zweiten Drittel des Albums mit Suga's Solosong "Interlude: Shadow" (♪♫♪) - einem düsteren und hervorragend produzierten Emo-Rap-Epos, der von leidenschaftlichen E-Gitarren begleitet wird, und zum Ende hin mit einem ziemlich genialen Break aufwartet. Inhaltlich  thematisiert er hier die Angst vor den Schattenseiten, die Ruhm und Erfolg mit sich bringen: "I wondered everyday how far I'd go / I came to my senses and I find myself here / Shadow at my feet, look down, it's gotten even bigger / I run but the shadow follows, as dark as the lights intense / I'm afraid, flying high is terrifying / No one told me how lonely it is up here." Und doch findet er zum Ende hin zu der Erkenntnis, dass die Schattenseiten untrennbar zum Erfolg dazu gehören - und knüpft damit auch eine weitere Verbindung zu dem von Jung definierten Schatten, der ein ebenso untrennbarer Teil jeder Persona (und auch Persönlichkeit) ist: "I'm you, you are me, now do you know / You are me, I'm you, now do you know / We are one body, sometimes we will clash / You can never break me off, this you must know / You can't break me off, whatever you do." Und auch die darauf folgenden Stücke spiegeln dieses Schatten-Konzept in den verschiedensten Facetten wider. So nehme man etwa die famose Trap-R&B-Perle "Black Swan", die musikalisch eine clever erzeugte Verwandtschaft zu ihrem 2018er Hit "Fake Love" aufweist, und in der sie ihre Angst davor ausdrücken, eines Tages ihre Leidenschaft für die Musik zu verlieren - und so ist es etwa auch von dem Zitat "A dancer dies twice - once when they stop dancing, and this first death is the more painful" der legendären Tänzerin und Choreografin Martha Graham inspiriert, wie man auch gleich zum Einstieg in den Song ausmachen kann: "The heart no longer races when hearing the music play / Tryna' pull up, seems like time has stopped / Oh that would be my first death I been always afraid of / If this can no longer resonate / No longer make my heart vibrate / I die my first death." Und in der zusammen mit dem großartigen australischen Musiker Troye Sivan geschriebenen, düster atmosphärischen Elektropop-Ballade "Louder Than Bombs" (♪♫♪) dreht es sich inhaltlich um den Kampf gegen die schlechten Zeiten, während sie sich im famosen R&B/HipHop-Epos "ON" (♪♫♪), dessen Titel Bezug auf ihren 2014er Klassiker "N.O" nimmt,  erhobenen Hauptes dem Schmerz und den Schattenseiten entgegenstellen, um sich weiterentwickeln zu können: "Bring the pain, it'll become my blood and flesh / Bring the pain / No fear, now that I know the way /  Breathe on the small things / My air and my light in the dark /  The power of the things that make me 'me' / Even if I fall, I come right up, scream." 


Und in noch optimistischerer Form setzt sich dies thematisch in der herrlichen Soft-Pop-Ballade "00:00 (Zero O'Clock)" fort, welche zu einer warmen Melodie und zartschmelzenden Harmonien davon erzählt, dass man ungeachtet aller Umstände seine Freude am Leben nicht verlieren darf, und das jeder Tag ein neuer Anfang ist. Oder aber auch in der fabelhaften und leidenschaftlich hymnischen Solonummer "Inner Child" (♪♫♪) von V, in der er an sein jüngeres Ich aus der Vergangenheit gerichtet, über seine persönlich schweren Zeiten singt, und das sich alles zum Besseren wenden wird. In anderen Momenten widmen sie sich dann aber auch wiederum den Dingen, die ihnen in all den schweren Zeiten Halt und Zuversicht geben. So wie ihre freundschaftlichen Bindung untereinander, wenn etwa Jimin und V in dem streckenweise fast schon beatle-esken Ohrwurm "Friends" im Duett ihre besonders enge Freundschaft besingen. Aber ebenso ihre Fans, denen sie in mehreren Stücken ihre enge Verbundenheit zeigen. So etwa im herausragenden Solosong "Moon" (♪♫♪) von Jin, einem melodisch mitreißenden Gitarren-Pop-Ohrwurm, der in 2020 sogar vom amerikanischen Rolling Stone-Magazin zum fünftbesten Boygroup-Song aller Zeiten gewählt wurde, und in dem er mit wunderbaren Metaphern umschreibt, dass seine Fans ihm die Welt bedeuten: "You are my earth, I'm just a moon to you / Your little star that lights up your heart / You are my earth, and all I see is you / The only thing I can do is to gaze at you like this / Though everyone says I'm beautiful, but my sea is all black / A star where flowers bloom and the sky is blue / You are the truly beautiful one." Oder natürlich in einem ganz besonderen Highlight des Albums - der großartigen und emotionalen Elektropop-Ballade "We Are Bulletprrof: The Eternal", dessen Titel auf ihre zweite Single "We Are Bulletproof Pt.2" aus dem Jahr 2013 anspielt, und die eine große Ode an ihre Fans darstellt: "We were only seven / But we have you all now / After seven winters and springs / Holding each other's hands / Yeah we got to heaven / Cast stones at us / We have no fear anymore / We are together bulletproof / /Even if winter returns / Even if someone stops me, I keep walking / We are forever bulletproof / Yeah we got to heaven / Yeah we are not seven with you." 


Und abgeschlossen wird das Album dann mit einer weiteren primären Ebene der menschlichen Psyche: dem Selbst, welches Jung als den transzendenten Mittelpunkt und die Ganzheit der Psyche beschrieb, welches als unsichtbarer Wirkfaktor ihre einzelnen Teile zu einer funktionierenden Einheit zusammenfasst - so wie die Sonne die Bahnen der Planeten beeinflusst. Und dies beschreibt dann der abschließende Song "Outro: Ego"
, als Solobeitrag von Rapper J-Hope: ein tanzbarer und von einer unverschämt catchy Bläser-Hookline angetriebener Ohrwurm, der sich mit einem Sample ihres 2013er Songs "Intro: 2 Cool 4 Skool" schmückt, und der sich inhaltlich vor allem damit auseinandersetzt, Vertrauen in das eigene Selbst zu finden. 
Wie man sieht: wenn man ein wenig unter die Oberfläche schaut, entdeckt man ein riesiges Gesamtkonzept, das aber derart komplex aufgebaut und ineinander verzahnt ist, dass meine vielen Worte dies hier auch nur unzulänglich beschreiben können. Und es sollte sich auch über meine unbedeutende Meinung hinaus als künstlerischer wie kommerzieller Erfolg herausstellen. So wurde "Map of the Soul: 7" von weltweiten Kritikern in den höchsten Tönen gelobt, wie auch der von Metacritic errechnete Bewertungsdurchschnitt von 82/100 zeigt, welcher für "universal acclaim" steht. Und zudem verkaufte es sich auch wie geschnitten Brot, beliefen sich doch allein die weltweiten Vorbestellungen der physischen CD-Version des Albums auf über 4 Millionen Exemplare, wodurch es Platz 1 der Charts in mehr als 20 Ländern erreichen konnte (wie u.a. in den USA, in Großbritannien, Deutschland, Australien, Irland, Frankreich, Kanada, Japan, Neuseeland, Südkorea und vielen mehr), und damit zu den erfolgreichsten Alben des Jahres 2020 zählt. Dieser Erfolg ist auch nur gerecht, erlebt man es doch äußerst selten, dass auf einem Album solch eine enorme Vielseitigkeit, eine so hohe Dichte an Hits und Ohrwürmern, eine so tiefgründige Aussage und ein solch komplexes Konzept zusammenkommen. Wer BTS nach diesem Album immer noch als Boygroup sieht - was ich allerdings nicht kann, da sie das künstlerische Niveau von Boygroups mit Leichtigkeit weit überflügeln - der muss "Map of the Soul: 7" dann aber auch als eines der besten Boygroup-Alben aller Zeiten betrachten. Mindestens.