♪♫♪ ...music makes the people come together... ♪♫♪

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Freitag, 15. Januar 2016

Besprochen: DAVID BOWIE - "BLACKSTAR"

"Look up here, I'm in heaven": der Mann, der dem Pop einst den Sternenstaub brachte, hat seine letzte Reise angetreten - und nur wenige Tage vor seinem tragischen und überraschenden Tod, verabschiedete er sich von der Welt mit einem letzten erhabenen Meisterwerk, das ihn zu seinem Lebensende noch einmal so kreativ und relevant zeigte, wie seit den 70er Jahren nicht mehr.

Eigentlich hatte ich meine Rezension zum neuen Album von David Bowie schon an dem Wochenende seines Erscheinens (es wurde am Freitag den 8. Januar, dem 69. Geburtstag des Künstlers, veröffentlicht) weitestgehend fertiggestellt. Doch nun hat sich einfach alles verändert
: denn nur zwei Tage später sollte eine kleine Welt für mich zusammen brechen, als Bowie am 10. Januar 2016 verstarb - nach einem 18-monatigen Kampf gegen ein Krebsleiden, das der Weltöffentlichkeit bislang völlig unbekannt war. Ein unfassbarer und unglaublich tragischer Tod, der für die Welt vollkommen unvorbereitet kam - aber offensichtlich nicht für Bowie selbst, was weite Teile seines nun letzten Albums "Blackstar" in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen. Doch dem Leser sei hier versichert: der Umstand seiners Todes mag zwar dazu geführt haben, dass sich der Blickwinkel nun grundlegend verschoben hat, aus der man das Album betrachten muss, die Bewertung hat es jedoch nicht beeinflusst (die hier vergebene Sterne-Bewertung stand für mich bereits vor seinem Tod fest). Doch die Umstände mögen es mir verzeihen, dass ich nun in Gedenken an den Mann, der einst "Major Tom" zum ersten (und nicht einzigen) Mal zu den Sternen schickte, ein klein wenig weiter ausholen muss. Weil der Welt nicht nur ein musikalisches Genie entrissen wurde, welches bereits die frühen Tage der populären Musik mit prägte, sondern das man nach einem Jahrzehnt der musikalischen Abwesenheit gerade erst wieder zurück gewonnen glaubte. Als Bowie vor ziemlich genau 3 Jahren - an seinem 66. Geburtstag - sein einst neues Album "The Next Day" und damit auch seine Rückkehr ins aktive Musikgeschäft nach 10 Jahren Auszeit ankündigte, war das zurecht eine Art musikalische Sensation. So gehörte er doch zu den wichtigsten Pop-Legenden überhaupt, der schon in den 60ern mit frühen Perlen wie "Space Oddity" begann, die 70er durch Album-Meisterwerke wie  u.a. "Hunky Dory", "Ziggy Stardust", "Station To Station" oder die berühmte Berlin-Trilogie ("Low", "Heroes" und "Lodger") entscheidend prägte, in den 80ern künstlerische ("Scary Monsters & Super Creeps") und kommerzielle ("Let's Dance")  Erfolge, aber auch kreative Katastrophen wie "Tonight" oder "Never Let Me Down" erlebte, sich in den 90ern mit Werken wie "Outside" oder "Earthling" wieder zu gutem Ruf spielte, und mit Platten wie "Heathen" und "Reality" auch den Sprung ins frühe neue Jahrtausend schaffte. Doch in den Jahren darauf sollte es musikalisch vollkommen still um ihn werden - und man befürchtete ja bereits für immer, nachdem ihn gesundheitliche Gründe in diesen vorzeitigen kreativen Ruhestand zwangen. Doch dann kehrte er bekanntlich 2012 mit einem großartigen neuen Album zurück - seinem mit Abstand besten, seit dem 1980er "Scary Monsters and Super Creeps". So schien er eine neue kreative Quelle aufgetan zu haben, die scheinbar so ergiebig und unermüdlich sprudelte, wie man dies bei ihm schon sehr lange nicht mehr erlebt hatte. Denn schon bald hatte Bowie auch wieder etwas ganz anderes im Sinn: denn mit der letztjährigen Single "Sue (Or in a Season of Crime)" zur Best-of-Compilation "Nothing Has Changed", lieferte er dann prompt ein 7 1/2-minütiges Meisterstück aus Pop und Free-Jazz, das einen vagen Verdacht erwecken sollte, in welche stilistische Richtung es künftig für Bowie gehen könnte - und diesen konnte man dann auch getrost als bestätigt erachten, als er vor kurzem den Titelsong als erste Vorab-Single seines neuen Albums veröffentlichte: den 10-minütigen Epos "Blackstar", in dem er uns einen atmosphärischen und nahezu hypnotischen Koloss aus Art-Pop, Jazz, Electronica und psychedelischen Momenten baute.



Und auch als gesamtes Album ist "Blackstar" musikalisch das geworden, was man sich nun im Vorfeld erhofft hatte: ein kreatives, in weiten Teilen eher düsteres, experimentelles und von starken Jazz-Einflüssen geprägtes Werk, das David Bowie in künstlerischer Bestform präsentierte. Unvorstellbar, dass er dieses Album in dem Wissen seines nahenden Todes aufgenommen hat. So ist mittlerweile auch durch seinen Stammproduzenten Toni Visconti (der auch dieses Album betreute) bekannt, das Bowie "Blackstar" bewusst als seinen persönlichen "Schwanengesang" plante. Man muss dabei allein nur seine somit letzte (und grandiose!) Single "Lazarus" betrachten - die sich nun plötzlich als ein atemberaubender musikalischer Abschied offenbart: eine düstere, tief melancholische und jazzig verspielte Hymne, in der er gleich zu Beginn die Zeilen singt: "Look up here, I'm in heaven / I've got scars that can't be seen / I've got drama can't be stolen / Everybody knows me now." Verstärkt wird dies noch durch das geniale, mindestens ebenso düstere und nun auch auf ehrfurchtgebietende Weise mutig morbide Video, das Bowie mit bandagierten Augen in einem Krankenhausbett liegend zeigt, wie er sich zur Musik wiegt und aufbäumt. Damit hat Bowie nun auch aus seinem Tod ein Kunstwerk gemacht. Und auch in so einigen anderen Stücken den neuen Albums, wie etwa im ganz und gar großartigen und melancholisch melodischen "Dollar Days" (♪♫♪), oder im vom Sound eher optimistisch getragenen und verspielt jazzigen "I Can't Give Everything Away" (♪♫♪), kann man nun derartige thematische Bezüge erkennen. Daneben zeigte er sich hier auch weiterhin so kreativ und experimentierfreudig, wie man es in dieser Ausprägung wohl zuletzt in seiner Berlin-Trilogie zu hören bekam. So ist etwa auch "Girl Loves Me" (♪♫♪) höchst interessant - denn wer bei diesem dunkel getragenen, eindringlichen und zudem auch fabelhaften Song den Text zu verstehen versucht, wird höchstwahrscheinlich scheitern: "You viddy at the cheena / Choodesny with the red rot / Libbilubbing litso-fitso / Devotchka watch her garbles / Spatchko at the rozz-shop / Split a ded from his deng deng / Viddy viddy at the cheena", heißt es da unter anderem. Denn die Lyrics setzten sich hier zu weiten Teilen aus der fiktiven Sprache "Nadsat" aus Anthony Burgess' Roman "A Clockwork Orange", sowie dem heute nahezu ausgestorbenen Slang "Polari" zusammen, der aus den Londoner Gay-Clubs der 60er und 70er Jahre stammt. Und zwei bereits bekannte Stücke begegnen uns hier auch - sozusagen. Denn die bereits früher angesprochene letztjährige Single samt seiner B-Seite sind hier vertreten - allerdings in neu aufgenommenen Interpretationen. "Sue (Or In a Season of Crime)" (♪♫♪) verschob er in der Neuaufnahme in deutlich rockigere, von düsteren Gitarren, aber auch noch immer von deutlich jazzigen Einflüssen geprägte Klangsphären. Und dessen ursprüngliche B-Seite "Tis a Pitty She Was a Whore" (♪♫♪) wirkt hier gegenüber seinem etwas roheren Original noch ausgereifter und besitzt eindringlichere Gesangspassagen (welche seine wunderbare, manchmal fast schon herzzerreißende Melodie noch deutlicher zur Geltung bringen),  während neben den etwas geordneteren, aber dennoch leidenschaftlichen Free-Jazz-Elementen auch ein paar Synthesizer zum Einsatz kommen. All das verschmilzt auf "Blackstar" nach und nach zu einem einzigen atemberaubenden Gesamtkunstwerk, welches schlussendlich Bowie's finalen künstlerischen Meilenstein formt - so wie ein letztes und kraftvolles kreatives Aufbäumen.  

 
Doch auch David Bowie selbst war als Person und Künstler ein großes lebendes Gesamtkunstwerk. Ob er nun Charaktere wie Major Tom, Ziggy Stardust, Aladdin Sane oder The Thin White Duke kreierte und verkörperte, sich dabei stilistisch von Pop, Rock, Psychedelia und Soul, über Glam, Experimental, Electronica und New Wave, und bis hin zu Industrial, Jungle oder Jazz entwickelte und nebenbei noch Generationen folgender Musiker prägte und beeinflusste: er war nie einfach ein weiterer Musiker unter vielen - er stach stets in jeder erdenklichen Weise heraus und folgte immer neuen Ideen und Einflüssen. Das er seine Krebserkrankung und seinen nahenden Tod für sich behielt, während er nur Tage zuvor nochmal ein grandioses Album in die Welt setzte, passt irgendwie ziemlich gut in dieses Bild. Ähnlich wie bei Freddie Mercury, musste wohl auch für den Vollblutkünstler Bowie die Show weitergehen - bis auch der letzte Vorhang gefallen war. Mit "Blackstar" krönt nun ein letztes Meisterwerk sein musikalisches Vermächtnis, welches Bowie zu seinem Lebensende noch einmal so kreativ, innovativ und künstlerisch relevant zeigte, wie seit den 70er Jahren nicht mehr. Spätestens jetzt ist jedes Hören des Albums wie ein erneuter Abschied - von einem einzigartigen Ausnahmekünstler und einem der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts. Doch sprechen wir in dieser Hinsicht nun lieber nicht davon, dass er ganz einfach "tot" ist. Der Tod ist etwas viel zu schlichtes und irdisches für David Bowie - den Mann, der einst vom Himmel fiel und dem Pop den Sternenstaub brachte. Sagen wir einfach: nun hat er sein großes Gesamtkunstwerk vollendet - und das wird für die Ewigkeit bleiben.