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Sonntag, 15. Februar 2015

Besprochen: BJÖRK - "VULNICURA"

Wenn es nicht so bezaubernd wäre, könnte man es fast schon langweilig finden: denn Björk bleibt auch weiterhin ihrem eigenen kreativen Geist treu und hat mit ihrem neuen Album erneut ein formvollendetes Kunstwerk geschaffen.

Das digitale Zeitalter hat auch das Musikbusiness kräftig herum gewirbelt - oder besser gesagt hat es selbiges noch immer am Schlafittchen, um es auch weiterhin unermüdlich umher zu schleudern. Damit haben durchaus einige Musiker unserer Zeit zu kämpfen - doch die isländische Künstlerin Björk, die wohl zu einer der wenigen im Pop zählt, der man in jeglicher Hinsicht das Etikett "Künstlerin" anheften kann, hat sich dem digitalen Zeitalter von Anfang an ganz hervorragend angepasst - und scheint seine Regeln seit jeher intuitiv zu beherrschen. Entstammt sie doch ursprünglich Punk-Wurzeln und beschränkte sich später durchaus mal enorm minimalistischer Mittel (wie etwa auf ihrem 2004er Album "Medulla", welches fast nur aus der menschlichen Stimme bestand), so hat sie doch auch von Anfang an immer wieder die verschiedensten Winkel der digitalen Sphären ausgelotet, um sie mit der Realität zu verknüpfen - nicht nur rein musikalisch. Ihr diesbezügliches Meisterstück stellte ihr bislang letztes Album "Biophilia" dar - ein großes multimediales Gesamtkunstwerk und Konzeptalbum, dass sich akustisch als auch lyrisch mit Naturphänomenen wie der Gravitationskraft, den Planetenbewegungen oder gar der Virologie befasste. Und optisch zudem ebenso, stellte  es doch das zugleich erste App-Album der Welt dar, welches zu jedem Song eine interaktive und visuell dem jeweiligen Songthema angepasste App bot, mit deren Hilfe man zumeist die Songs gar nach eigenen Vorstellungen neu arrangieren konnte.

Auf gewisse Weise passt es da fast schon perfekt ins Bild, was sich nun kürzlich ereignete: gerade hatte Björk erst  Anfang Januar des neuen Jahres angekündigt, dass im März ihr neues Album "Vulnicura" erscheinen würde, da stand auch nur ein paar Tage später - zwei Monate vor dem geplanten Release - das komplette Album als Leak in Netz. Daraufhin machte Björk genau das Richtige. Sie erwähnte diesen durchaus nicht wenig spektakulären Leak in der Öffentlichkeit mit keinem Wort, sondern machte  kurzerhand Nägel mit Köpfen - und schubste wenige Tage nach seinem Leak "Vulnicura" auch ganz offiziell in die Welt hinaus. Und selbige sollte es dann auch freudig und mit offenen Armen auffangen. Denn auch ihre neue und nunmehr neunte Platte ist zu 100% Björk: ganz sie selbst und gleichzeitig auch wieder ganz anders. Nach den eher experimentierfreudigen Platten der Vergangenheit, erlebt man mit "Vulnicura" wohl Björk's intimstes und emotionalstes Werk seit langem. Wo es in der Vergangenheit lyrisch  bei ihr oft abstrakt, politisch oder zuletzt auch ganz wissenschaftlich zuging, so geht es dieses Mal vor allem um eines: um die Liebe und all die Hoffnungen, die Gefühle und den Schmerz, den sie mit sich bringen kann. Keine ungefährliche Angelegenheit, wie man aus Erfahrung weiß. Aber Björk verfällt nicht in Jammern und Selbstmitleid. Stattdessen entführt sie uns wieder einmal in ganz wunderbare Klang- und Gefühlssphären, die einen fast schon dazu bewegen, ehrfürchtig und ungläubig vor den Boxen zu hocken, angesichts dessen, was sich den Ohren hier wundervolles darbietet. Angefangen gleich mit dem erhabenen und wunderschönen Opener "Stonemilker", der zugleich als erste Single der Platte dient: eine von bittersüßen Streichern begleitete und von Björks unnachahmlichem Organ geadelte Perle, die gerade ganz zurecht von weltweiten Kritikern über den Klee gelobt wird.

Björk "Stonemilker" directed by Neil Curtis from Neil Curtis on Vimeo.

Die teilweise großen Experimente und herrlich fiesen kleinen Störeffekte, wie sie auf den letzten paar Platten gerne mal zu hören waren, weichen hier zwar einer überwiegend getragenen Grundatmosphäre - aber das soll beileibe nicht bedeuten, dass Björk zahm geworden wäre. Denn sie spickt ihre diesmal oft sehr ausladenden Stücke (die sich zumeist zwischen 6 und 10 Minuten Länge abspielen) wieder mit unzähligen Ideen, herrlichen Melodien und kleinen Ecken und Kanten. So weckt etwa der "Lionsong" (♪♫♪) vor allem mit seinen anfänglichen A-cappella-Gesängen deutliche Erinnerungen an ihre "Medúlla"-Phase, lässt aber später auch deutlich an "Homogenic"-Zeiten denken. Das grandiose und atmosphärische "Family" (♪♫♪) führt in vielschichtige, intensive und abstrakte Klangsphären, die von vereinzelt stampfenden und verzerrten Elektro-Beats, über leidenschaftliche Streicher, bis hin zu schwerelosen Ambient-Schwaden reichen. "Black Lake" (♪♫♪) erweist sich unterdessen als wunderbarer und schwermütiger Epos von 10 Minuten Länge, der von zärtlichen Streichern und softem synthetischen Beiwerk begleitet wird - ehe ihm Björk und Produzent Arca während des Mittelteils einen deftigen Beat verordnen. "Atom Dance" (♪♫♪) tapst zu Beginn mit sanften und leichtfüßig tänzelnden Schritten des Weges und entwickelt sich zusehends zu einer atmosphärischen Pop-Offenbarung, die sogar noch Platz für fabelhafte Gast-Vocals von Antony Hegarty (Antony & The Johnons) bietet. Und in "Mouth Mantra" (♪♫♪) vereinen sich Björks beschwörender Gesang, dramatische Streicher, asymmetrische Beats und verschachtelte Elektronik zu einer düsteren und eindringlichen Art-Pop-Hymne.

Wollte man "Vulnicura" mit dem bisherigen Schaffen der eigenwilligen isländischen Pop-Märchenfee abgleichen, so könnte man es doch in einer ähnlichen Tradition mit Alben wie "Homogenic" (1997) oder "Vespertine" (2001) sehen - was sowohl stilistisch, aber auch qualitativ durchaus zutrifft. Und gleichzeitig zeigt Björk auch wieder ganz andere Facetten ihres künstlerischen Wirkens. Doch am Ende klingt ja eh keine Björk-Platte wie die andere - aber die meisten von ihnen dafür außerordentlich gut. Und auch "Vulnicura" stellt da in keinerlei Hinsicht eine Ausnahme dar, sondern zeigt sich erneut als ganz großer Wurf, der die Messlatte für das Musikjahr 2015 schon in seinen ersten Tagen auf gewaltige Höhen schraubt. Aber genug der vielen Worte...verliebt euch doch einfach selbst!