♪♫♪ ...music makes the people come together... ♪♫♪

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Freitag, 22. August 2014

10th Anniversary: BJÖRK - "MEDÚLLA" (2004)

10 Jahre ist "Medúlla" nun alt - das bis dahin wohl radikalste und vielleicht auch schönste Album von Björk: denn die Isländerin sollte hier eindrucksvoll beweisen, welch erhabene Kunstwerke nahezu alleine mit der menschlichen Stimme möglich sind... 

Wer die isländische Künstlerin Björk kennt, dem muss man wahrlich nicht mehr erklären, was für ein Ausnahmetalent sie stets darstellte. Dabei schaffte sie es schon immer die Geister zu scheiden - schon seit dem richtigen Beginn ihrer Solokarriere in den frühen 90er Jahren (die einem ersten Soloalbum im Kindesalter, sowie einer nicht erfolglosen Karriere mit ihrer vorangegangenen Band Sugarcubes folgte), erlebte man bei Björk einen Effekt, der bis heute derselbe geblieben ist: entweder musste man sie lieben oder hassen. Die einen feierten stets ihre Eigenwilligkeit, ihre Kreativität, ihre Innovationsfreude und ihre radikale künstlerische Rastlosigkeit. Und die anderen konnten nie verstehen, was die Musik der Dame für viele bis heute so magisch macht. Eigentlich kann man es selbst als Liebhaber der Künstlerin niemandem verübeln, wenn er ratlos vor ihrem künstlerischen Schaffen hockt, sich ungläubig den Kopf kratzt und die (Musik-)Welt nicht mehr versteht. Nachdem noch vereinzelte Songs ihrer ersten Alben zwar immer auch ein paar Radiohörer hinterm Ofen hervor locken konnten, zeigte sie sich im Jahr 2004 auf ihrem 6. Soloalbum "Medúlla" so radikal wie nie - und entfernte sich endgültig von dem, was man gemeinhin unter Pop zu verstehen glaubte. Und mit einer ebenso deutlichen Endgültigkeit, ließ sie spätestens hier die Formate Radio und Musikfernsehen weit, weit hinter sich. 

"Medúlla" stellt sozusagen eine Reise in ein Paralleluniversum des Pop dar - indem es ihn auf seinen kleinsten denkbaren Nenner reduziert, jedoch dieses minimalistische Konzept gleichzeitig durch experimentellen und vielschichtigen Einsatz der wenigen Mittel sabotiert. Denn was der unbefangene Hörer hier alles an unterschiedlichsten Mitteln, Instrumenten und Sounds wahrzunehmen glaubt, ist in Wirklichkeit so gar nicht da. Denn: "Medúlla" besteht nahezu ausschließlich aus der menschlichen Stimme. Doch ist es, wie man sich ja nun bereits vorstellen kann, kein reines A-cappella-Album. Es ist keine Platte, in der nur Björks eigenwilliges und einzigartiges Organ aus den Boxen hallt. Hier wird die menschliche Stimme auf jede nur denkbare Weise eingesetzt. Von Chören, Beatbox, oder Kanon- und Oberton-Gesängen, über Knurr-, Jauchz-, Summ- oder Stöhn-Geräusche, bis hin zu am Computer entfremdeten Stimmfetzen, wurde sich hier diverser kreativer Spielarten bedient. Und aus all dem baute Björk mit "Medúlla" ein grandioses Klang-Mosaik. Einen düsteren und mächtigen Monolithen, der ihr vielleicht (nach Pop-Maßstäben) unzugänglichstes und (nach allen denkbaren Maßstäben) atemberaubendstes Werk zugleich markiert. 



Die Isländerin ließ hier ein schattiges Kunstwerk entstehen, welches wie aus einem Guss klingt, dabei aber doch die unterschiedlichsten klanglichen Spähren durchstreift. Angefangen etwa mit dem schwebenden Opener "The Pleasure Is All Mine" - einer mythischen Gänsehaut-Nummer, die auf hechelnden Atemgeräuschen, softem Beatboxing, Wimmern, Stöhnen und prachtvollen Chören basiert. Es geht hier allerdings auch mal ganz simpel zu, wenn Björk etwa gleich darauf die bedächtige Ballade "Show Me Forgiveness" (♪♫♪) als klassisches A-cappella-Stück darbietet. Doch die experimentelle Eigenwilligkeit, die immer schon ein untrennbarer Teil von Björks künstlerischen Ausdrucksformen war, lässt auch hier nicht lange auf sich warten - und erreicht direkt darauf mit "Where Is The Line" einen ersten Höhepunkt: ein düsteres und komplexes Stück Art-Pop, das auf asymmetrischen Beats des Beatboxers Rahzel, auf dramatisch inszenierten Chor-Fetzen und allerlei verwirrend-schönen Geräuschen basiert - und fast eher wie ein avantgardistisches Elektronica-Feuerwerk anmutet, würde man hier nicht eigentlich nur Stimmen hören. Nach nicht unähnlichem Schema, aber dabei noch eine Ecke melodischer, fällt auch die erste Single "Who Is It?" aus, die mit einer majestätischen und teilweise fast euphorischen Melodie und mit genial triphopigem Beatboxing  gesegnet ist. 

BJÖRK // Who Is It from Daniel J. Kelly on Vimeo.


Von seiner gesamten, schwerelos bittersüßen Ausstrahlung, hätte "Desired Constelation" (♪♫♪) auch wunderbar auf das Vorgänger-Album "Vespertine" gepasst - und ist auch darüber hinaus mit selbigem verwandt: die atmosphärisch flächigen Soundschwaden, die den gesamten wunderbaren Song dominieren, sind nichts anderes, als ein stark verfremdetes Gesangs-Sample der Zeile "I'm not sure what to do with it" aus ihrem Song "Hidden Place" - der ersten Single aus "Vespertine". Einen ganz wunderbaren, ja im Grunde sogar ziemlich radiotauglichen Song, hat sie hier mit der hypnotischen Hymne "Oceania" (♪♫♪) im Gepäck: ein popmusikalisches Meisterstück, gebaut aus Björks wunderbaren Vocals, fabelhaftem und softem Beatboxing, sowie in den prächtigsten Farben strahlenden Chören -  später wurde dies ihr Beitrag zu den Eröffnungsfeierlichkeiten der olympischen Sommerspiele 2004 in Griechenland. Und auch "Triumph of a Heart", die letzte Single aus dem Album, hätte das Zeug zum (durchaus unkonventionellen) Hit gehabt: ein melodisch packender Song, angetrieben von (selbstverständlich menschlichen) HipHop-Beats. Doch auch die politischen Dimensionen waren hier laut der Künstlerin selbst so deutlich ausgeprägt wie nie zuvor, entstand das Album doch auch unter dem Eindruck der Geschehnisse nach dem 11. September und dem Irak-Krieg - was sich am deutlichsten im atmosphärisch dichten "Mouth's Cradle" manifestiert, in dessen letzten Zeilen es heißt: "I need shelter to build an altar away from all the Osamas and Bushes"


Björk - Triumph Of A Heart on MUZU.TV.


Für die einen war, ist und bleibt dieses Album wohl avantgardistisches Kunst-Pop-Gedöns, dass die vom Formatradio geprägten Hörgewohnheiten womöglich komplett überfordert. Für andere - und so auch für mich - ist "Medúlla" hingegen ein zeitlos geniales Meisterwerk, welches eindrucksvoll demonstriert, welch große Kunst man allein mit der menschlichen Stimme erschaffen kann. Schon für sich alleine, aber erst recht vor dem Hintergrund seiner Entstehung, erstrahlt "Medúlla" auch 10 Jahre später immer noch als eines der wichtigsten und besten Werke in ihrem gesamten Schaffen - und wenn man mich fragt: auch als eines der besten Platten der 2000er!




Sonntag, 17. August 2014

Besprochen: FKA TWIGS - "LP1"

Ist das jetzt avantgardistischer Electro-RnB, was uns die britische Musikerin FKA Twigs auf ihrem Debütalbum serviert? Oder ist es doch eher dem viel zitierten Genre PBR&B zuzuordnen? Am Ende vielleicht gar irgend etwas dazwischen? Gleichgültig: denn einer der besten musikalischen Momente des bisherigen Jahres, ist es allemal. 

Lange Zeit war der RnB für mich ziemlich tot - ein im Wachkoma dahin siechendes Genre, dass zwar immer wieder vortreffliche Dinge zu leisten im Stande war, aber selbst in seinen prominentesten und erfolgreichsten Ausprägungen eine ganze Zeit lang überwiegend...tja...stinklangweilig war. Es zwinge mich bitte niemand dazu, mir nochmal eine 00er-Platte von Usher, Ne-Yo oder Amerie anhören zu müssen. Und selbst so eine Lichtgestalt, so ein (Genre-) Superstar wie Beyoncé Knowles, war lange nicht in der Lage ein wirklich gelungenes Album vorzulegen - was sie aber bekanntlich mit ihrem aktuellen Album "Beyoncé" endlich nachholen konnte. Das passt ins Bild, erlebte der RnB in den letzten paar Jahren so etwas wie eine kreative Renaissance, wodurch das Genre heute so spannend klingt wie schon lange nicht mehr. Das ist in der Tat aber vor allem den jungen kreativen Geistern zu verdanken, die neu nachrückten - vor allem etwa Frak Ocean, The Weeknd oder Janelle Monáe, aber auch Beyoncé's kleine Schwester Solange stachen dabei besonders positiv ins Auge - bzw. ins Ohr. Dem gesellt sich nun endgültig die britische Musikerin Tahliah Barnett hinzu - besser bekannt unter ihrem Künstlernamen FKA Twigs! Und dem einen oder anderen wird sie vielleicht tatsächlich bekannt sein, machte sie doch in den letzten Jahren durch ihre 2 EP's mit den minimalistischen Titeln "EP1" und "EP2" erstmals auf sich aufmerksam. Nun endlich schickt die 26jährige ihr Debütalbum hinterher - welches den ebenso schlichten Namen "LP1" trägt. Diese Vorgehensweise hat etwas von einem subtilen Markenzeichen. Doch allzu pompöse Titel würden auch nur in die Irre führen und ablenken. Zum einen, weil es zur spartanischen Manier passt, in der Barnett ihre Klangkunst präsentiert. Und zum anderen, weil hier trotzdem so viel spannendes passiert, das es jede nur verfügbare Aufmerksamkeit wert ist. Diese Erkenntnis offenbart sich gleich von Anbeginn, wenn man im Intro-artigen "Preface" (♪♫♪) durch mythisch anmutende Gesänge, verzerrte Stimmen, asymmetrische Beats und leidenschaftliche, aus weiter Ferne herüber wehende Gitarren watet - um dann sogleich mit "Lights On" (♪♫♪) in eine atmosphärisch im Raum schwebende und von sanfter Elektronik verzierte RnB-Perle gebeamt zu werden...wenn man das denn überhaupt noch RnB nennen kann. Auch die erste und schlichtweg fantastische Single des Albums kann uns davon im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied singen: das ganz und gar zauberhafte, von einer fast magnetischen Anziehungskraft beseelte "Two Weeks" - das ich hiermit zu einem der definitiven Sogs des Jahres 2014 erkläre.

FKA TWIGS [two weeks] from nabil elderkin on Vimeo.


Sie kann aber ohne weiteres auch noch eine Spur experimenteller zu Werke gehen, wenn sie etwa in "Numbers" (♪♫♪) streckenweise ein wenig an Björk erinnert - zum einen gleich bei den ersten Klängen des Stückes, aber auch wenn der (durchaus in seinen Details sehr vielschichtig produzierte) Song immer wieder von hektisch triphopigen Beats unterwandert wird. In "Pendulum" (♪♫♪) schafft sie es mit sehr wenig Mitteln einen starken Effekt zu erzielen - lässt den Song dabei aber dennoch wachsen und sich entwickeln, bis er sich gen Ende zu voller Pracht entfaltet. "Closer" (♪♫♪) lässt eine wunderbare, elektronische und nahezu psychedelisch veranlagte Perle erkennen, "Video Girl" (♪♫♪) überzeugt als potentieller, eindringlich melodischer Hit und "Kicks" (♪♫♪) kann sich - seiner Unaufdringlichkeit zum Trotz - als ein zeitloser und sanfter Epos in den Hirnwindungen festsetzen. So wie auch das gesamte Album. 

"LP1" ist zwar sicherlich keine Platte von der Sorte, die sich bei den meisten Menschen gleich nach dem ersten Hörversuch endgültig durchsetzt. Aber eine Platte, die beständig im Ohr zu wachsen und reifen scheint, die mit jedem Mal neue Facetten und Höhepunkte offenbart und einen auf emotionaler Ebene ganz und gar aus den Socken hauen kann...wenn man sie denn nur lässt. Dazu trägt nicht nur die kreative und etwas andere Produktion bei, sondern vor allem auch FKA Twigs oft fast hypnotisch sinnlicher Umgang mit ihrer Stimme - und nicht zuletzt die sich samtig und zart in die Gehörgänge schmiegenden Melodien. "LP1" hat bei mir jetzt schon einen Platz unter den musikalischen Highlights des Jahres reserviert. Und wird mit Sicherheit auch noch weit darüber hinaus fesseln.