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Sonntag, 31. Dezember 2017

Special: DIE 30 BESTEN PLATTEN 2017!



Ich bin reichlich spät dran, aber hier ist sie nun: die Liste meiner persönlich liebsten Platten des Jahres 2017. Und es ist auch für fast jeden was mit dabei. Ob nun Indie-Pop/-Rock, Lo-Fi, Avantgarde, (Alternative-) R&B, Neo-Soul, Rap, Synthpop, Folk, Rock, Electronica oder Mainstream-Pop...das alles und noch mehr findet sich unter diesen 30 Platten, die mein persönliches Musikjahr am meisten geprägt, versüßt und bereichert haben.



30. BILDERBUCH - "MAGIC LIFE"

Wer  die  mich näher kennt, der weiß: deutschsprachige Musik hat es bei mir immer ein wenig schwerer. Die ganzen Westernhagens und Grönemeyers, die Silbermonds und Jennifer Rostocks oder die unzähligen Mark Forsters oder Tim Bendzkos hingen mir schon immer zum Halse raus. Doch gerade in den letzten Jahren schafften es einige deutsche oder österreichische Bands, sich meinen Respekt zu erspielen. So gehörten etwa Ja, Panik, Casper, Kraftclub oder auch Wanda zu dieser illustren Gruppe - zu der sich nun in diesem Jahr mit ihrem vierten Album "Magic Life" auch die österreichische Band Bilderbuch gesellte. Denn was die Jungs auf diesem Album - das mir vor allem durch das herrlich bunte und funky "I ❤ Stress" ins Bewusstsein rückte - so alles anstellen, ist so kreativ, teils gar fast schon innovativ, dass einem ganz warm ums Herz wird. Natürlich immer gepaart mit dieser gewissen Verrücktheit und dem natürlichen Humor, die der Band eigen sind. Dabei mischen sie die Stile und Einflüsse scheinbar so wie es ihnen gerade gefällt - kann man hier doch etwa unschwer Bezüge zu so unterschiedlichen Musikern wie Falco, Kanye West oder Prince erkennen - und oftmals scheinbar wie aus Zufall ergibt das auch alles tatsächlich Sinn. Vom bereits erwähnten, knallbunten "I ❤ Stress", führt das über die zärtliche Schmonzette "Sweetlove", den catchy relaxten Indie-Pop/Rock-Ohrwurm "Bungalow", oder das minimalistische, elektronische und atmosphärische "Sprit 'n Soda", bis hin zum wie der Titel schon vorankündigt funky "Superfunkypartytime" (welches wohl recht deutlich an Prince angelehnt ist) oder dem unwiderstehlichen Hit "Baba" (♪♫♪). So ist Bilderbuch mit "Magic Life" eines der meiner Ansicht nach frischsten und spannendsten deutschsprachigen Platten gelungen, die mir in diesem Jahr untergekommen sind.


29. CASPER - LANG LEBE DER TOD"

Das Casper einer der - zumindest nach meinem persönlichen Geschmack - wenigen Rapper nicht nur unseres Landes ist, der einerseits unweigerliches Talent und Experimentierfreude mitbringt und es andererseits spielend schafft, Fans der unterschiedlichsten Genres anzusprechen, sollten bereits seine letzten beiden hervorragenden Platten "XOXO" und "Hinterland" belegt haben. Und auch sein diesjähriges und mittlerweile viertes Album "Lang lebe der Tod" enttäuschte in dieser Hinsicht keineswegs. Eher im Gegenteil, ist der Grundtenor des Album zwar überwiegend ähnlich ernst und düster wie auf seinem letzten Werk, aber stilistisch klingt Casper dafür so vielfältig, wie wahrscheinlich noch auf keiner seiner Platten. So geht das Album gleich im Titelsong "Lang lebe der Tod" mit einer von schweren und dunklen Gitarrenriffs angetriebenen Hymne los, auf der er von der Indierock-Band Sizarr, dem Schweizer Musiker Dagobert und Blixa Bargeld (Einstürzende Neubauten, ehemals Gitarrist bei Nick Cave & The Bad Seeds) begleitet wird. Auf "Alles ist erleuchtet" kombiniert er HipHop mit melodischen Indierock-Einflüssen und einem herrlich zum mitgröhlen einladenden Refrain, und das großartige "Keine Angst" (♪♫♪) bringt den jungen deutschen Musiker Drangsal als Gast mit ins Spiel - welches dadurch stark von Post-Punk- und New Wave-Einflüssen geprägt ist. "Wo die wilden Maden graben" zeigt sich hingegen als vom Punk beeinflusst und "Flackern, flimmern" offenbart sich als wunderbarer und elektrisierender, gut 6-minütiger Indie-Rap-Rock-Epost. Und auch lyrisch hat das Album so einiges zu bieten, wovon manches hörbar den aktuellen Zeitgeist widerspiegelt. So knöpft er sich im fabelhaften "Lass sie gehen", welches mit dem deutschen Rapper Ahzumajot und der US-Band Portugal. The Man entstand, etwa u.a. Nazis und homophobe Rapper vor, während er sich im elektro-rockigen "Morgellon" die sich in letzter Zeit erschreckend vermehrenden Verschwörungstheoretiker und "Das-wird-man-doch-wohl-noch-sagen-dürfen"-Skandierer zur Brust nimmt. Und wenngleich es eines der Schlusslichter dieser Liste darstellt, ist es dennoch das einzige deutschsprachige Rap-Album, das es in diesem Jahr geschafft hat, sich in meine musikalische Wahrnehmung zu schleichen - und sich auch dort zu halten.




28. FEIST - "PLEASURE"

Es hätte auch ganz anders laufen können mit der Karriere der kanadischen Singer/Songwriterin Leslie Feist. Als sie sich vor 10 Jahren mit ihrem Album "The Reminder" doch schon ein ordentliches Stück gen Mainstream-Pop neigte und mit "1234" durch iPod-Werbung, Radios und Charts tanzte. Sie hätte auch weiterhin auf Eingängigkeit und Radiotauglichkeit setzten können. Und wer hätte ihr das schon übel genommen, wäre sie doch wahrlich nicht die erste gewesen, die solch einen Weg einschlägt? Aber ihr 2011er Meisterwerk "Metals" sollte mit Bestimmheit zeigen, dass dies nicht ihr Weg sein würde. Und nach 6 Jahren der Abstinenz, folgte sie diesem Weg in 2017 auch auf ihrem mittlerweile sehnlichst erwarteten fünften Studioalbum  - oder zumindest einem ähnlichen. Denn nach ihren teilweise hymnischen Klängen des letzten Werks, verordnete sie sich auf "Pleasure" eine Art strikten Minimalismus - und schuf dabei aus einer Reihe bis fast auch die Knochen herunter geschälter Songs ein hervorragendes Album, dass sich seine kreativen Ecken und Kanten und seinen ungeschliffenen Charme bewahrt hat. Doch selbst mit solchen aufs Wesentliche reduzierten Mitteln vermag Feist (zumindest im Detail) eine erstaunliche Bandbreite  Der Titelsong und Opener "Pleasure" (♪♫♪) kommt dabei im Vergleich schon eher offensiv und geradezu mininalistisch-"scheppernd" daher, während gleich darauf mit "I Wish I Didn't Miss You" eine zärtliche und akustische Ballade folgte, die ein paar psychedelische Akzente setzt. Kurz darauf erweist sich das tolle"Lost Dreams" als eine Art Lo-Fi-Folkrock-Perle, "Any Party" hat hingegen sowohl zärtlich zerbrechliche, aber auch stimmungsvolle und fast ein wenig western-artige Klänge bieten, und "Century" geht als leidenschaftlichers und lässig folk-rockendes Meisterstück seiner Wege, auf der auch Jarvis Cocker mit von der Partie ist. Vielleicht schaffte es Fiest mich mit "Pleasure" zwar nicht ganz so massiv zu begeistern, wie sie es zuletzt mit "Metals" vermochte - aber immerhin trotzdem noch so sehr, dass sie sich mi5t Leichtigkeit einen unverzichtbaren Platz in meinem persönlichen Soundtrack des Jahres 2017 erspielen konnte.




27. FATHER JOHN MISTY - "PURE COMEDY"

Welch wunderbare künstlerische Blüten tragende Solokarrieren doch manchmal aus Bands hervorgehen können. So hätte man wohl glauben können, dass Josh Tillman's einstige Mitgliedschaft bei den Fleet Foxes (bei denen er von 2008 bis 2012 Drummer war und  mit denen er ihr zweites Album Helplessness Blues" aufnahm) wohl der Höhepunkt seines musikalischen Wirkens bleiben würde, die zudem u.a. auch zahlreiche Soloalben als J. Tillman, sowie ein ehemaliges Engagement bei Saxon Shore beinhaltete. Doch spätestens seit er sich Father John Misty nennt, scheint er derart wertvolle kreative Quellen anzuzapfen, dass er damit die gemeinsame Arbeit mit den Fleet Foxes sogar schon weit überstrahlt. Schon sein bislang letztes (und insgesamt drittes) Album unter diesem Pseudonym - das 2015er "I Love You Honeybear" - hatte mich vollkommen verzaubert. Und auch sein diesjähriges Nachfolgewerk "Pure Comedy" sollte dem in nichts nachstehen. Mit einer stilistisch ähnlichen Mischung aus Indie-Folk, Barock-Pop und orchestralen Einflüssen schuf er mit "Pure Comedy" ein weiteres Meisterwerk, voll von wunderbaren Melodien.  Der Opener und Titelsong "Pure Comedy" (♪♫♪) läutet das Album schon grandios mit einer Piano-Pop-Hyme ein, die unweigerliche Erinnerungen an den jungen Elton John weckt. Und dann folgen noch so einige Perlen. Ob nun das auf gewisse Weise sozialkritische, aber musikalisch ohrwurmig schmissige und von Bläsern unterstützte "Total Entertainment Forever", das wunderbare und nachdenkliche, von leichten Gospel-Einflüssen geprägte "Ballad of a Dying Man", das mit einer herzzerreißend schöne Melodie beseelte und zeitlose "Birdie", das wunderbare und epische 13 Minuten lange "Leaving L.A.", oder die leidenschaftliche Ballade "When The God of Love Returns There'll Be Hell To Pay", in der er sich mit teils sehr sarkastischen Worten die Menschheit und ihren "Schöpfer" zur Brust nimmt (indem er etwa in einem fiktiven Gespräch zu Jesus sagt: "You must know the first thing about human beings / We're the earth's most soulful predator / Try something less ambitious the next time you get bored.") Wenngleich der Gesamteindruck auf "Pure Comedy" ruhiger und nachdenklicher ist, als auf seinem besagten Vorgänger "I Love You, Honeybear", so ist ihm damit dennoch ein kaum weniger großartiges Album gelungen.



26. GORILLAZ - "HUMANZ"

Eigentlich unfassbar, dass es nun auch schon 16 Jahre her ist, als das musikalische Multitalent Damon Albarn zum ersten Mal seine virtuellen Puppen von den Gorillaz tanzen ließ. Nachdem er in den 90ern bereits mit seiner eigentlichen Hauptband Blur Musikgeschichte geschrieben hatte, wurde es im neuen Jahrtausend deutlich stiller um sie - und Albarn hob zusammen mit dem Comiczeichner Jamie Howlett die virtuellen Primaten 2-D, Murdoch, Russel und Noodle alias Gorillaz aus der Taufe. Diese gewisse Anonymität nutze Damon Albarn seit eh und je, um seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Denn wenngleich er seinen Gorillaz von Anfang an einen ganz eigenen und unverwechselbaren Sound kreierte, so experimentierte er dennoch stets mit den unterschiedlichsten Stilen und Einflüssen, die es einem geradezu unmöglich machen, die Musik auf ein Genre herunter zu brechen. Von Electronica, HipHop und Soul, über Gospel, Disco und Dub, bis hin zu Alternative-Rock, TripHop und Funk war über die Jahre und Alben hinweg alles mit dabei. Auf dem neusten und nunmehr fünften Album seiner Gorillaz, schien Albarn all dies in einem gewaltigen Werk bündeln zu wollen. Mit einer wahren Heerschar an Gastmusikern und musikalischen Stilen und Spielarten, schuf er hier manch spannendes, mitreißendes und magisches. So ist es in der Kürze nur möglich, kleine Eckpunkte zu markieren. So etwas das fabelhafte und düster getragene, aus Dancehall- und TriHop-Elementen bestehende "Saturnz Barz" (♪♫♪) mit Popcaan; der catchy Disco-/Soul-/Funk-Nummer "Stroblite" feat. Peven Everett; das melodische, zugleich hypnotische und tanzbare und mit Dance-, R&B- und Pop-Einflüssen spielende "Submission" mit Kelela und Danny Brown; das mit Industrial-Elementen und Gastvocals von Grace Jones aufwartende "Charger"; die wunderbare, verträumt tänzelnde und housige Synthpop-Perle "Andromeda" mit Gastraps von DRAM; die düster elektronische Gospel-HipPop-Hymne "Let Me Out" mit Pusha T und Mavis Staples; das getragene und zugleich von rhythmischen Beats angetriebene und zudem leicht barock anmutende "Sex Murder Party" feat. Jamie Principle & Zebra Katz; oder die als erste Single veröffentlichte, politische und avantgardistische Elektro-Gospel-Pop-Perle "Hallelujah Money" mit Benjamin Celementine. Ein musikalisch kunterbuntes Album, dass aber dennoch hervorragend funktioniert und mit dem Damon Albarn für seine Gorillaz nach 6-jähriger Abwesenheit ein verdammt schickes Comeback kreierte. 



25. ARCADE FIRE - "EVERYTHING NOW"

Wer mit dem künstlerischen Schaffen von Arcade Fire vertraut ist, der weiß vermutlich auch, das sich die Band seit ihrem 2004er Debüt "Funeral" beständig den Ruf als eines der besten kanadischen Indie-Importe erarbeitet hat - wenngleich man einst zu Zeiten von "Funeral" eigentlich hätte glauben können, dass es besser kaum werden könnte, als auf diesem theatralischen und barocken Indie-Wunderwerk. Doch das hielt die Band nicht davon ab, mit dem dunklen "Neon Bible", dem epischen Meisterwerk "The Suburbs" oder zuletzt dem schillernden Doppelalbum "Reflektor" eine ganze Reihe weiterer famoser Platten zu verzapfen. Und das auch ihr 5. Album im Bunde eigentlich gar nicht schlecht werden könnte, ließ schon der Titeltrack "Everything Now" (♪♫♪) erahnen, der im Frühjahr als erste Single erschien: dieser unwiderstehlich mitreißende Disco-Rock-Ohrwurm, der mit seiner ansteckenden Piano-Hookline ein gewissen ABBA-Flair zu versprühen vermag. Und der erste Eindruck hat auch hier wieder einmal nicht getäuscht, denn auch ihr neues Album sollte in der Tat weit davon entfernt sein, ein schlechtes oder schwaches Album sein. Denn dafür haben Arcade Fire wieder viel zu viel richtig gemacht. So findet man einen ähnlich schwungvoll optimistischen Charakter, wie ihn schon die erste Single vorgab, auch auf dem gesamten Album wieder. Was aber wohl auch kaum eine Überraschung sein sollte, wenn man sich so jemanden wie Thomas Bangalter von Daft Punk als Produzenten sucht. Das äußert sich manchmal deutlich tanzbarer, wie etwa im umgemein catchy "Signs of Life", oder in von New Wave- und Synthpop-Einflüssen geprägten Perlen wie "Creature Comfort", "Put Your Money On Me" oder "Electric Blue".  Aber auch nachdenklicheren und irgendwie verträumteren Momenten kann man hier ebenso begegnen, für die das herrliche melodische "Peter Pan", das relaxte, fast schon melancholische "Good God Damn", oder das ruhigere und zauberhafte, aber zugleich epische und nahezu hymnische "We Don't Deserve Love"  ganz wunderbare Beispiele sind. Zwar mag "Everything Now" das vielleicht bislang streitbarste der Band sein, hat es doch in der Tat ein paar verzichtbare Füller (die zwei unnötigen Reprise-Versionen des Titelsongs) und auch als erste Arcade Fire-Platte einen wirklich schwachen Song ("Chemistry"). Aber doch reichen diese Kritikpunkte keineswegs aus, diesen ganzen eigenen Glanz zu trüben, den auch ihr neues Album ausstrahlt - wenngleich man zugeben muss, dass die Vorgänger-Alben noch ein klein wenig schöner funkelten.


24. BENJAMIN CLEMENTINE - "I TELL A  FLY"


Wenn man ein paar junge Musiker der letzten Jahre nennen sollte, die man wahrhaft als Künstler und virtuose Talente bezeichnen kann, dann sollte auch Benjamin Clementine mit dabei sein. Denn was der junge Engländer, der in seinen frühen 20ern zeitweilig obdachlos als Straßenmusiker in Paris lebte und sich bis heute zu einem der spannendsten jungen Künstler der etwas avantgardistischer agierenden Pop-Szene gemausert hat, für ein überschäumendes Talent besitzt, hat die Welt spätestens wohl mit seinem 2015er Debüt "At Least For Now" begriffen - welches vollkommen zurecht mit dem renommierten Mercury-Prize ausgezeichnet wurde. Das so etwas wie Erwartungsdruck aber für einen Musiker wie Clementine keine allzu große Rolle spielt, kann man sich durchaus denken. Und das stellte er in diesem Jahr auf seinem Zweitwerk "I Tell a Fly" eindrucksvoll unter Beweis. Denn zwar war schon der Vorgänger ein äußerst inspiriertes, experimentierfreudiges, mit verschiedensten Einflüssen spielendes und oft unorthodox aufgebautes Werk - und doch wurde es überwiegend von Painoballaden beherrscht. Auf seinem neuen Album ging Clementine noch ein paar Schritte weiter, erschloss neues musikalisches Terrain und gestaltete seine Kompositionen noch vielschichtiger, kunstvoller, theatralischer und avantgardistischer. Jedermanns Geschmack wird sein neues Werk aber mit Sicherheit nicht treffen - das sollte einem ungeübten Ohr schon beim Einstieg in die Platte klar werden: mit dem Opener "Farewell Sonata", der mit hallend verzerrten Stimmen beginnt, die auch schon bald von einem verträumten Pianospiel abgelöst werden, welches wiederum für wilde, leidenschaftliche und teils fast paranoid anmutende Gesänge das Feld räumt - um dann schlussendlich wieder in einem einsamen Piano zu münden. Ja, das liest sich mit Sicherheit sehr verwirrend, was es auch tatsächlich ein klein wenig ist - aber auch ebenso faszinierend. Wobei "verwirrend" und "faszinierend" zwei Schlagwörter sind, die auch sehr gut zu all dem passen, was auf "I Tell a Fly" noch alles folgt. So beachte man etwa auch das großartige, leicht düster und musical-artig veranlagte "God Save The Jungle", die viele unterschiedliche Phasen und Facetten durchlaufende erste Single "Phantom of Allepoville",  die im Albumkontext schon erstaunlich eingängige dritte Single "Jupiter" (♪♫♪), oder das von Breakbeats, barocken Einflüssen und Chören untermalte "One Awkward Fish". So durchläuft Benjamin Clementine auf seinem Zweitwerk nicht nur stimmlich alle möglichen und denkbaren Facetten und Klangfarben, sondern verflechtet auch musikalisch die verschiedensten Einflüsse auf oft unkonventionelle, aber stets verdammt geschickte Art und Weise zu einem Gesamtkunstwerk, dass man eigentlich nur noch staunen kann.




23. FLEET FOXES - "CRACK-UP"


Es hätte wahrlich nicht mehr viel gefehlt und man hätte die Fleet Foxes in eine Schublade mit all jenen anderen Musikern gepackt, die einen spektakulären musikalischen Start hinlegten, nur um danach ähnlich unspektakulär in die Vergessenheit zu entschwinden  - freilich mit einer Träne der Reue im Auge und einem beklemmenden Gefühl der Wehmut im Herzen, in Anbetracht der Magie, die sie einst in ihren frühen Tagen zu entfachen vermochten. Damals, als die amerikanische Band mit ihrer "Sun Giant"-EP (2008) und ihrem herausragenden Debüt "Fleet Foxes" (2009) in nicht gerade geringem Maße daran beteiligt waren, den zeitgenössischen Folk stärker im Bewusstsein der Allgemeinheit zu verankern. Auch ihr Zweitwerk "Homelessness Blues" war ein fraglos gelungenes Album - und meinetwegen kreiden wir es meiner vielleicht einst etwas übersteigerten Erwartungshaltung an, aber vor allem langfristig konnte sich der Nachfolger nicht in meinem musikalischen Langzeitgedächtnis halten. Als danach dann die Jahre nahezu tatenlos für die Fleet Foxes ins Land strichen, schwand auch allmählich die Hoffnung, dass noch etwas großes von der Band kommen möge - bis dann in diesem Jahr nach 6 langen Jahren das Warten ein Ende hatte, als im Sommer ihr drittes Album "Crack-Up" erschien. Und auch wenn auf den ersten Blick bei den Fleet Foxes alles wie beim Alten zu sein scheint - die warmen, atmosphärisch folkigen Arrangements, die sanft einlullenden oder bis weit hinauf in den Himmel entschwebenden Harmoniegesänge oder den wie aus der Zeit gefallenen, wunderbar zu Herzen gehenden Melodien - haben sie ihrem Sound auf der neuen Platte einer sanften Weiterentwicklung unterzogen. Wie in diesem Jahr schon von der einen oder anderen Kritikerstimme zu vernehmen, ist "Crack-Up" teilweise etwas progressiver ausgefallen, als seine Vorgänger. Davon konnte schon die erste Single "Third of May/Õdaigahara" buchstäblich ein Lied singen, welches sich über fast 9 Minuten zum atmosphärischen und mit dynamischem Wechsel von lauten und leisen Passagen spielenden Folk-Epos aufbaut. Und auch der Albumopener, das von mehrfachem Stimmungs- und Tempowechsel durchzogene "I Am All That I Need / Arroyo Seco / Thumbprint Scar", kann dies ebenso gut bezeugen. Ansonsten sind die Fleet Foxes vor allem mal wieder ganz sie selbst - nur für meine Wahrnehmung deutlich spannender und fesselnder als zuletzt. Dafür können dann von mir aus so herrliche Stücke als Zeugen herhalten,  wie das sanfte und melodieverliebte "Kept Woman", die zärtlich schillernde Ballade "If You Need To, Keep Time On Me", das zwischenzeitlich vielleicht ein wenig barock  anmutende und hypnotisch schöne "Mearcstapa", oder das fantastische "Fool's Erand" (♪♫♪), welches heute wohl als unsterblicher Klassiker gelten würde, hätte es anstelle von ein paar Monaten, ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel. Und so ist den Folk-Barden von den Fleet Foxes in diesem Jahr ein wunderbares drittes Album gelungen, auf dem sie sich in meinen Ohren wieder mit einer ganzen Ecke mehr Inspiration und Tatendrang als zuletzt präsentieren.  



22. ALT-J - "RELAXER"

Man muss es schon zugeben: "Relaxer", das diesjährige und insgesamt dritte Studioalbum der britischen Band Alt-J, war auf Anhieb wahrscheinlich für kaum einen leicht greifbar. Bei etwas genauerer Betrachtung verdeutlichte dies aber nur etwas, was man schon seit ihrem Debüt vor 5 Jahren weiß: das Alt-J nun mal keine gewöhnliche Band sind. Die Band hatte von Anbeginn ihren ganz eigenen Sound und ihre ganz eigene Vision und scheute dabei auch nie vor Experimenten oder künstlerischer Weiterentwicklung zurück. All das (und noch ein wenig mehr) verdichteten sie auf ihrer diesjährigen Platte auf ihre gewohnt ganz eigene (und für manch einen vielleicht auch eigenwillige) Weise zu einem musikalischen Konzentrat, das einen zu Anfang vielleicht etwas ratlos hinterlassen kann - dafür aber bei mehrmaligem Hören eine erstaunliche Wirkung zu entfalten vermag. Trotz meiner Begeisterung fällt es mit auch durchaus nicht leicht, diese 8 Stücke umfassende Songsammlung in die passenden Worte zu pressen, das aller vermutlicher Verwirrung zum Trotz zugleich minimalistisch, episch, homogen, vielseitig und dynamisch wirkt. Schon die erste Single "3WW" (♪♫♪), was übrigens für "Three Worn Words" steht, sollte dies fabelhaft illustrieren - und dabei auf unaufgeregt wunderbare Weise verdeutlichen, wie die Band sich künstlerisch weiterentwickelt hat und wie sie aus unkonventionellen Songstrukturen ein Art-Pop-Wunderwerk erschaffen kann, dass sich erst in scheinbar  unerschöpflicher Geduld in ambient-artige Klangwelten spielt, nur um sich dann urplötzlich zu einem strahlenden Refrain zu erheben. Den Grundton des Albums gab dies allerdings nicht wirklich an - ist selbiges dafür doch stilistisch entschieden zu vielseitig, was man sämtlichen Stücken von "Relaxer" auch deutlich anhört. So wie etwa dem großrartigen "Adeline", das als sanfter Folksong beginnt und sich im Laufe seiner kanpp 6-minütigen Spieldauer zur einer nahezu symphonischen Hymne entwickelt, in der sie Samples aus Hans Zimmer's Soundtrack zu "Der schmale Grad" verwenden. Dem dynamischen, mitreißenden und zahlreiche Haken schlagenden Indie-Hit "In Cold Blood", dessen Ursprünge in den frühen Tagen der Band liegen. Ihrer atmosphärischen und folkigen Coverversion des Traditionals "House of the Rising Sun", das im Vergleich zur bekanntesten Interpretation von den Animals wie ein vollkommen anderer Song klingt. Dem roher und rockiger, aber nicht minder atmosphärisch veranlagten (und mich persönlich aus welchem Grund auch immer an Filme von Quentin Tarantino erinnernden) "Hit Me Like That Snare". Dem zugleich eigenwilligen und eingängigen und etwas elektronischer angehauchten "Deadcrush". Oder dem wunderbaren, barocken und folkigen "Pleader", das in seinem Höhepunkt unter Einsatz von Orgeln und Chören fast eine Kirchen-Atmosphäre erzeugt. Eine ganze Menge unterschiedlicher musikalischer Bausteine, die einem hier innerhalb von nur 8 Songs um die Ohren fliegen - aber aus denen Alt-J am Ende ein ziemlich erstaunliches und vor allem hervorragendes Album gebastelt haben.




21. ST. VINCENT - "MASSEDUCTION"

Nachdem die amerikanische Musikerin Annie Clark ihre Karriere als Mitglied der Band The Polyphonic Spree, sowie als Teil der Tourband von Sufjan Stevens begonnen hatte, startete die heute 35jährige Singer/Songwriterin und Multiinstrumentalistin vor nun bereits 10 Jahren ihre Solokarriere unter dem Bühnennamen St. Vincent. Und vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sie unter diesem Pseudonym dann gleich eine Reihe von der Kritik hoch gelobter Alben veröffentlichte, kommt es schon beinahe einem musikalischen Sakrileg gleich, dass ich ihr erst im Zuge ihres vierten und bislang letzten Albums "St. Vincent" (2014) erstmals meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte. Immerhin war es ein hervorragendes, mit einem Grammy ausgezeichnetes Album, das es einem schwer machte, sie künftig noch übersehen zu können. Doch wer es dennoch fertig gebracht haben sollte, selbst bis heute noch um St. Vincent herum zu kommen, der hatte in diesem Jahr mit ihrem neuen und fünften Studioalbum die Gelegenheit, dieses Versäumnis nachzuholen - und zwar eine ziemlich perfekte, um genau zu sein. Denn hier hat sie wieder ganz wunderbare Dinge ausgeheckt, mit denen die eh bereits für ihre Wandlungsfähigkeit bekannte Dame wieder etwas andere Töne als zuletzt anschlägt. War "St. Vincent" überwiegend  noch stark von Art-Rock und Noise-Elementen geprägt, geht St. Vincent auf "Masseduction" - neben zahlreichen Bezügen zu Stilen wie New Wave, Glam oder Elektro - doch auch ein ganzes Stück weiter auf den Pop zu. Diesbezüglich mag es wohl mit Sicherheit kein Zufall sein, dass Jack Antonoff Co-Songwriter und Produzent der Platte ist - welcher etwa allein in diesem Jahr an den aktuellen Alben von Taylor Swift, Lorde oder Pink beteiligt war. Und diese musikalische Liaison schien sich gut vertragen zu haben, trägt sie auf "Masseduction" doch zahlreiche Früchte: so wie den unwiderstehlich mitreißenden und von New Wave beeinflussten Dance-Pop/Rock-Hit "Los Ageless" (♪♫♪);  die wandlungsfreudige und dynamische  Perle "Pills", die anfangs als cleverer und rhythmischer Pop-Rock-Ohrwurm beginnt und sich gen Ende in eine leidenschaftliche Art Glam-Hymne stürzt; den gewisse Erinnerungen an Donna Summer's "I Feel Love" heraufbeschwörenden, mit elektronischen, rockigen und  auch ein wenig technoiden Mitteln spielenden  "Sugarboy";  die auf einem zwingenden Beat reitende  und ein wenig nach Glam schmeckende Dance-Rock-Hymne "Young Lover"; oder eben auch so emotionale bis geradezu zauberhaft schöne Balladen wie "Happy Birthday, Johnny" oder "Slow Disco". Ja, man kann "Masseduction" im Grunde schon ein Pop-Album nennen. Aber eben ein verdammt cleveres, sich auf hohem künstlerischen Niveau bewegendes Pop-Album, das einem mit Sicherheit in Erinnerung bleiben wird.





20. JOHN MAUS - "SCREEN MEMORIES"


Als 2011 das dritte und bisher letzte Studioalbum "We Must Be The Pitiless Censors Of Ourselves" von John Maus erschien, war ich aus gutem Grund hin und weg. So perfekt hatte der heute 37jährige Amerikaner, der sich nicht nur Sänger und Songwriter, sondern zudem auch Doktor der politischen Philosophie nennen darf, seinen ganz eigenen Stil noch nie auf den Punkt gebracht. Zwar schmiss er sich schon immer voller Inbrunst und auf seine ganze eigene und eigenwillig wunderbare Weise dem Synthpop, New Wave und Post-Punk der 80er Jahre an den Hals - doch eben nie auf solch einem schwindelerregend hohem künstlerischen Niveau. Danach sollte es ganze sechs Jahre bis zu seinem Nachfolger "Screen Memories" dauern - doch wer schon sein letztes Werk mochte, für den wird sich diese lange Wartezeit wahrscheinlich durchweg gelohnt haben. Denn sein nunmehr viertes Werk, welches der Künstler in den letzten Jahr in seinem Haus in Minnesota aufgenommen hat, steht seinem Vorgänger in kaum etwas nach.  Beweise für diese These sind nur allzu leicht gefunden. Schon mit dem Opener "The Combine" sticht einem der erste ins Auge, der sich zwar als vergleichsweise arm an Gesang erweist (wobei Songs von John Maus aus Erfahrung ja prinzipiell nie viel Text benötigten), sich dafür instrumental als nahezu hypnotischer Synthpop-Epos umso mehr ins Zeug legt. Doch dann geht es erst so richtig los. Etwa mit dem auf fast schon zauberhaft schillernden Synthesizern reitenden "Teenage Witch", dem atmosphärischen und wunderbaren "Walls of Silence", dem nahezu eingängigen und post-punkig veranlagten "Find Out", mit der psychedelisch verwehten und schwermütigen, aber zugleich strahlenden Synthie-Perle "Sensitive Recollections" (♪♫♪), oder dem herrlichen "Decide Decide", das - wenn ich meiner Fantasie ein bisschen zu viel freien Lauf lasse - fast so klingt, als wäre es einer drogengeschwängerten Jam-Session von sagen wir Kraftwerk, Depeche Mode und Talk Talk entsprungen. So zelebriert John Maus auf "Screen Memories" eine Art avantgardistisches 80s-Revival, das sich musikalisch gar in regelrecht hymnische und majestätische Sphären vorwagt, und all das mit seinen wie gewohnt teils sarkastischen und philosophischen Texten paart, die sich ihrem Minimalismus zum Trotz gar nicht so leicht entziffern lassen, wie man gemeinhin denken könnte. Ein nahezu berauschendes Album, wenn man mich fragt - das aber sogar manch ein Pop-Herz erobern kann, wenn man ihm die Chance dazu gibt.



19. HAIM - "SOMETHING TO TELL YOU"

In diesem Jahr haben uns auch die amerikanische Band Haim um die drei Schwestern Danielle, Este und Alana Haim ein neues Album geschenkt. Nachdem schon ihr 2013er Debüt hoch gelobt wurde, erlebten sie ihren großen kommerziellen Durchbruch vor allem durch die bekannte Kollaboration mit Calvin Harris. Und trotz des unbestreitbaren Ohrwurm-Charakters dieser Zusammenarbeit, folgen Haim auf ihrem ersten Album nach großer Mainstream-Aufmerksamkeit einem anderen Weg als dem, der sie einem breiteren Publikum schmackhaft machte. Sicherlich wäre es danach zwar ein Leichtes gewesen, einige der führenden Köpfe der aktuellen Dance-Szene zusammen zu trommeln, um ihnen ein hübsch zeitgeistiges Dance-Pop-Album mit ein paar garantierten Chart-Hits auf den Leib zu schneidern (siehe Ellie Goulding). Aber Haim hatten da auf "Something To Tell You" ganz anderes im Sinn. So werden hier keine klaren aktuellen Stile zitiert oder imitiert, was schon die Wahl der wenigen Produzenten und Co-Songwriter verdeutlicht, die ihnen hier zur Seite standen. Allen voran Ariel Rechtshaid, der schon am Debüt der Band mitwirkte und auch schon für Madonna, Solange oder Vampire Weekend gearbeitet hat. Und ebenso waren auch Twin Shadow, Dev Hynes oder Rostam Batmanglij (Vampire Weekend) mit an Bord. Mit der Leadsingle "Want You Back" (♪♫♪) legten sie vorab den Kurs des neuen Albums schon ziemlich gut fest: einem ganz wunderbaren Pop-Song, der sich keinerlei zeitgenössischen Trends unterwirft, sondern mit sehr klassischen Pop-Mitteln arbeitet, wobei ich hier doch recht deutlich an den Sound der 90er Jahre denken muss. Aber das Album als Ganzes scheint dabei eher die Pop-Traditionen der 70er und 80er Jahre zu reanimieren - gelingen ihnen hier doch einige wunderbare Fleetwood Mac- / Stevie Nicks-Momente. So etwa in stärker 80s-infizierten Stücken, wie dem schwelgerischen und wunderbar produzierten Ohrwurm  "Nothing's Wrong" oder dem leichtfüßig melodischen  und verträumt tänzelnden "You Never Knew". Aber das Album hat noch so einige andere Perlen auf Lager - wie etwa das minimalistische, aber dennoch groovig-melodische "Kept Me Crying", das hymnische und von Streichern untermalte "Found It  In Silence", das wunderbare und sanfte, aber trotzdem eindringliche "Walking Away", oder das atmosphärische und wunderschöne "Night So Long".  Mit "Something To Tell You" ist den drei Schwestern ein ganz wunderbares Zweitwerk gelungen, dass zwar auf den ersten Eindruck recht klassisch produziert zu sein scheint, aber in den Details verdammt spannendes zu bieten hat - von den wunderbaren Melodien und Gesangsharmonien, welche die drei Schwestern hier unablässig aus den Ärmeln schütteln, mal ganz abgesehen. Ein beinahe perfektes Pop-Album.




18. ARIEL PINK - "DEDICATED TO BOBBY JAMESON"

Es mag noch unzählige Menschen da draußen geben, die noch niemals etwas von dem amerikanischen Musiker Ariel Pink gehört haben - ein Umstand, der für Kenner und Liebhaber des Musikers wohl prinzipiell unglaublich erscheint. Und einem mit jedem neuen Album des 39-jährigen Künstlers aus Los Angeles ein wenig fassungsloser stimmt. Nachdem er sich bereits seit Ende der 90er mal als Ariel Rosenberg oder später als Ariel Pink's Haunted Graffiti (oder halt eben einfach nur Ariel Pink) einen Namen machte, konnten seinen letzten Platten "Mature Themes" (2012) oder "Pom Pom" (2014) zwar allmählich ein klein wenig mehr Aufmerksamkeit erlangen, aber der größeren Masse blieb er trotz seinem nicht geringen Kultstatus auch mit seinem diesjährigen und 11. Studioalbum "Dedicated To Bobby Jameson" weitestgehend unbekannt - was dieses hervorragende Album allerdings keineswegs verdient hat. Denn hier hat Ariel Pink mal wieder ein fantastisches, avantgardistisches, aber dennoch eingängiges und wie aus der Zeit gefallenes Album geschaffen. Denn hier  zappt  er sich musikalisch fleißig durch die Jahrzehnte und Stilrichtungen, dass einem ganz schwindelig vor Freude werden kann. So sind der einnehmend ohrwurmige Psychedelic-Pop-Titelsong "Dedicated To Bobby Jameson", das von harmonisch dengelnden bis tanzbaren treibenden Gitarren begleitete "Bubblegum Dreams",  das großartige, auf hypnotischen Retro-Orgeln reitende "Dreamdate Narcissist" oder die wunderbare und verträumt psychedelische (und als winzigen zeitgenössischen Bezug auch ein klein wenig an MGMT gemahnende) erste Single "Another Weekend" (♪♫♪) hörbar in den 60's verwurzelt. Während man wiederum das funky veranlagte "Death Patrol" eher eine Dekade später einordnen würde - ebenso wie das relaxte und funky-discoide "Acting", das in meinen Augen eine kleine Ahnung davon geben kann, wie Daft Punk womöglich in den 70ern hätten klingen können. Und einige andere Songs wiederum, zu denen etwa der famos synth-popige Opener "Time To Meet Your God", der lieblich "kitschige" New Wave-Ohrwurm "Feels Like Heaven" oder der waschechte und im Grunde unwiderstehliche Pop-Ohrwurm "I Wanna Be Young" zählen, tauchen tief in die besten Seiten der 80er Jahre ein. Und all diese unterschiedlichsten Stile und Bezüge letztendlich zu einem schlüssigen und sogar durchweg gelungenen Album zu bündeln, wie es Areil Pink auf "Dedicated To Bobby Jameson" geschafft hat, ist auch eine Kunst für sich. 




17. TAYLOR SWIFT - "REPUTATION"

Es gibt sie ja zum Glück immer wieder, die Sorte Musiker, die die einen mitunter noch überraschen können. Besonders praktisch ist dies natürlich bei den Musikern, von denen man dies wohl am wenigsten erwartet hätte. So wie etwa bei Taylor Swift, welche es sich seit Beginn ihrer Karriere über Jahre hinweg im braven und biederen Country-Pop bequem gemacht hatte. Zwar setzte der erste Wandel schon mit ihrer tollen letzten Platte "1989" ein, aber mal Hand aufs Herz: von ein oder zwei kleinen Ausflügen mal abgesehen, war das alles trotzdem immer noch recht brav. Aber damit hatte sie es immerhin schon auf hervorragende Weise geschafft, ihr altes Country-Ego mit einem Schlag in die 1. Pop-Liga zu katapultieren. Der noch deutlichere Bruch mit ihren alten Ich sollte in diesem Jahr mit ihren sechsten Album "Reputation" folgen. Hier gelang ihr unter Mithilfe ihrer Produzenten Max Martin, Shellback und Jack Antonoff  eine hervorragende Pop-Platte, auf der sie den zuletzt eingeschlagenen Weg konsequent voran schreitet, neue Dinge probiert und ihren Sound hörbar erweitert. Das äußert sich in vielen Facetten - ob in der Musik selbst, die Taylor Swift so stilistisch vielseitig wie noch nie zeigt; in ihrem Gesang, der oft noch ausgereifter und kraftvoller anmutet; in der Produktion, die noch spannender und kreativer gelungen ist als zuletzt; in den Lyrics, die noch persönlicher wirken und Taylor erneut als hervorragende Songwriterin bestätigen; oder auch in ihrem Image, das im Kontext des neuen Albums in der Tat alles andere als brav rüberkommt. Schon die erste Single "Look What You Made Me Do" (♪♫♪) gab grob den Kurs vor, in welcher sie Auszüge aus Right Said Fred's Hit "I'm Too Sexy" mit Elementen aus Electroclash und Pop zu einem waschechten Hit vermengte - während sie inhaltlich mit Leuten abrechnete, die es in den letzten Jahren nicht gut mit ihr meinten, aber auch gleichzeitig sich selbst ins Visier nahm, um schlussendlich gar ihr altes künstlerisches Ego zu Grabe zu tragen: "I'm sorry, the old Taylor can't come tp the phone right now. Why? Oh...'cause she's dead!" Und das neue Album sollte noch viel mehr bieten. Etwa den famosen Elektro-Pop-Ohrwurm "Ready For It...!?", welcher mit Raps, Industrial-Einflüssen und einem wunderbar melodischen Refrain besticht, das stark von R&B beeinflusste und gemeinsam mit Future und Ed Sheeran entstandene "Endgame" oder das hervorragende und in seinen Refrains zur treibend tanzbaren Elektro-Pop-Nummer anschwellende "I Did Something Bad", in dem sie auch inhaltlich die Zähne zeigt und sogar das Wörtchen "shit" in den Mund nimmt. Ferner natürlich auch der leicht düster-getragene und mit EDM-Elementen angereicherte Ohrwurm "Don't Blame Me", dessen Textauszug "Lord save me, my drug is my baby, I'll be using for the rest of my life" eine meiner liebsten Zitate des Pop-Jahrgangs 2017 darstellt. Und insbesondere auch die nahezu perfekte und in den Versen beatig getragene und nachdenkliche, aber in seinen Refrains von strahlenden Synthies durchflutete Dance-Pop-Perle "Dancing With Our Hands Tied" - bei der jedesmal eine Stimme in meinem Hinterkopf unablässig "HIT!" brüllt. Auf "Reputatition" kommen aber auch etwas "klassischer" anmutende Pop-Momente nicht zu kurz, die auch eine fantastische Figur auf ihrem letzten Album "1989" gemacht, aber selbiges wohl auch locker überstrahlt hätten. Das betrifft etwa das chillige und sinnliche, mit atmosphärisch verzerrten Vocals angereicherte "Delicate", die wunderbare und bittersüße Pop-Hymne "Getaway Car", die ein Verbrecherpaar auf der Flucht als Metapher für eine zum scheitern verurteilte Liebe nutzt, die liebliche und romantische Pop-Perle "Call It What You Want", oder das fabelhafte, von rhythmischen Trommelklängen begleitete Liebeslied "King Of My Heart", das im Refrain erneut mit Vocoder-Effekten spielt. Zusammen genommen ist ihr mit "Reputation" eine verdammt schicke Pop-Platte gelungen, die ihre vorangegangene musikalische Entwicklung weiter voran treibt und um einen doch merkbaren Imagewandel erweitert, dabei auch mit (potenziellen) Hits nicht geizt und zumindest mein persönliches Pop-Herz im Sturm erobert hat. 



16. LCD SOUNDSYSTEM - "AMERICAN DREAM"

Das sich der 47jährige Amerikaner James Murphy musikalisch schon um so einiges verdient gemacht hat, dürfte wohl dem einen oder anderen bekannt sein. Ob nun als Mitbegründer des Labels DFA Records (Hot Chip, Hercules & Love Affair, The Rapture), als Produzent (Arcade Fire, Gorillaz, Pulp, Yeah Yeah Yeah's) oder als Remixer ("Love is Lost" von David Bowie). Aber allem voran natürlich als Musiker, ist er nebenbei doch auch noch Frontmann und kreativer Kopf von LCD Soundsystem. Mit seiner Band stellte er seit Mitte der 2000er und über drei Studioalben hinweg den zeitgenössischen Alternative und Elektro kräftig auf den Kopf - und schien damit sowohl bei Hörern wie Kritikern stets einen Nerv zu treffen. Bis der künstlerische Traum vor 6 Jahren endgültig geplatzt zu sein schien, als die Band ihre Auflösung bekannt gab. Aber was ist schon eine Trennung ohne ein gutes Comeback? Und zu dem haben LCD Soundsystem in diesem Jahr mit ihrem nun vierten Werk "American Dream" angesetzt. In diesem spezifischen Fall kann man sogar von einem fantastischen Comeback sprechen. Mit einer stilistischen Mischung, die sich aus Einflüssen von Dance- und Post-Punk, über New Wave und bis hin zu Synthpop erstrecken, zeigen Murphy und seine Band hier eine oft hörbare Nähe zu David Bowie und Brian Eno, was ihnen schon Vergleiche zu Bowie's Berlin-Trilogie einbrachte. Das ganze Spektakel geht schon grandios mit dem in wunderbar angestaubte Synthesizer gebetteten Opener "Oh Baby" los, welcher sich offenbar von Suicides 1979er "Dream Baby Dream" inspirieren ließ. Danach führt der Weg durch das restliche Album vorbei an zahlreichen Perlen: etwa an dem auf einem fast schon funky Groove fußenden "Other Voices"; an der mitreißenden und wie einiges auf dem Album deutlich an David Bowie orientierten Post-Punk-Hymne und ersten Single "Call The Police"; dem nachdenklichen und zeitlosen, von softer Elektronik und Streichern verzierten "I Used To" (♪♫♪); dem  zugleich tanzbaren und hypnotischen, 9-minütigen New-Wave-Epos "How Do You Sleep?"; dem fantastischen, in strahlende Synthesizer gebetteten Titelsong "American Dream"; oder dem wunderbaren, sanft (retro-) elektronischen und gar schon kunstvoll in Szene gesetzten, 12-minütigen Closer "Black Screen", der sogar eine direkte Hommage an Bowie darstellt. Das ein Album, welches sich so nah an dem 2016 verstorbenen großen Meister orientiert, bei mir offenen Türen einrennen würde, ist für mich aber nicht so überraschend. Dennoch: bei solch einem Album hätte auch eine Menge schief gehen können. Aber nicht bei LCD Soundsystem. Die haben stattdessen mit "American Dream" einfach mal wieder so ziemlich alles richtig gemacht.



15. DECLAN McKENNA - "WHAT DO YOU THINK ABOUT THE CAR?"

Einer der spannendsten Newcomer des Jahres war in meinen Ohren der gerade einmal 18 Jahre junge britische Musiker Declan McKenna, der schon seit bummelig zwei Jahren mit einer knappen handvoll famoser Singles auf sich aufmerksam gemacht hatte - bis er in diesem Sommer dann endlich sein Debütalbum "What Do You Think About The Car?" vorlegte. Denn was der junge Mann für ein wahnsinniges Gespür für schicke Melodien und für polit- und gesellschaftskritische Texte besitzt, ist bei seinem jungen Alter durchaus bemerkenswert. Für beides gibt es auf dieser Platte Beispiele genug. So etwa gleich zu Beginn der famose Indie-Ohrwurm "Humongous" (♪♫♪), der eine zeitlos tolle Melodie und einen einnehmenden Refrain, sowie einen schicken kreativen Twist zu bieten hat, wenn es im letzten Drittel plötzlich in einer bunten Mixtur aus Synthpop, Indierock und Glam ausbricht. Und danach folgen die weiteren Highlights nur so Schlag auf Schlag: die Indiepop-Perle "Brazil", auf welcher er sich kräftig mit der FIFA bezüglich der WM in Brasilien anlegt; das catchy mitreißende "The Kids Don't Wanna Come Home", das man mit ein wenig Fantasie als so etwas wie einen politischen "Coming-of-Age"-Song bezeichnen könnte; das ohrwurmige "Isombard", welches man hingegen laut Sänger als eine musikalische Neuinterpretation von E.E. Cummings satirischem Gedicht "Next to of course god america i" betrachten kann; die wunderbare, nachdenkliche und mit einem fast schon psychedelisch anmutendem Refrain versehene Indie-Perle "Make Me Your Queen"; das leicht folkig veranlagte und sich kritisch mit Religionen auseinandersetzende "Bethlehem"; oder das großartige, von sanften Orgeln und Retro-Synthies begleitete "Paracetamol", indem er die falsche und missverständliche Darstellung der LGBT-Community durch die Medien thematisiert. Das klingt nicht nur in der Theorie ziemlich erstaunlich - vor allem wenn man bedenkt, das die meisten dieser komplett selbst komponierten Songs zwischen seinem 15. und 17. Lebensjahr entstanden. Entgegen der nicht selten ernsten und reifen Themen seiner Songs, gibt er sich aber sonst nicht immer ebenso ernst und reif. In seiner Musik wie auch seinem ganzen Auftreten kokettiert er vielmehr häufig auch bewusst mit seiner Jugend, was sich in diesem Kontrast fast schon erfrischend anfühlt bzw. anhört. Am Ende bleibt nur noch zu sagen, dass man sich den Namen Declan McKenna besser merken sollte - denn nach einem so fabelhaften, cleveren und mitreißenden Debütalbum wie "What Do You Think About The Car?" bleibt einem kaum eine andere Wahl, als dem jungen Mann eine große musikalische Zukunft zu prophezeien. 




14. SUFJAN STEVENS, BRYCE DESSNER, NICO MUHLY & JAMES McALLISTER - "PLANETARIUM"


Das eine neue Platte, an welcher der 41-jährige amerikanische Singer-Songwriter Sufjan Stevens beteiligt ist, im Grunde eine kleine Sensation für sich ist, sollte nicht wenigen da draußen bekannt sein. Dabei durchstreifte er im Laufe seiner Karriere zahlreiche musikalsiche Stile und Spielarten. Von einer inspirierend bunten Mischung aus Indie-, Folk-, Kammer- und Baroque-Pop auf Perlen wie "Michigan" (2003) odeer "Illionois" (2005), über elektronische Experimente auf dem Meisterwerk "The Age of Adz" (2010) und bis hin zu minimalistischem Folk und Lo-Fi auf dem wunderbaren "Carrie & Lowell" (2015). Dabei zeigte er schon einen deutlichen Hang zu Konzeptwerken, als er sich ursprünglich zum Ziel setzte, jedem US-Bundesstaat ein Album widmen zu wollen (wenn gleich es mit "Michigan" oder "Illinois" dann doch nur zwei wurden), oder auf seinem bislang letzten Werk "Carrie & Lowell" Erinnerungen an seine Kindheit und seine verstorbene Mutter verarbeitete. Auf seinem jüngsten künstlerischen Erguss, den er in Kooperation mit Bryce Dessner (The National), Nico Muhly und James McAllister (Ester Drang) schuf, reihte sich in diesem Jahr ein weiteres wunderbares  Konzeptwerk in seinen Backktatalog ein. Denn mit "Planetarium" haben die vier Herren ein atmosphärisches, melancholisches und psychedelisches, aber zugleich auch eindringliches und episches Album erschaffen, dass ebenso wunderschön, faszinierend, ausufernd und auch radikal wie eben das ist, was damit thematisiert wird: unser Sonnensystem! Jedem Planeten unseres Sonnensystems ist ein Song gewidmet (auch dem seit einigen Jahren zum Zwergplaneten degradierten Pluto), darüber hinaus aber auch anderen Objekten und Phänomenen, wie der Sonne, schwarzen Löchern, dem Kuipergürtel oder unserem Mond. So beginnt die musikalische Reise mit der zauberhaften und filigranen Piaonballade "Neptune" und führt über das einerseits sanfte, aber zugleich majestätische, vielschichtige und epische "Jupiter", das fabelhafte, wandlungsfreudige und recht spacig verzierte Meisterstück "Mars", das verträumte und irgendwie hypnotische "Moon" (das musikalisch ein wenig an Björk's "Vespertine"-Phase erinnert), oder das wunderbare, atmosphärisch schillernde und von erhabenen Streichern und Bläsern unterstützte "Pluto", und führt bis hin zum fantastischen und psychedelisch-elektronischen "Saturn" (♪♫♪), welches im letzten Drittel sogar tanzbar wird, oder dem wunderschönen 15-minütigen Epos "Earth", der erst ambient-artig mit einem lange Intro beginnt, nur um sich danach in immer weitere Höhen hinaufzuschwingen und sich regelmäßig in seiner Form zu wandeln. In meinen Augen ist Sufjan Stevens und seinen Mitstreitern mit "Planetarium" ein herausragendes, kreatives, experimentelles und inspiriertes Konzeptalbum gelungen, ohne welches mein Musikjahr 2017 etwas weniger spannend und faszinierend ausgefallen wäre.


13. PERFUME GENIUS - "NO SHAPE"

Wer den wunderbaren US-Musiker Perfume Genius heute kennenlernt, der kann sich wohl nur schlecht vorstellen, wo all das einst los ging. Genau genommen waren viele Zeiten seines bislang gerade einmal 33 Jahre jungen Lebens nicht immer nur allzu glücklich - so als er etwas schlussendlich als Junkie durch die Straßen und Gay-Clubs der Großstadt zog. Nachdem er sich wieder gefangen und seine musikalische Karriere begonnen hatte, wirkte er wie eine gebrochene Seele, als er die filigranen, verletzlichen und tieftraurigen Stücke seines 2010er Debüts "Learning" sang - und so wohl fast jedem aufmerksamen Hörer die eine oder andere Träne abpresste. Doch konnte man in den Jahren darauf deutlich hören und spüren, wie er als Person und Künstler immer mehr aufblühte und an Selbstbewusstsein gewann. Sein großartiges zweites Album "Put Your Back N2 It" (2012) folgte zwar noch der grundlegend traurig-melancholischen und schwermütigen Stimmung des Debüts, klang aber schon hörbar ausgereifter und hymnischer. Und bei seinem bislang letzten Album "Too Bright" (2014) brach er endgültig aus sich heraus und wirbelte mit musikalischen Experimenten beinahe nur so um sich. Einen ähnlichen Kurs hatte er auch in diesem Jahr mit seinem nunmehr vierten Album "No Shape" eingeschlagen. Ähnlich dem grundlegenden Ton des letzes Werkes, lebt er auch auf "No Shape" eine enorme Experimentierfreude aus und arbeitet sich auf einem guten Dutzend Songs durch eine lange Reihe an Stilen und Einflüssen, wobei er verspielt, leidenschaftlich, romantisch, düster oder auch zutiefst melancholisch klingen kann. So beginnt das Album mit der zärtlichen Piano-Ballade "Otherside", die in ihren Refrains zur himmlischen und gleißend strahlenden Hymne ausbricht, führt direkt zum einnehmenden und unerhört catchy Indie-Pop-Ohrwurm "Slip Away", über das wunderbar "kitschige" und auf liebliche Streicher gebettete "Just Like Love" oder das großartige und sich zur majestätischen Indie-Pop-Hymne empor schwingende "Wreath", bis hin zum düsteren, von dramatischen Streichern untermalten "Choir" oder dem auf herrliche Weise zugleich schwermütigen und romantischen "Die 4 You" (♪♫♪). So ist Perfume Genius mit "No Shape"  eine herausragende neue Platte gelungen, die wieder einmal bestätigt, dass sich Mike Hadreas alias Perfume Genius mit jedem Album als Künstler unentbehrlicher macht. Und auch wenn ich derartige Vergleiche nur ungerne ziehe, so bestätigte "No Shape" in diesem Jahr noch etwas anderes für mich: das Perfume Genius immer mehr zu einer Art männlichen Kate Bush des zeitgenössischen Indie-Pop wird.  


12. KELELA - "TAKE ME APART"

Ich zähle mich ja zu den Menschen, die immer noch dankbar für den Aufstieg des Sub-Genres Alternative-R&B sind. Viel zu sehr verzettelte sich der moderne R&B im Verlaufe der 2000er in Gleich- und Wohlklang, während viele Musiker auf ihren Alben dem ewig gleichen Prinzip folgten, eine handvoll zündende Hits mit überwiegend stinklangweiligem Füllmaterial auf Albumlänge zu strecken. Erst das Aufkommen des Alternative-R&B schien dem Genre wieder dauerhaft kreativen Wind unter die Flügel zu blasen. Vor allem populär geworden durch Musiker wie Frank Ocean, The Weeknd, FKA twigs oder Janelle Monaé, schien diese neue musikalische Spielart auch einige bereits etablierte Musiker äußerst positiv zu befruchten - wodurch manche von ihnen plötzlich zu den Künstlern mutierten, die man sich lange von ihnen gewünscht hatte (wofür Beyoncé mit ihren letzten beiden Alben ein wunderbares Beispiel abgibt). Und auch dieses Jahr meinte es der Alternative-R&B wieder einmal verdammt gut mit uns - was vor allem der amerikanischen Musikerin Kelela zu verdanken ist! Denn die 34-jährige Singer/Songwriterin aus Washington D.C., die manch einem vielleicht schon durch Gastbeiträge für u.a. Danny Brown, Solange Knowles oder die Gorillaz bekannt sein könnte, legte in diesem Jahr mit "Take Me Apart"  ein wahrlich herausragendes Debüt vor. Dafür standen ihr ein paar verdammt fähige Produzenten und Co-Songwriter zur Seite, unter denen es einerseits unbekanntere Namen gibt, die das aber spätestens nach diesem Album hoffentlich nicht mehr lange  sein werden. So wie etwa Jam City, die ihr u.a. beim fabelhaften "Frontline", dem catchy Elektro-R&B-Ohrwurm "LMK" (♪♫♪) oder dem genialen, minimalistisch beatigen und leicht funky anmutenden "Truth or Dare" unter die Arme griffen. Aber auch bekanntere Namen reihen sich hier ein, bei denen wenigstens ein klein wenig "fachkundige" Musikhörer leuchtende Augen bekommen könnten. So wie etwa Ariel Rechtshaid (Solange, Madonna, HAIM), der bei vielen Songs wie beim famosen Titelsong "Take Me Apart" oder dem samtig sinnlichen "Altadena" seine Finger im Spiel hatte. Ebenso aber auch Arca (Björk, FKA twigs, Kanye West), mit dem sie gemeinsam solche kleinen musikalischen Schätze wie "Enough", das atmosphärisch-beatige "Onanon" oder das auf schwermütige Streicher gebettete "Turn To Dust" ausgeheckt hat. Und zu allem Überfluss ging ihr zwischendurch auch noch Romy Madly-Croft von The xx als Co-Songwriterin zur Hand ("Jupiter", "Better"). Mit all diesen helfenden Händen hat Kelela ein derart wunderbares, experimentierfreudiges, und sinnliches Debütalbum kreiert, dass man fast schon weiche Knie kriegen könnte. 



11. LANA DEL REY - "LUST FOR LIFE"

Was war das doch für eine spannende Reise, auf die uns Lana Del Rey in den letzten Jahren mit ihrer Musik entführte. Wenngleich diese Reise ja auch automatisch eine kleine Zeitreise war. So hatte es sich die Dame schon früh in der künstlerischen Nische des wie aus der Zeit gefallenen, lolita-artigen Wesens bequem gemacht, das gern mit düster-dramatischer Vintage-Ästhetik und romantisierten Erinnerungen an ein längst vergangenes Amerika kokettiert. So wehte auch schon immer ein Geist wie aus Zeiten der großen Hollywood-Klassiker, der leidenschaftlichen Liebesdramen und des "guten alten Amerikas" durch ihren ganzen Stil, was sie aber stets auf geschickte Weise mit der Gegenwart verband. Auf ihrem diesjährigen und mittlerweile 5. Album "Lust For Life" führte sie dies derart zur Perfektion, wie ihr dies bislang nur auf ihrem 2014er Album "Ultraviolence" gelungen war. Das schaffte sie hier mit einer Reihe hervorragender Songs, die sowohl durch musikalische Umsetzung, als auch durch ihren Inhalt punkten konnten. So etwa das wunderbare, atmosphärische und getragene, aber dennoch eindringliche "Love", das mit nostalgischem Charme eine Hymne an die Jugend singt. Im Duett mit The Weeknd besingt sie wiederum im großartigen Titelsong "Lust For Life" (♪♫♪) mit so herrlichen Worten wie "Climbing up the H of the Hollywood sign, in these stole moments the world is mine" die pure Lust am Leben, während die dunkle, verführerische und dramatische Perle "Cherry" von einer Art gefährlichen Liebe kündet: "'Cause I love you so much , I fall to pieces / My cherries and wine, rosemary an thyme / And all of my peaches are ruined." Im fabelhaften "Heroine" wird der gesamte Ton noch eine  Ecke düsterer, índem sie u.a. gar Anspielungen auf einen berühmt-berüchtigten Killer fallen lässt ("Topanga's hot today, Manson's in the air / All my friends have come, 'cause they still feel him here."). Und das leicht folkige, zauberhafte und zugleich melancholische "When The World Was At War We Kept Dancing" , scheint die aktuelle politische Stimmung in den USA zu thematisieren und an die Hoffnung der Menschen zu appellieren ("Is this the end of an era? / Is this the end of America? No, it's only a beginnig/ If we hold on to hope, we'll have our happy ending / When the world was at war before, we just kept dancing"). Doch auch andere Aspekte des Albums sind ihr nahezu perfekt gelungen. Denn was ihre Gäste auf dem Album betrifft, bewies die Dame ebenfalls Gespür und Geschmack. So ist neben bereits erwähntem The Weeknd nicht nur A$AP Rocky ("Summer Bummer", "Groupie Love") mit dabei, das fantastische und zeitlos schöne "Beautiful People, Beautiful Problems" wird gar durch die göttliche Stevie Nicks als Duettpartnerin geadelt und bei der wunderschönen und tieftraurigen Ballade "Tomorrow Never Came" griff ihr John Lennons jüngster Sohn Sean Ono Lennon unter die Arme. Nach dem durchaus netten und alles andere als misslungenen Vorgänger "Honeymoon", der bei mir aber nach nun gerade mal zwei Jahren nur noch vergleichsweise wenig Eindruck hinterlassen hat, hat sie in diesem Jahr wieder meine volle Aufmerksamkeit erregt - denn in meinen Augen ist ihr mit "Lust For Life" (neben "Ultraviolence") eines der besten Alben ihrer bisherigen Karriere gelungen.




10. LIL PEEP - "COME OVER WHEN YOU'RE SOBER, PT. 1"

So ändern sich die Zeiten: in meiner Jugend dienten einem vor allem anderen noch Radio und Musikfernsehen dazu, neue Musiker für sich zu entdecken. Heutzutage gibt's dafür halt YouTube, Soundcloud & Co. - mit all ihren kleinen und großen Vor- und Nachteilen. Aber eines ist gleich geblieben: man kann nach wie vor tolle neue Musik entdecken. Im Frühjahr diesen Jahres entdeckte ich eben über diese Wege den jungen und aufstrebenden amerikanischen Rapper  Gustav Åhr alias Lil Peep - der auch schon Beinamen wie "Soundcloud-Rapper" bekam. Der junge New Yorker mit Wurzeln in Deutschland und Irland, hatte schon eine Reihe EP's und Mixtapes veröffentlicht, ehe ich mit den ersten Songs von ihm in Berührung kam - die mich auf Anhieb vom Talent des jungen Mannes überzeugten. Als kurz darauf  - im August diesen Jahres - auch endlich sein Debütalbum "Come Over When You're Sober, Pt.1" erschien, war es wohl endgültig um mich geschehen. Denn was seine Musik für mich gleich besonders interessant machte: es fällt schwer, diese überhaupt noch richtig in Genres wie Rap oder HipHop einzuordnen. Das passt auch zu seinen musikalischen Einflüssen, die der Künstler selbst in den Red Hot Chili Peppers, Crystal Castles, My Chemical Romance oder Panic! At The Disco verortete, sowie zur Wahl der Samples, die er in der Vergangenheit gerne in seinen Songs verarbeitete - und zu denen u.a. Radiohead, Oasis oder The Postal Service gehören. Man könnte es vielleicht düsteren und schwermütigen, von Sprechgesang geprägtem Lo-Fi-Rap mit minimalistischen Einflüssen aus Grunge, Post-Punk und Alternative-Rock nennen. Oder man könnte auch die New York Times zitieren, die ihn ziemlich treffend als den Kurt Cobain des Emo-Trap betitelte. All das hört man auch den 7 Songs seines Debütalbums deutlich an, die gemeinsam eine recht homogen düstere und melancholische Stimmung schaffen und sich inhaltlich um Beziehungsprobleme, Drogenmissbrauch und Suizid drehen: ob nun der atmosphärische und von minimalistisch grungigen Gitarren und soften Beats geprägte Opener "Benz Truck", das teils gar fast spukig anmutende "Save That Shit" (♪♫♪), das großartige "U Said", bei dessen Intro man wohl zuerst auf Nirvana o.ä. tippen würde und im Refrain nahezu popig wird, das nahezu hitverdächtig gute und eingängige "Awful Things" (♪♫♪) oder etwa auch das musikalisch wunderbare "Better Off (Dying)", mit dem er inhaltlich recht gut seinen offenkundigen "Live fast, die young"-Lifestyle illustrierte. Wer wie ich aus einer Generation stammt, die ihre musikalische Sozialisation zu Zeiten von u.a. oldschooligem HipHop, Grunge und Alternative-Rock durchlaufen hat, bei dem kann es gar nicht verwundern, dass "Come Over When You're Sober, Pt. 1" eine teils fast schon magische Anziehungskraft auf ihn ausübt. Doch wird dieses hervorragende Debüt leider auch gleichzeitig das letzte Album von Lil Peep gewesen sein: am 15. November diesen Jahres, genau 3 Monate nach dem Erscheinen seines Debüts, starb Gustav Åhr im Alter von nur 21 Jahren an einer Drogenüberdosis. All das schien für viele aufgrund seines besagten Lebensstils keine allzu große Überraschung gewesen zu sein. Seine Drogenprobleme waren hinlänglich bekannt, die er ja auch in seinen Songs thematisierte, und sein Manager ließ nach der Todesnachricht von Lil Peep verlauten, dass er diesen Anruf schon das ganze Jahr befürchtet habe. Sogar Åhr selbst postete kurze vor seinem Tod auf Instagram ein Foto von sich, begleitet mit dem Satz: "When I die you'll love me". Doch: manche von uns haben das auch schon vorher getan. Ruhe in Frieden, Gustav.




9. FEVER RAY - "PLUNGE"

Vor nicht allzu langer Zeit ließ ich mich mental ja nur zu gerne im groben Kosmos rund um Karin Dreijer treiben. Zuallererst in dem ihrer Band The Knife, welche die heute 42-jährige Schwedin seit den späten 90er Jahren gemeinsam mit ihrem Bruder Olof unterhält - und welche mich mit ihrem nicht selten experimentellen Elektro- und Synthpop faszinierte, sobald ich sie erst einmal kannte. Doch später lenkte es meine Aufmerksamkeit dann auch in die künstlerischen Umlaufbahnen ihrer Solokarriere unter dem Pseudonym Fever Ray, die auf Anhieb dem gemeinsamen Schaffen mit ihrem Bruder auf Augenhöhe begegnen konnte. Eine kleine Weile ist das nun aber schon her, liegt das letzte Album ihrer Band doch immerhin bereits 4 Jahre zurück, während ihr erstes und bisher auch einziges Solowerk "Fever Ray" in diesem Jahr sogar schon 8 Jahre auf dem Buckel hatte. Doch die Eindrücke und die Begeisterung hallten noch immer leise bei mir nach, als die Dame mit der markanten Stimme zum Ende diesen Jahres endlich ihr Zweitwerk "Plunge" veröffentlichte. Und auch wenn man genau genommen das Warten auf einen Nachfolger eh schon beinahe aufgegeben hatte, so hat sich selbiges hier aber dennoch gelohnt. Denn im Vergleich zu seinem ohne Frage hervorragenden Vorgänger, ist "Plunge" allerdings noch risikofreudiger, bedingungsloser, klarer, vielseitiger...und besser! Nicht nur ihre Vocals, die zuletzt oft creepy verzerrt  oder relativ weit hinten in den Mix eingewoben wurden, sind auf ihrem neuen Werk deutlich präsenter und dominanter. Auch die schaurig-atmosphärischen Arrangements von "Fever Ray" sind auf "Plunge" teils aggressiveren Beats und Synthesizern, aber auch einem allgemein vielschichtigeren Sound gewichen. Ersteres macht gleich der Opener "Wanna Sip" deutlich, auf dem ihre leidenschaftlichen Vocals von schweren, stampfenden Beats und schrillen Synthesizern eingerahmt werden. Und auch Songs wie dem maschinellen und mit industrial-artigen Elementen ausgestatteten "An Itch" oder dem fast schon wütenden und von allerlei Elektronik und Störeffekten begleiteten "This Country" kann man eine ähnliche Gesinnung anhören. Doch Dreijer's neues Album hat noch deutlich mehr Facetten zu bieten. So klingt etwa der quietschbunte, irgendwie schon nahezu asiatische Züge annehmende Elektro-Synthpop-Song "To The Moon And Back" (♪♫♪) in fast ungewohntem Maße optimistischer als alles, was auf ihrem Debüt zu hören war.  Und dann finden sich auf "Plunge" u.a. auch noch heimliche Elektro-Pop-Hits wie "Musn't Hurry" (♪♫♪), atmosphärische und komplex aufgebaute Hymnen wie "Falling", oder auch so nahezu bedächtige und mit Violinen verzierte Klänge wie "Red Trails". Damit hat sie nun den sehr sphärischen und teils düster-spukigen Klängen ihres hervorragenden Debüts ein deutlich offensiveres und teils aggressiveres, aber auch vielseitigeres, bunteres und auf fast paradoxe Weise zugänglicheres Zweitwerk entgegengesetzt - und damit gleichzeitig eines der spannendsten Comebacks seines Jahrgangs hingelegt.




8. DIRTY PROJECTORS - "DIRTY PROJECTORS"

Wenn man bisher noch nie auch wenigstens nur im Ansatz in die Klangwelten der Dirty Projectors eingetaucht ist, dann ist dies äußerst bedauerlich - und verrät einen doch recht dringenden Nachholbedarf. Zwar wäre es auch keineswegs von Nachteil, bereits mit den cleveren, kunstvollen, melodieverliebten und nie um kreative Experimente verlegenen Klängen der amerikanischen Band in Berührung gekommen zu sein. Doch ihr diesjähriges und siebtes Studioalbum, das sie schlicht und ergreifend nach sich selbst "Dirty Projectors" nannten, war spannend und atemberaubend genug, dass es auch immer noch nicht zu spät sein sollte, der Band seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Auf gewisse Weise haben sie sich auf ihrem neuesten Werk auch ein wenig neu erfunden. Zwar war ihr Sound schon immer äußerst wandlungsfähig und -freudig, erstreckte sich u.a. über Indierock, Art-Pop, Experimental oder Alternative Rock und beinhaltete auch eine gemeinsame EP mit Björk ("Mount Wittenberg Orca", 2010). Doch auf "Dirty Projetors" gingen sie in diesem Jahr noch ein paar Schritte weiter - und kreierten ein Album, auf dem sie futuristischen R&B, elektronische Klangspielereien und experimentierfreudigen Art-Pop mit ihrem gewohnt wunderbaren Melodien und Harmonien zu einem kleinen Meisterwerk bündelten. Schon im Herbst letzten Jahres kündigten sie mit der ersten Single "Keep Your Name" (♪♫♪) unmissverständlich an, wohin der neue Weg führen würde: mit leicht verlangsamten, souligen Vocals und Pianobegleitung hielten uns die Dirty Projectors hier ein leidenschaftliches, von allerlei elektronischen Beiwerk verziertes R&B/Artpop-Ständchen, das man schon wahrlich staunen musste. Und diesen neuen Weg gingen sie dann Anfang diesen Jahres auf dem neuen Album auch unbeirrt weiter. Und das kann man nur einen Glücksfall nennen, bei dem was hier alles fantastisches passiert. Würde man etwa "Death Spiral" unangekündigt im Radio hören, würde man dahinter eher eine spannenden neuen Künstler aus dem Alternstive-R&B vermuten, als eine amerikanische Indierock-Band. "Work Together" verdingt sich als melodischer, wunderbar eigenwilliger R&B-Ohrwurm, der von teils herrlich schrägen Synthies angefeuert wird. Das 7 1/2-minütige "Up In Hudson" ist ein willkommen auf Überlänge konzipierter Hit, der u.a. von einem schicken Rhythmus, herrlichen Harmoniegesängen und Bläsern begleitet wird. Hinter der im Grunde minimalistischen und unaufdringlichen, aber dennoch enorm facettenreichen Produktion von "Winner Take Nothing", versteckt sich ein waschechter und intelligenter R&B-Ohrwurm, den man beinahe schon Klassiker-Qualitäten unterstellen könnte. Das 7-minütige "Ascent Through Clouds" erweist sich als ein wunderbarer, verschiedene Phasen und Stile durchlaufender Future-R&B-Epos mit Vocoder-Gesang, der eine gewisse Nähe zu Bon Iver aufweist. Und das Duett "Cool Your Heart" (♪♫♪) mit der wunderbaren Alternative-R&B-Musikerin Dawn Richard, zeigt sich als minimalistischer Ohrfänger mit afro-beatig anmutendem Einschlag - der zudem übrigens von Solange Knowles co-komponiert wurde. Auch wenn ich diesen Vergleich schon in der Vergangenheit ein paar wenige Male verwendete, so muss ich das auch hier tun - passt er doch einfach zu gut zu "Dirty Projectors": ein Album, so unwiderstehlich wie mundwarmer Karamellpudding!  




7. SZA - "CTRL"

Schon seit einer Weile hatte sich Solána Imani Rowe alias SZA klammheimlich wie durchs Hintertürchen in meine musikalische Wahrnehmung eingeschlichen - und hatte zum Glück bereits meine erste volle Aufmerksamkeit erhaschen können, noch bevor der Maroon 5-Hit "What Lovers Do", dem sie als Gastsängerin assistierte, sämtliche Charts stürmte (und Radio-Playlists verklebte). Denn vermutlich hätte es bei mir falsche Erwartungen an das wecken können, was die junge Amerikanerin auf ihrem diesjährigen Debütalbum "Ctrl" künstlerisch tatsächlich umtreibt. Doch das nett gemeinte, aber dennoch unheimlich enervierende Radio-Pophymnen glücklicherweise nicht in SZA's Fachgebiet fallen (dafür sind schon vielmehr Maroon 5 verantwortlich), davon konnte man sich bereits Anfang des Jahres mit der wunderbaren ersten Vorab-Single "Drew Barrymore" (♪♫♪) überzeugen. Zwar kam mir das im Sommer erschienene Debütalbum der jungen Frau erst zum Ende des Jahres in voller Länge zu Ohren, aber die ersten intuitiven Vergleiche und Erinnerungen huschten sofort durch die Synapsen. Denn wer wie ich vor 20 Jahren wenigstens seine Jugend verlebt hat, muss bei Musik wie auf "Ctrl" wohl schon fast instinktiv an so prägende Gestalten des Neo-Soul wie Lauryn Hill oder Erykah Badu denken. Denn auf ihrem fantastischen Erstlingswerk beherrscht SZA nahezu all das, was den Neo-Soul einst so frisch, neu und spannend machte. Denn im Gegensatz zum modernen R&B, dessen Ursprünge ja im klassischen Rhythm & Blues liegen, während ab den 80ern und 90ern seine bis heute charakteristischen und starken Pop- und HipHop-Einflüsse hinzu kamen, grenzte sich der Neo-Soul bewusst davon ab - und bezog sich  stattdessen vor allem auf die Soulmusik der 70er Jahre. Doch wie auch ebenfalls in diesem Subgenre oft üblich, nutzt auch SZA auf ihrem Debüt Elemente aus dem HipHop - nur das diese eben deutlich subtilerer Natur sind und stets nur ausschmücken und ergänzen, aber niemals dominieren. Aber sie geht auch noch weiter und testet immer mal wieder die Grenzen ihres Genres aus, was "Ctrl" noch umso spannender macht. Dabei gelang ihr ein Album, welches in seiner Gesamtheit zwar noch mehr ist, als nur die Summe seiner Teile, das aber dennoch die musikalischen  Perlen nur so aneinander reiht. So nehme man gleich zum Einstieg das wunderbare und von warmen, minimalistischen Gitarren eingerahmte "Supermodel", oder die herrliche Neo-Soul/HipHop-Nummer "Doves In The Wind" mit Kendrick Lamar, die zudem das Kunststück vollbringt, mindest zwei Dutzend Male das Wort "Pussy" zu verwenden, ohne das dies allzu sehr auffallen würde.  Ebenso erwähnenswert wären aber auch das wunderbare und sinnlich getragene "The Weekend", welches auf einem Sample aus Justin Timberlakes "Set The Mood (Prelude)" basiert (und in mir gleichzeitig Erinnerungen an Janet Jackson weckt). So aber auch die wunderbare, getragene und 80s-infizierte R&B-Pop-Perle "Prom" (♪♫♪), bei der man stets die Fenster weit aufreißen und lauthals die Textzeile "Just a litte bit" in die Welt hinaus schmettern will, das mit entspannten Beats und einem schillernden Sample aus Donna Summer's "Spring Affair" bestückte "Anything", oder das relaxte, leidenschaftlich melodische und jazzig angehauchte "Pretty Little Birds" mit Isaiah Rashad. Auch wenn man nicht allzu voreilig urteilen will, so ist SZA hier doch ein in solch höchstem Maße verliebenswertes Neo-Soul-Debüt gelungen, dass man "Ctrl" am liebsten im CD-Regal gleich neben Platten wie "Baduizm" und "The Miseducstion of Lauryn Hill", aber auch nicht zu weit weg von "The Velvet Rope" einsortieren will. Von dieser unheimlich talentierten jungen Dame will und wird man in Zukunft noch eine ganze Menge hören.
(Und falls besorgte Bürger mitlesen sollten: diese ziemlich coole, sexy und talentierte junge Dame ist übrigens bekennende und praktizierende Muslimin. Möge euer eingeschränktes Weltbild ein wenig erschüttert werden.)




6. BJÖRK - "UTOPIA"

Gute 2 Jahre ist es her, als uns Björk zuletzt mit dem wunderbaren und von Kritikern zurecht hoch gelobten "Vulnicura" in ihr musikalisches Universum entführte. Ähnlich wie viele ihrer Alben der letzten 20 Jahre, hatte auch "Vulnicura" eine klare künstlerische Vision: so bezeichnete die Künstlerin es selbst als ihr "heartbreak album", dessen Sound stark von Streichern geprägt war und ihr wohl bis dahin ruhigstes, emotionalstes und auf gewisse Weise vielleicht auch zugänglichstes Album darstellte. Und auch auf ihrem diesjährigem Werk "Utopia" hatte sie ein bestimmtes Konzept vor Augen. Man könnte sagen, es behandelt die schöne Seite der Liebe oder laut Björk selbst eine Erkundung der Utopie,  in Zusammenspiel mit ihren eigenen persönlichen und politischen Einstellungen und Anliegen. Oder kurz gesagt: ihr "Tinder-Album".  Wie bereits auf ihrem letzten Album arbeitete sie auch hier erneut mit dem jungen venezuelanischen Musiker und DJ Arca als Produzent zusammen. Doch im Gegensatz zu ihrem letzten Album, wo Arca erst dazu stieß, als alle Songs und Arrangements bereits geschrieben waren, war er bei "Utopia" von Anfang an in den kreativen Prozess involviert. Und diese Veränderung hört man "Uotpia" gegenüber ihrer letzten gemeinsamen Arbeit doch auch deutlich an. So hat Arca sie während der Arbeiten an "Utopia" aktiv dazu ermutigt, eine künstlerische Richtung weiterzuverfolgen, die sie auf früheren Stücken (wie etwa der "Pagan Poetry"-B-Seite "Batabid" oder "Ambergris March" vom "Drawing Restraint 9"-Soundtrack) eingeschlagen hatte. Der Sound des Albums mag zwar auf den ersten Blick vor allem durch Klänge von Flöten, Harfen und Vogelgesängen dominiert sein, aber "Utopia" fällt zum Teil auch eine ganze Ecke avantgardistischer, experimenteller und auch elektronischer als sein Vorgänger aus. Dafür sollte schon das grandiose "The Gate" (♪♫♪) als minimalistische und dennoch im Detail unkonventionelle erste Single Pate stehen. Welches aber wohl neben dem von teils mächtigen Chören und unregelmäßigen Beats untermalten, 10-minütigen Epos "Body Memory" oder dem nahezu beschwörenden, komplex aufgebauten und von kontrastreichen Beats angetriebenen "Sue Me" einer der eher düster gefärbten Abstecher des neuen Albums darstellt - und einen hevorragenden Kontrast zu den eher optimistischen Klängen bietet, die das restliche Album dominieren. Angefangen mit dem wunderbaren, atmosphärischen und hymnischen Opener "Arisen My Senses" (♪♫♪) und der gleich darauf folgenden, verträumten und von Harfen begleiteten  zweiten Single "Blissing Me" , führt das etwa über den mit verspielt lieblichen Flöten und Vogelsängen, sowie softer Elektronik ausgestatteten Titelsong "Utopia", oder das grandiose und eindringliche, mit Flöten, Harfen und asymmetrischen Elektrobeats arrangierte "Losss", und bis hin zum von minimalistischen und irgendwie oldschooligen Snythezisern ausgeschmückten "Claimstalker" oder zur wunderschönen und mit sanft hingetupften Synthie-Klängen verzaubernden Ballade "Future Forver". Mit "Utopia" hat Björk wieder einmal ein Album geschaffen, das (wenngleich in manchen Momenten auch Erinnerungen an frühere Platten wie "Homogenic", "Vespertine" oder "Biophilia" aufblitzen können) auf seine Weise einzigartig in ihrem Backkatalog ist - nur dieses mal wieder mit etwas stärker avantgardistischen und experimentellen Mitteln als zuletzt. Und weil es vor allem die experimentierfreudige Björk ist, die mich stets am meisten faszinierte, schaffte sie es trotz aller unbestreitbaren Qualitäten, die ihr letztes Werk "Vulnicura" mit sich brachte, mich in diesem Jahr mit "Utopia" noch ein wenig mehr zu begeistern. 



5. THE WAR ON DRUGS - "A DEEPER UNDERSTANDING"

Sehr oft - und das in den meisten Fällen auch durchaus zurecht - sind es nicht nur für mich gerade die Rockplatten, welche sich als besonders essentiell für ihren Jahrgang erweisen, die irgendwie neu, frisch und spannend sind. Platten, die Grenzen überschreiten, neue Wege aufzeigen, Einfallsreichtum beweisen oder ruhig auch avantgardistisch zu Werke gehen können. Doch zum Glück gibt es auch immer wieder jene Platten, die irgendwie schon beinahe das genaue Gegenteil dessen darstellen und die man schon nach dem ersten Hördurchlauf sein ganzes Leben lang zu kennen glaubt. Und zu lieben. Eben solche Platten, die den Hörer mit ihren wunderbaren, die Seele streichelnden Melodien und ihrer warmen, zeitlosen und ergreifenden Atmosphäre auf Anhieb gefangen nehmen. Eine Art Paradebeispiel für solche Platten ist in diesem Jahr der amerikanischen Band The War On Drugs mit ihrem vierten Album gelungen. Denn mit "A Deeper Understanding" sind wir in diesem Jahr einer Rock-Platte begegnet, die keine ausgeklügelten Experimente und Grenzgänge, keine kreativen Breaks und Twists und keine innovativen Klangspielereien benötigt, um sich locker als eine der besten Platten seines Jahrgangs zu beweisen. Ja, noch nicht einmal harte, wütende oder treibende Gitarrenriffs, die bei manchen ja irgendwie immer zu gehen scheinen. Stattdessen setzt das Album auf melancholisch-schöne, harmonische, bodenständige und melodieverliebte Klänge, die sich über weit ausladende, prachtvolle und bittersüße Soundlandschaften aus 80s-Rock, Americana, Heartland-Rock, Neo-Psychedelia und Indierock erstrecken - bei denen natürlich auch die ausgedehnten und mitreißenden Gitarrensolos nicht fehlen dürfen. Egal wohin man auch greift, auf diesem wunderbaren Album: stets kriegt man eine warme und einnehmend melodische Hymne zu fassen, aus der oft auf so wunderbar unaufdringliche Weise eine bittersüße Melancholie spricht, dass Coldplay dagegen wie ein Haufen Kasper wirken (nun...wenn sie das mittlerweile nicht sowieso schon tun). Angefangen gleich mit dem atmosphärischen Opener "Up All Night", der zu Beginn noch auf einer entspannten Pianomelodie fußt und sich immer mehr zur Hymne aufbaut. Oder danach das zugleich tröstliche und zu Tränen rührende "Pain" (♪♫♪), welches sich in ein fast schon psychedelisch veranlagtes Gitarrensolo steigert. Ebenso aber auch die zeitlos schöne, sich fast unbemerkt über eine epische Länge von 12 Minuten erstreckende erste Single "Thinking of a Place", oder der zu einem recht flotten Beat verträumt vor sich hin tänzelnde Synth-Pop/Rock-Ohrwurm "Nothing To Find". Letztendlich ist ihnen mit "A Deeper Understanding" ein Album gelungen, das in meinen Ohren sogar gewisse Erinnerungen an "Love Is Hell" oder "Cold Roses" von Ryan Adams wecken kann - und das neben selbigen Platten auch ein weiteres hervorragendes Beispiel dafür bildet, wie viel Schönheit doch in der Melancholie stecken kann. Wie passend, dass es in einem Satz des emotionalen, von leidenschaftlichen 80's-Gitarren und sanft schillernden Sythies begleiteten "Strangest Thing" (♪♫♪) so schön heißt: "I'm living in the space between the beauty and the pain. It's the strangest thing." Denn auch "A Deeper Understandig" lebt auf gewisse Weise irgendwo zwischen der Schönheit und dem Schmerz - nur mit dem Unterschied, dass man an diesem wunderbaren Album nun wirklich nichts seltsam oder merkwürdig finden kann. 



4. KING KRULE - "THE OOZ"

Was die Pop-Kunst doch manchmal für wunderbar seltsame Blüten treiben kann, hat auch das Musikjahr 2017 mal wieder in den verschiedensten Facetten bewiesen. Eine besonders wunderbare und herrlich seltsame Blüte entwuchs zum Jahresende der britischen Musiklandschaft - in Gestalt eines blassen und spindeldürren Jungen, der in gewissem Sinne eine Platte über Körperausscheidungen gemacht hat! Ja, richtig gelesen: Archy Marshall alias King Krule,  der natürlich weder ein neues noch ein unbekanntes Gesicht ist und auch mich persönlich schon 2012 mit seiner ersten EP und ein Jahr später mit seinem hervorragenden Debüt "6 Feet Beneath The Moon" begeistern konnte, sagte selbst über sein neues und drittes Album: "'The OOZ' represents for me...your sweat, your nails, the sleep that comes out of your eyes, your dead skin. All of those creations you have to refine. That's where it comes from: it's kind of about refining the subconscious creations that you do constantly." Der gerade einmal 23jährige Rotschopf mit seiner markanten Stimme, die viel zu verlebt und lebenserfahren für sein junges Alter zu sein scheint, vergleicht sein neustes Werk mit all diesen unbewussten Dinge, die unser Körper stetig absondert - quasi als ein Album über Haare, Fingernägel und abgestorbene Haut, über Rotz, Ohrenschmalz, Sperma und Urin. Wie der Sänger es ausdrückt, können wir gegen all diese Auswüchse nichts tun, weil sie sich unserer Kontrolle entziehen. Doch wir können uns ihnen stellen, unsere Haare und Fingernägel schneiden, etc.! Und genauso sei es in seiner Musik - so quelle sie förmlich aus ihm heraus und alles was er noch tun könne, ist ihr eine Form zu verleihen. Mag all das in der Theorie zugegebenermaßen schon ein klein wenig unappetitlich oder suspekt anmuten, offenbart es sich hingegen in der praktischen Umsetzung als umso spannender, faszinierender und eindringlicher. Doch so oder so wird dieses Album nicht jeden erreichen und überzeugen - weil auch wenn er es einem auf "The OOZ" zwar nicht bewusst schwer machen will, so macht er es uns aber trotzdem auch nicht leichter als es sein muss. Über 19 Stücke und insgesamt mehr als einer Stunde Musik, erstreckt sich hier ein dunkles und atmosphärisches, fast schon paranoides, teilweise zorniges, ungestümes und trotziges, oft psychedelisches und mitunter skizzenhaft erscheinendes Album, das anfänglich unter Umständen verwirren, aber mit der Zeit gar fast schon süchtig machen kann. Dabei bewegt er sich durch eine musikalische Mischung, die sich aus diversen Elementen wie Indierock, Gitarrenpop, Jazz, Psychedelia oder Post-Punk zusammensetzt. Dabei strahlt das Album eine mal neblig verhangene, mal zornige oder auch spukige, aber vor allem eine oft so schattige und düstere Atmosphäre aus, als würde David Lynch unablässig mit bedächtigen Schritten durch das Album latschen - was einmal mehr nachvollziehbar macht, dass Marshall hier bereits von vielen Seiten mit Tom Waits oder Nick Cave verglichen wurde. Auch wenn das Album als Gesamtwerk betrachtet am meisten Sinn ergibt,  finden sich doch auch hier leicht einige besonders herausragende Stücke. So etwa der jazzig veranlagte Opener "Biscuit Town", das schaurige, nahezu wütende und verzweifelte "The Locomotive", das hingegen nicht gerade gut gelaunte, aber doch deutlich stimmungsvollere und beinahe schon hitverdächtige "Dum Surfer" (♪♫♪), das eine ganze Ecke rockiger nach vorn gehende und dabei auch teils leicht psychedelisch verhallte "Half Man Half Shark" (♪♫♪) oder das zu beinahe ohrwurmigen und teils psychedelisch angehauchten Klängen in den Schatten tanzende "Vidual". Sicherlich nur ein paar winzige Eckpunkte in diesem recht gewaltigen Album - aber "The OOZ" bleibt nun einmal ein Album, dass man am Stück genossen, erlebt und erforscht werden will. Und wenn man mich fragt, lohnt sich dies auch allemal. 



3. ARCA - "ARCA"

Trotzdem die Musik von Arca alles andere als radiotaugliche Strukturen besitzt, war es in den letzten Jahren dennoch relativ schwer, gänzlich um den jungen Mann und seine großartige Kunst herum zu kommen. So ging der 28 Jahre junge venezuelanische Musiker, Produzent, Songwriter und DJ (der mit bürgerlichem Namen Alejandro Ghersi heißt) in den letzten Jahren musikalisch doch recht tatkräftig zu Werke.  Mit seinem 2014 veröffentlichten Debüt "Xen" und dem ein Jahr später nachgereichten Nachfolger "Mutant", war er nicht nur bereits für zwei von der Kritik hoch gelobte, experimentelle Electronica-Alben verantwortlich, sondern war nebenher auch äußert erfolgreich als Produzent tätig. In jüngerer Vergangenheit hatte er etwa Björks letztes Album "Vulnicura" co-produziert und zudem auch bereits mit FKA twigs ("EP2", "LP1"), Kanye West ("Yeezus") oder Frank Ocean ("Endless") gearbeitet, während er allein in diesem Jahr an den neuen (und auch in dieser Liste auftauchenden) Platten von Björk ("Utopia") und Kelela ("Take Me Apart") als Produzent mitwirkte. Fast schon nebenbei, wie es scheint, hat der junge Mann in diesem Jahr aber auch noch sein drittes und bisher wohl am meisten gelobtes Album "Arca" vorgelegt. Und dieses Lob ist mehr als gerechtfertigt. So setzt sich der Sound seines neuesten Werks auch ziemlich deutlich von seinen Vorgängern ab. Während selbige auf instrumentale Klänge setzten, steht bei "Arca" plötzlich der Gesang so präsent im Vordergrund, wie man dies bei ihm noch nie erlebte - ist es doch auch sein erstes Album, auf dem Leadvocals von ihm selbst zu hören sind. Doch wie das meiste an der Kunst von Arca, sind auch seine Vocals alles andere als gewöhnlich: mit hoher Kopfstimme, die sich teilweise fast schon zu sopran-artigen Gesängen empor schwingt, verleiht er der Musik auf seinem neuen Album einen so zerbrechlichen, in manchen Momenten gar verzweifelten Charakter, den man so bei ihm nicht erwartet hätte. Dabei wirkt auch die allgemeine Grundstimmung "ätherischer" und melancholischer als zuvor - wodurch die meisten Stücke von einer solch ausgeprägten Verletzlichkeit geprägt sind, wie dies im Jahrgang 2017 kaum einem anderen gelungen ist. Das offenbart sich etwa zum Einstieg gleich wunderbar im sanft schwebenden und melancholischen "Piel" oder gleich darauf im dunkel getragenen und elektronisch frickelnden "Anoche" (♪♫♪), das von gefühlvoll theatralischem bis tieftraurigem Gesang geprägt wird. Aber ebenso wunderbare Hörbeispiele geben etwa das dramatische, beinah schon übernatürlich anmutende "Reverie", das atmosphärische und in Arca's musikalischem Kosmos eigentlich schon erstaunlich eingängige "Desafio" (♪♫♪), oder das wunderbare und ein wenig an Sigur Rós erinnernde "Fugaces" ab. Die eingestreuten Instrumentals sind aber auch keineswegs zu verachten, die mit ihren manchmal kleinen und perfekt gesetzten Kontrasten die gesamte Atmosphäre noch abrunden. So wie das düster melodische, hektisch beatige und wie für einen guten Horrorfilm geschaffene "Castration" oder das von minimalistischer Elektronik untermalte und durch schneidende Peitschen-Sounds dominierte "Whip". Und doch ist "Arca" - und das wird wohl jeder merken, der sich dieses Album anhört - eine Art Gesamtkunstwerk, das wie ein gutes Buch am Stück genossen, und nicht in einzelne Kapitel und Passagen aufgedröselt werden will. Es ist eines dieser Alben, welche dem Hörer die volle und ungeteilte Aufmerksamkeit abverlangen - dabei selbigen aber auf so vielfältige Weise für dieses wirklich kleine "Opfer" entlohnen. 



2. THE XX - "I SEE YOU"

Irgendwie scheint das britische Trio The xx immer wieder so ziemlich alles richtig zu machen. Allein schon das Debüt der Indie-Pop-Band um Sängerin und Gitarristin Romy-Madly Croft, Sänger und Bassist Oliver Sim und ihren Soundtüftler und Produzenten Jamie Smith (alias Jamie xx), welches den einfachen und bescheidenen Titel "xx" trug, war fraglos eine kleine Offenbarung - und sollte ohne Übertreibung zu den besten Debütalben der letzten bummelig 20 - 30 Jahre gezählt werden dürfen. Und auch die sich oftmals nach so einem überragenden Debüt einstellenden Hürden des berüchtigten "schwierigen 2. Album", meisterten sie hervorragend. So blieben sie vor vier Jahren bei "Coexist" einerseits dem intimen und weitestgehend minimalistischen Stil ihres Debüts treu, aber verordneten ihrem Sound zumindest so etwas wie ein behutsames Update. Dieses spielte sich zwar überwiegend in den Details der Arrangements und der Produktion ab, war aber dennoch so allgegenwärtig spürbar. Man merkte dem Album deutlich an, dass die Band eine ganz natürliche Veränderung durchlebte, die nichts kalkuliertes an sich hatte. Und selbiges gilt auch durchweg für ihres diesjähriges Werk "I See You" - wenngleich das dritte Album des Trios von der bislang deutlichsten künstlerischen Weiterentwicklung ihrer bisherigen Karriere geprägt ist. Man könnte es ja fast schon radikal nennen, wenn dieser spezielle und eigene Klangcharakter, der die Band bisher stets ausmachte, nicht auch hier erhalten geblieben wäre - wodurch eben die hier an den Tag gelegte künstlerische Metamorphose eher wie eine zwangsläufige Konsequenz, als wie eine strategische Entscheidung erscheint. Man kann auf dem neuen Album ja sogar ein paar Momente finden, in denen die Band im Grund so klingt, wie man sie immer zu kennen meinte - was wahrscheinlich am deutlichsten im grandiosen und melancholisch atmosphärischen "A Violent Noise", sowie in dem fast schon traurig anmutenden "Performance" zur Geltung kommt.  Doch der "neue" Sound der Band, der auch das restliche Album dominiert, ist nun meist deutlich voller und opulenter, als alles was man bislang von der Band zu hören bekam - was aber auch nicht unbedingt eine allzu große Überraschung darstellen sollte. Zumindest wenn man mitbekommen hat, in welche musikalischen Gefilde es ihren Soundtüftler Jamie Smith a.k.a. Jamie xx in den letzten Jahren verschlagen hatte - und was vorerst 2015 in seinem grandiosen Solodebüt "In Colors" gipfelte. Nur allzu logisch, dass die stilistisch von seiner Band bisher doch recht weit entfernten Klänge seines Debüts, auch selbige zwangsläufig künstlerisch befruchten würden.  Ein wunderbares Paradebeispiele dafür wäre etwa gleich die erste Single "On Hold", welche eine dichtere Atmosphäre, einen nahezu tanzbaren Rhythmus und ein prägnantes Hall&Oates-Sample mit ins Spiel brachte. Aber dem folgen auf dem Album noch zahlreiche andere Belege. So wie etwa der verträumte und zeitlos schöne Dream-Pop-Ohrwurm "I Dare You" (♪♫♪), oder auch der unwiderstehlich hitverdächtige Indie-Pop-Hit "Say Something Loving" (♪♫♪), der den typischen Stil der Band in einen reichhaltigeren und dichteren Sound hüllt. Ferner auch  der  mit Bläserfanfaren, dancigen Elementen und einem flotten Groove ausgestattete Albumopener (und Ohrwurm!) "Dangerous", oder das ganz und gar fantastische "Brave For You", mit seinem beinahe hypnotischen Zusammenspiel aus atmosphärischen Synthesizern, eingestreuten Beats und schwerelos hallenden Gitarren. Mit "I See You" haben The xx wirklich alles richtig gemacht - denn hier haben sie genau das getan, was nötig war, um auch weiterhin künstlerisch relevant zu bleiben. So großartig der bisherige Output der Band auch gewesen sein mag: es war eigentlich klar, dass sich bei diesem Album etwas ändern musste. Sicherlich hätten sie auch ein weiteres Album im (ähnlichen) Stil ihrer ersten beiden Platten machen können - und ihre treue Hörerschaft hätte mit Sicherheit gejubelt. Doch künstlerisch wäre es eine kleine Bankrotterklärung gewesen. Denn für meine Begriffe ist Kunst (ja, auch die Pop-Kunst) nicht dafür da, nur innerhalb seiner eng gesteckten Komfortzone zu versauern und allein die bestehende Nachfrage zu bedienen. Solch ein popmusikalisches "Malen nach Zahlen" kann man gut und gerne den zahlreichen von Labels und Managern fremdgesteuerten Marionetten überlassen. (Pop-) Kunst soll sich weiterentwickeln, Grenzen überschreiten, über sich selbst hinaus wachsen. Sie soll sich bestenfalls nicht einfach anschauen was wir wollen, um uns dann selbiges zu liefern - sie soll stattdessen schon eher etwas schaffen, von dem wir noch gar nicht wussten, dass wir es wollen. Und das diese merkliche Weiterentwicklung auf "I See You" dabei so natürlich und unverkrampft klingt, so frei von jeglichem Kalkül, beweist wieder einmal, wie hervorragend das Trio als Einheit funktioniert. Und was wenn das alles doch nur kühle Berechnung wäre? Dann wären The xx derart talentierte Schauspieler, das ihnen ebenso großes Lob gebühren würde. 




1. LORDE - "MELODRAMA"


Vier Jahre ist bereits her, als das Debütalbum "Pure Heroine" der einst gerade einmal 16 Jahre jungen Neuseeländerin Lorde sowohl kommerzielle Erfolge feierte, als auch von Kritikern in den höchsten Tönen gelobt wurde. Doch auch trotz der unbstreitbar hohen Qualitäten ihres Erstlingswerks (oder vielleicht auch gerade wegen selbiger), hätten sich bezüglich der künstlerischen Zukunft der jungen Dame leicht einige Befürchtungen einschleichen können. Nach so einem mehr als geglückten Karrierestart, sind die Erwartungen von Hörern und Kritikern, und somit auch der Erfolgsdruck auf den Künstler selbst meist enorm hoch - und schon wird das folgende Zweitwerk zum berühmt-berüchtigten "schwierigen zweiten Album", welches sich nun mit seinem erfolgreichen und/oder viel gelobten Vorgänger messen lassen muss. Schon so manch einer, der mit einem überragenden Debüt die Messlatte für sich selbst schwindelerregend hoch angesetzt hatte, ist bereits lange vor ihr kläglich an dieser Hürde gescheitert. Doch eines derartiges Schicksal sollte Lorde in diesem Jahr mit ihrem zweiten Werk "Melodrama" glücklicherweise erspart bleiben. Doch Glück scheint damit wohl nur wenig zu tun gehabt zu  haben, denn hier hat sie tatsächlich eben das Kunststück geschafft, was so nur vergleichsweise wenigen gelingt: das gefeierte Debüt sogar noch deutlich zu überbieten. Und das gelang ihr auf "Melodrama" mit so einer scheinbar spielenden Leichtigkeit und Natürlichkeit, dass man selbst nun zum Jahresrückblick noch immer staunen muss. Ohne ihren eigenen Sound, den sie auf dem Debüt geprägt hatte,  vollkommen zu ignorieren, entwickelte sie sich auf "Melodrama" aber dennoch hörbar weiter. Sie rückte ab von minimalistischen, beatigen und elektronisch geprägten Klängen von "Pure Heroine" und kreierte gemeinsam mit Co-Songwriter und Produzent Jack Antonoff für den Nachfolger einen Sound und eine Atmosphäre, die noch persönlicher, vielschichtiger, dynamischer und zeitloser ausfielen, als man es von ihr bislang je hören konnte. Schon die famose und auf ihre Art fast schon theatralische Vorab-Single "Green Light",  ließ als erster Vorbote gewisse Erinnerungen an die junge Kate Bush aufblitzen - und wenigstens in Bezug auf die Qualität der Musik, kann man diesen Vergleich auch für die restlichen Songs ihres zweiten Albums gelten lassen, die sich auf derart hohem Niveau bewegt, dass einem vor Freude schon beinahe schwindelig werden kann. Das verdeutlicht u.a. etwa "Homemade Dynamite" (♪♫♪), welches sich als relaxter, zugleich tanzbarer und zeitloser Vollblut-Ohrwurm offenbart  (und in der hier vertretenen, ursprünglichen Albumversion schon so unverzichtbar gut ist, dass der als Single veröffentlichte Remix mit Gastbeiträgen von Khalid, Post Malone und SZA ziemlich unnötig erscheint). Und ein wahres Fest ist auch das wunderbare kleine Pop-Juwel "The Louvre" (♪♫♪), dessen Refrain gerade dadurch besticht, dass er nur aus dem unaufgeregt gesprochenen Satz "Broadcast the boom, boom, boom, boom and make 'em all dance to it" besteht. 


 
Auch zahlreiche weitere musikalische Schätze finden sich mühelos auf diesem komplett ausfallfreien Album. Wie etwa der einnehmende und clevere Ohrwurm "Sober" und dessen atmosphärisches, von Streichern und elektronischen Beats begleitetes Gegenstück "Sober II (Melodrama)", welches zum Ende hin fast schon eine Nähe zu björk'schen Sounds und Effekten entwickelt. Oder das herausragende und zum Hit geschaffene "Supercut", welchem man sogar gewisse Ähnlichkeiten zu Arcade Fire anhören kann. Die sanfte und intime Piano-Ballade "Liability", mit der sich Lorde wohl so persönlich und intim wie selten zuvor zeigt. Oder auch das einfach unwiderstehliche "Perfect Places" (♪♫♪), welches das Album so wunderbar mit einer herrlichen kleinen Pop-Hymne abrundet, dass man fast unmöglich dem Wunsch widerstehen kann, "Melodrama" gleich wieder von vorne hören zu wollen. 

Einst hätte man es eigentlich für kaum möglich halten können, dass die junge Dame mit einem weiteren Album an die Klasse ihres überraschend herausragenden Debüts anknüpfen könnte. Nicht das man ihr unbestreitbares Talent hätte in Frage stellen wollen - aber wie selten kommt es vor, dass eine so junge Sängerin schon mit ihrem Debüt ein derart hohes künstlerisches Niveau erreicht, dem so manch anderer Musiker selbst nach zum Teil jahrzehntelanger Karriere noch erfolglos nacheilt? Und wie hoch kann die Wahrscheinlichkeit sein, dass sich solch eine Leistung auch auf Anhieb mit dem Zweitwerk überbieten lässt? Doch Lorde hat uns mit "Melodrama" eines besseren belehrt.