♪♫♪ ...music makes the people come together... ♪♫♪

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Donnerstag, 23. Oktober 2014

Besprochen: KIESZA - "SOUND OF A WOMAN"

Die Newcomerin Kiesza lässt ihren hochkarätigen Hits ein fabelhaftes Debüt folgen, mit dem sie sich dazu aufmacht, so manch einer Größe im (Dance-) Pop gefährlich zu werden.

Mit der Mode ist das ja immer so eine Sache: denn sie ist nun mal immer dem jeweiligen Zeitgeschmack unterworfen - und wird somit leicht auch schnell wieder verworfen. Nur um zumeist regelmäßig nach einiger Zeit wieder aus der Kiste hervor geholt und neu aufbereitet zu werden. Seit einer gefühlten Ewigkeit merkt man das in der Musik ja etwa mit den 80ern. Mal mehr und mal minder intensiv rollt das 80s-Revival seit zig Jahren munter vor sich hin - und hat noch heute nicht ganz ausgedient. Umso erfrischender ist es, dass in diesem Jahr eine äußerst vielversprechende Newcomerin aus Kanada daher kam, die soundästhetisch ein ganz anderes Jahrzehnt im Sinn zu haben scheint: bei Kiesza weht nämlich fast stets ein unüberhörbarer 90er-Jahre-Wind. Das war auch schon bei ihrer ersten Single "Hideaway" (♪♫♪) so, die ihr in diesem Frühjahr einen enormen Erfolg bescherte. Und das auch vollkommen zurecht, bei diesem unwiderstehlichen House-Pop-Ohrwurm. Und kurz darauf machte sie dies noch einmal durch eine Coverversion eines Eurodance-Klassikers deutlich: ihrer Version von Haddaway's 1993er Hit "What is Love" (♪♫♪) - der bei ihr allerdings zu einer wunderbaren und minimalistischen Ballade wurde. Nun spätestens war der Hunger auf mehr definitiv geweckt - es schien sich zunehmend heraus zu kristallisieren, dass man es bei Kiesza mit einem eigenständigen Talent zu tun hat, nicht mit dem Produkt einer Plattenfirma. Dann schob sie bald auch die aktuelle und zweite Single nach, welche diesen Eindruck noch zusätzlich erhärtete und sich wieder hörbar an bereits besagter Dekade orientierte - und die sich in meinen Ohren gar noch zu einem massiveren Hit entwickeln sollte: der housig veranlagte Dance-Pop-Ohrwurm "Giant in my Heart", der zusätzlich mit souligen Gesangseinlagen eines anonymen Gastsängers verziert wurde, der einen problemlos an Haddaway erinnern kann.



Das waren ja schon ein paar ordentliche musikalische Appetizer, die verdammt neugierig auf das kommende Debütalbum machen konnten. Und all jene, welche große Hoffnungen in "Sound of a Woman" gesetzt haben, sollten von dem Endresultat wohl alles andere als enttäuscht sein. Denn es hat über die genannten Stücke hinaus noch einiges zu bieten, dass einem mitunter auch mal ein wenig die Sprache verschlagen kann. Von dem bisher eher Dance-orientierten Sound kann man natürlich auch auf ihrem Debüt ein paar weitere Exemplare genießen, die hohes Sucht- und Hit-Potential zu bieten haben. Die kommende dritte Single "No Enemiesz" begeistert diesbezüglich als mitreißender und ohrwurmiger Dance-House-Pop-Kracher, der mit kräftiger 90s-Schlagseite gesegnet ist. "Vietnam" (♪♫♪) verführt den Hörer als melodisch-warme Dance-Pop-Perle, die sich ausnahmsweise mal stärker an den 80ern bedient,  "The Love" (♪♫♪) erweist sich als weiterer handfester Dance-Pop-Ohrwurm, der auch mit leichten Eurodance-Elementen flirtet und "Over Myself" (♪♫♪) explodiert nach einem gefühlvollen Einstieg als eine famose House-Disco-Bombe.


   
Doch nicht immer widmet sie sich auf ihrem Album den Dance- und House-Klängen. Auch andere Facetten kehrt die talentierte Dame hervor.  "Losing My Mind" (♪♫♪) etwa zeigt sich ziemlich soulig, während es von minimalistischen und oldschooligen HipHop-Klängen begleitet wird - und einigen Momenten, die sehr an Ini Kamoze's 1994er Hit "Here Comes The Hotstepper" erinnern. "So Deep" (♪♫♪) gibt sich samtig, soulig und soft elektronisch und hätte so auch Jessie Ware oder FKA Twigs recht gut zu Gesicht gestanden. "Bad Thing" (♪♫♪) lässt dann spartanisch arrangierte und herrlich angestaubt anmutende RnB- und HipHop-Einflüsse hören, und "Cut Me Loose" (♪♫♪) braucht nur ein melancholisch perlendes Piano, Kiesza's Stimme und eine wunderbare Melodie, um spontane Gänsehaut zu provozieren. 

All das verbindet Kiesza auf "Sound of a Woman" spielerisch zu einem schlüssigen Pop-Album, mit dem sie uns ein strammes und pralles Bündel voller Pop-Hits geschnürt hat. Einer der guten Momente im zeitgenössischen (Mainstream-) Pop.





  

Mittwoch, 15. Oktober 2014

Besprochen: ALT-J - "THIS IS ALL YOURS"

 Wie hätte es auch anders sein können: Alt-J bleiben auch weiterhin etwas ganz besonderes und können ihrem großen Debüt ein eigenständiges, inspiriertes und würdiges Zweitwerk entgegen setzen.

Der große und fast schon erschlagende Hype, welcher in den Musikmedien dieser Welt um das 2012 erschienene Debütalbum "An Awesome Wave" der britischen Band alt-J herauf beschworen wurde, war einer der vergleichsweise seltenen seiner Art, die fraglos mehr als gerecht waren. Nach wie vor ist es doch schlicht atemberaubend, wie die Band auf ihrem Erstlingswerk grandiose Melodien mit Kreativität, Vielseitigkeit, Leidenschaft und künstlerischem Verstand zusammen brachte - und somit kurzerhand eines der in meinen Ohren besten Debütalben der mindestens letzten 10 Jahre schuf. Zwei Jahre sind seitdem vergangen und noch immer kann man sich an dem guten Stück nicht satt hören, da haben alt-J nun ihr bei nicht wenigen mit einiger Spannung erwartetes zweites Album "This Is All Yours" nachgelegt. 2 Jahre sind eigentlich unter vielen Musikern heutzutage eine übliche Zeitspanne für ein neues Album. Und auf der einen Seite war man nach dem famosen Erstling so hungrig darauf, dass man endlich neues Material der Briten zu Ohren bekommen möge, dass diese Zeitspanne fast schon quälend lang erscheinen konnte. Doch andererseits kann man noch heute derart von der Klasse ihres Debüts zehren, dass sie mit solch einem Material locker noch eine längere Pause hätten überbrücken können. Doch die Zeitspanne ist bei einem künstlerischen Prozess ja prinzipiell vollkommen gleichgültig: denn einzig auf die Inspiration und natürlich auch die Qualität ihrer Umsetzung kommt es an. Und schon die erste Single der neuen Platte weckte fraglos die Hoffnung, dass sie dies auch erneut auf einem ähnlich beachtlichen Niveau meistern könnten: "Hunger of the Pine", ein erwartungsgemäß genialer und einnehmender Indie-Artpop-Hit, in dem sogar unerwartet gelungen ein Sample von Miley Cyrus (die Gesangszeile "I'm a female rebel" aus ihrem Song "4x4") zum Einsatz kommt. 

ALT-J [hunger of the pine] from nabil elderkin on Vimeo.

Und diese Hoffnung wird auf "This Is All Yours" keineswegs enttäuscht: mit dem eigentlich "schwierigen zweiten Album", können alt-J erneut auf ganzer Linie punkten. Selbst die Tatsache, dass die Band gegenüber dem Vorgänger von einem Quartett auf ein Trio zusammen geschrumpft ist (nachdem ihr Bassist Gwil Sainsbury im Januar diesen Jahres das Handtuch warf), lassen sie sich nicht anmerken - stattdessen gibt es einfach ein hervor- und herausragendes Zweitwerk, das auf seine Weise kaum besser hätte werden können. Der Einstieg in die neue Platte besorgt auch sogleich ein Déja-Vu-Erlebnis: denn wie schon auf dem Debüt lässt der Opener, der ganz unscheinbar als "Intro" (♪♫♪) betitelt in das Album einführt, bei genauerer Betrachtung die Kinnlade des Hörers gewaltig zu Boden krachen. Hier zeigen sie erneut in wenigen Minuten gebündelt, was sie als Band ausmacht - wie sie mit im Grunde konventionellen Mitteln einen ganz eigenen und unnachahmlich unkonventionellen Sound kreieren. Ein Sound, der einfach anders ist. Ein komplexes Stück, welches u.a. aus hypnotisch rotierenden Lalala-Chören, schillernden Synthesizern, verzerrten  Gesängen und fernöstlich (?) veranlagten Klängen besteht. Direkt danach beginnt dann ein dreiteiliger Song-Syklus, der sich durch das gesamte Album zieht und ihm einen Hauch eines Konzeptwerks verleiht.  Angefangen mit "Arival in Nara" (♪♫♪), einer melancholischen Nummer, die verträumt und melancholisch auf Piano, sanften Gitarren und filigranen Streichern daher schwebt. Direkt danach folgt auch schon der zweite Part "Nara" (♪♫♪) - ein bisweilen zärtliches, aber gen Ende gar majestätisches Meisterstück, das zudem mit interessanten Lyrics ausgestattet ist. So singt Sänger Joe Newman schon zum Einstieg etwa die Zeilen: "Soon I'm gonna marry a man like no other / Light the fuse, hallelujah, hallelujah." Und eine ganze Weile später, dient der Abschluss dieses Zyklus auch als Abschluss des ganzen Albums: das hypnotische und kunstvolle, mit elektronischen Effekten angereicherte "Leaving Nara" (♪♫♪), stellt den Closer der Platte dar. 

alt-J - Left Hand Free (Director's Cut) from Pomp&Clout on Vimeo.

Doch dazwischen tummelt sich noch so viel mehr aufregendes und hochgradig verliebenswertes, dass auch hiervon manches nicht unerwähnt bleiben darf. So erweist sich etwa die aktuelle Single "Every Other Freckle" (♪♫♪) als famos bunter Indie-Pop-Hit auf höchstem Niveau,  in "Left Hands Free" geht es eine Ecke rockiger und spröder, wenngleich auch nicht minder mitreißend zu, "Choice Kingdom" (♪♫♪) brennt sich auf fast unmerkbare und behutsame Weise als eine sanfte und stille Indie-Kostbarkeit ins Unterbewusstsein, in der wunderbaren und warmen Folk-Perle "Warm Foothills" (♪♫♪) werden sie stetig abwechselnd von den Stimmen von Conor Oberst (Bright Eyes), Lianne La Havas, Marika Hackman und Sivu begleitet, und in "Blood Flood Pt.2" (♪♫♪) - dem Sequel des auf dem Debüt veröffentlichten "Blood Flood" - geben sie ein bedächtiges Stück Indiepop zum Besten, dass u.a. von majestätischen Bläsern untermalt wird. 

Nach dem kunstvollen und doch gleichzeitig auch erstaunlich massentauglichen Debüt, auf dem nahezu fast jeder Song als ein auf seine eigene Weise potentieller Hit heraus stach, gehen alt-J auf "This Is All Yours" teils neue, aber teils auch vertraute Wege - nur das hier manchmal der eine oder andere weitere Hördurchlauf nötig sein kann, ehe sich manche Höhepunkte in ganzer Pracht heraus schälen. Doch tut dies dem Hörgenuss keinen Abbruch, sondern erweitert stattdessen sachte die Klangdimensionen der Band. So ist "This Is All Yours" wohl die beste Platte geworden, die alt-J zu diesem Zeitpunkt hätten machen können. Und mit dem sie dem großen Erstling einen eigenständigen, inspirierten und würdigen Nachfolger gegenüber stellen, der diesem fast auf Augenhöhe begegnen kann.

Sonntag, 12. Oktober 2014

Besprochen: KELE - "TRICK"

Der Frontmann der britischen Indierocker Bloc Party machte ja nie einen Hehl daraus, dass sein Herz vor allem für die elektronische Musik schlägt - und spätestens mit seinem neuen und zweiten Soloalbum, können auch wir nur zu gut nachvollziehen, warum das so ist.

Wer musikalisch gerne im Dunstkreis junger britischer Indie-Rock-Bands oder vielleicht sogar der "Class of 2005" unterwegs ist oder war, der wird wohl nur schwer an Bloc Party vorbei gekommen sein. Quasi die Speerspitze der 2005 rollenden England-Welle, die mit zackigem, energiegeladenem und tanzbarem Indierock daher kam, der sich deutlich an Vorbildern wie Gang of Four orientierte - und mit "Silent Alarm" oder "A Weekend In The City" ein paar herausragende Alben vorlegen konnte. Doch Bloc Party waren nie bezeichnend für die Masse der Kollegen ihres Genres. Schon mit einem schwulen und schwarzen Frontmann und einem asiatischen Drummer können wohl nur wenige Indierock-Bands aufwarten. Doch auch musikalisch stachen sie auf ihre eigene Weise hervor. Vor allem auf Drängen ihres Frontmannes Kele Okereke, wandte sich die Band immer öfter elektronischen Experimenten zu - welcher ja nie damit geizte zu betonen, dass er ein ausgesprochener Liebhaber elektronischer Tanzmusik ist. Sein 2010er Solo-Debüt "The Boxer" nahm er dann logischerweise erst Recht zum Anlass, dieser Leidenschaft deutlich Ausdruck zu verleihen. Ein wirklich feine Elektro-Pop-Platte ist ihm damit gelungen, auch wenn viele Fans seiner Band sicherlich höchst verunsichert waren. Nach der mindestens ebenso gelungenen EP "The Hunter" im Jahr darauf und einer zwischenzeitlichen Renaissance seiner Band Bloc Party, hat Kele nun die Zeit für sein zweites Soloalbum "Trick" gefunden, das nun dieser Tage auf die Welt los gelassen wird. Vor allem nachdem das Comeback seiner Band wieder so straight rockig ausfiel, wie man dies seit den Tagen ihres Debüts nicht mehr kannte, bedeutet "Trick" für Kele ein Wiedersehen mit elektronischen Klängen. Und darin zeigt er sich auch weiterhin experimentierfreudig, aber künstlerisch dabei bedeutend gereifter. Auf "Trick" bietet er uns ein in sich geschlossen wirkendes Sound-Konzept, dass sich wie ein roter Faden durch die Platte zu ziehen scheint. Und darin macht sich auch schon der deutlichste Unterschied zum Debüt bemerkbar: "The Boxer" war wie ein buntes Potpourri der verschiedensten Ausprägungen elektronischer Musik. Mal klang das wie eine gezämte Björk, dann wieder schranzig und technoid und ein andern Mal stark pop-orientiert. Auf "Trick" hingegen weiß Kele seine Stärken besser zu bündeln und erschafft dabei einen eher getragenen, oft hörbar vom House geprägten Klangcharakter - ohne dabei aber gänzlich auf Tanzbarkeit verzichten zu müssen, die trotz alledem häufig genug gegeben ist. Kele umgeht einfach nur die Extreme: der Hörer wird ebenso wenig zum Schwenken von Feuerzeug und/oder Wunderkerze auf das Sofa verbannt, wie er auch nicht förmlich angeschrien wird, dass er gefälligst seinen Arsch hoch kriegen und tanzen soll. Es ist ein elektronisches Album mit Seele und Emotionen. Und mit - wie könnte es denn zum Glück bei Kele auch anders sein - einer Menge Pop-Appeal. 


Kele - Doubt von RealFailArmy

Und die Songs behandeln auch eine Art durchgehendes Konzept, werden hier doch die verschiedensten Stationen oder Facetten der Liebe besungen. Etwa angefangen im warmen und samtigen Opener "First Impressions" (♪♫♪), welches - wie unschwer am Titel zu erkennen ist - von den ersten, tiefen Eindrücken einer frischen Romanze kündet, während das getragene, soft triphopige und wundervolle "Coasting" (♪♫♪) die emotionale Euphorie einer jungen Liebe vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Disco-Besuches umschreibt. Die warme Elektro-Pop-Perle "Year Zero" (♪♫♪) markiert dann den Beginn einer neuen und großen Liebe - einer der es vollkommen gleichgültig ist, was zuvor war...ungeachtet all derer, die vor einem kamen, ungeachtet aller gebrochenen Herzen: "See I don't wanna know all the boys you've ever known / All the hearts you might've broken / It's zero, it's zero /This is our year zero." Das tanzbarere und  housige "Doubt" thematisiert (wie wieder einmal am Titel zu erkennen) die Zweifel, während das melancholisch veranlagte "Like We Used To" (♪♫♪) die schweren Zeiten und das langsame Zerbrechen einer Liebe symbolisiert. Und im großartigen und romantisch-sinnlichen "Stay The Night" (♪♫♪) widmet sich Kele ganz den Gefühlen des sexuellen Verlangens - auch auf unverbindliche Art und Weise, wenn es u.a. im Text so schön heißt: "See I don't wanna own you, but my door will always be open for you."

Mit "Trick" ist Kele ein erstaunlich rundes und schlüssiges Album gelungen, das sich mit seinen herrlichen Pop-Melodien und seinen experimentierfreudigen, aber nie überfordernden Elektronik-Sounds ganz wunderbar in die Ohren schmiegt - sich dabei aber dennoch nie im Wohlklang zu verzetteln droht. Was ja auch schon ein Kunststück für sich ist. Eine überaus gelungene Weiterentwicklung.

 

Mittwoch, 1. Oktober 2014

Besprochen: U2 - "SONGS OF INNOCENCE"

U2 haben sich mit ihrem neuen Album keinen allzu großen Gefallen getan - oder: wie eine einst legendäre Band emsig daran arbeitet, den eigenen Legendenstatus nachhaltig zu demontieren.

Es ist immer wieder das alte leidige Thema in der populären Musik: es gibt diese Musiker, die einfach schon längst den Zeitpunkt verpasst haben, an dem sie besser Schluss gemacht hätten. Natürlich kann, will und darf man keinem Musiker vorschreiben, wann er mit der Musik aufhören sollte - aber mit zum Teil jahrzehntelanger Dauerpräsenz in der Musikindustrie, katapultieren sich einige Musiker selbst in die künstlerische Belanglosigkeit. Jeder dort draußen kennt das wohl nur zu gut von den Rolling Stones - oder eben auch von U2! Denn auch diese arbeiten seit langem emsig daran, ihren eigenen Legendenstatus systematisch zu demontieren. Denn nachdem sich die Band eh schon seit längerer Zeit im qualvollen Mittelmaß austobte, hat sie sich auch mit ihrem neuen Album "Songs of Innocence" wahrhaft keinen großen Gefallen getan. Der Weg der Veröffentlichung, der durchaus Grund zur Kritik bietet, sollte ja mittlerweile weitläufig bekannt sein: quasi über Nacht und ohne Vorankündigung, wurde ihre neue Platte Anfang September exklusiv über iTunes veröffentlicht - als eine ganz besondere Kooperation mit Apple. Denn: jeder Nutzer von iTunes bekommt das Album geschenkt, bis es dann Mitte Oktober endgültig auch physisch veröffentlicht wird - egal ob er es nun haben will oder nicht. Wirtschaftlich betrachtet für beide beteiligten wohl zweifellos eine Win-Win-Situation. U2 soll von Apple dafür eine stattliche Summe von 100 Millionen Dollar bekommen haben, während für Apple natürlich viele potentielle neue iTunes-Kunden winken, die das Album auch kostenlos haben möchten. Doch ganz so einfach ist die Gleichung dann doch nicht - denn ziemlich schnell wurden Apple wie auch U2 mit Kritik, Hohn und Spott überzogen. 
Zum einen waren Nutzer von Apples Online-Plattform iTunes verärgert. Denn nachdem diese plötzlich ungefragt das neue Album von U2 in ihrer Medienbibliothek fanden, ließ sich dieses noch nicht einmal löschen. Erst nach zahlreichen Beschwerden musste Apple reagieren und stellte daraufhin auch endlich die Möglichkeit zu Verfügung, dass unerwünschte Album wieder entfernen zu können. Doch vor allem U2 selbst können sich seit Beginn der Aktion vor Kritik nicht mehr retten - egal ob von Hörern, Musikindustrie oder Musikerkollegen: der für die Band lukrative Schachzug kam bei vielen gar nicht gut an. So ätzte auch Sharon Osborne via Twitter, dass U2 keine Musiker mehr seien, sondern Business-Module. So sei es doch kein Wunder, dass die Band ihre mittelmäßige Musik verschenken müsse - weil kaufen wolle diese doch eh kaum jemand. Und da hat die Dame  - zumindest aus meiner Sicht - gar nicht mal so unrecht. Denn es scheint vollkommen unrealistisch, dass die Band mit dem Album auf klassischem Wege einen derartigen wirtschaftlichen Erfolg eingefahren hätte.
Denn trotz der Beteiligung fähiger und erfolgreich hiterprobter Produzenten wie Danger Mouse (Gorillaz, The Black Keys, Gnarls Barkley), Paul Epworth (Bloc Party, Adele, Florence & The Machine) oder Ryan Tedder (One Republic, Beyoncé, Leona Lewis), hat "Songs of Innocence" doch nur sehr überschaubare künstlerische Qualitäten zu bieten.  



Sie hätten den Weg dieser ungewöhnlichen Veröffentlichung ja ohne weiteres dafür nutzen können, etwas experimentierfreudiger zu Werke zu gehen, etwas anderes zu wagen und soundäthetisch neue Wege zu beschreiten - ein wirtschaftlicher Misserfolg wäre bei dieser Kooperation ja eh ausgeschlossen gewesen und U2 hätten wieder künstlerisch Boden gut machen können. Stattdessen scheinen sie auf selbigem fest zu kleben und liefern dem Hörer mit "Songs of Innocence" ein paar weitere gute Gründe, die Band auch weiterhin irgendwie nervig zu finden. Etwa schon die ewigen "Oooh-ooh-ooh"-Chöre und die eine ganze Ecke zu kramphaft gewollt "bratzig" klingenden Gitarren im Opener "The Miracle (of Joey Ramone)", dem man ja Dank des Einsatzes im aktuellen Apple-Werbespot nicht entfliehen kann. Eine noch schwierigere Nummer kredenzen sie uns dann aber mit "Raised By Wolves" (♪♫♪), dessen Produktion von Danger Mouse zwar in Ordnung geht (auch wenn man ihn ums Verrecken nicht heraus hört), aber das obligatorische Gejodel Bono's im eine Spur zu überdrehten Refrain lässt einen zweifeln, ob man das einfach nur nervig oder eben total egal finden soll. Die besseren, wenngleich auch nicht zwangsläufig spektakuläreren Momente, erreichen sie dann bei Songs wie dem melodischen und etwas ruhiger veranlagten "Song For Someone" (♪♫♪), dem durchaus netten und stellenweise soft angerauten "Cedarwood Road" (♪♫♪), oder vor allem anderen im melancholisch eingefärbten "The Troubles" (♪♫♪), in dem auch die wunderbare Lykke Li mit von der Partie ist.

Der Rest bleibt dann vorwiegend einfach nur der Rest - und der spielt sich meist genau da ab, wo sich U2 seit geraumer Zeit so wohl zu fühlen scheinen, wie Fische im Wasser: dem Mittelmaß. Als Hintergrundbeschallung im Friseursalon (erfolgreich im Selbstversuch getestet!) oder der Starbucks-Filiale ihres Vertrauens, geht "Songs of Innocence" sicherlich ohne weiteres durch. Aber das galt ja auch für jedes beliebige Album von Norah Jones  - nur mit dem Unterschied, dass Danger Mouse es geschafft hat, aus Jones tatsächlich mal ein wirklich fabelhaftes Album heraus zu kitzeln (das unerwartet wundervolle "Little Broken Hearts" aus dem Jahr 2012). Bei U2 hat aber nicht einmal er noch etwas ausrichten können. Und das macht die ganze Geschichte noch etwas tragischer, als sie ohnehin schon ist...