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Samstag, 30. Juni 2012

Inselplatten: RADIOHEAD - "HAIL TO THE THIEF" (2003)

Auf dem 6. Album von Radiohead hörte man eine Band, die stetig weiter voran in Richtung Zukunft schritt - und doch immer wieder über die Schulter auf den Weg zurück blickte, der bereits hinter ihnen lag. Mit anderen Worten: ein Kunstwerk.


2003 war die Situation für Radiohead im Grunde genommen gar nicht so leicht. Um das zu verstehen, betrachten wir einmal ihren musikalischen Werdegang, der diesem Jahr voraus ging. 1997 schufen sie mit ihrem 3. Album "OK Computer" ein Jahrhundert-Album, pflanzten ein Meilenstein an den Wegesrand der Rockgeschichte und schrieben mit ihm auch selbige. Das die Band in dieser Form nicht mehr möglich war, ohne kreativ dem Ausverkauf zum Opfer zu fallen, war glücklicherweise ihen selbst allzu klar. Und so geschah das nahezu unfassbare: mit dem 2000er Nachfolger "Kid A" häutete sich die Band und gab ein völlig neues Antlitz frei - es wurde ein verschachteltes, experimentelles Elektro-Art-Pop-Meisterstück, dass es dem Hörer nicht leicht machen sollte. Und so schufen sie das wohl beste Album des gesamten noch kommenden Jahrzehnts. Aber doch gelang ihnen noch erstaunliches. So etwa mit dem darauf folgenden Album , das oft als Fortsetzung von "Kid A" angesehen wird: denn "Amnesiac" erschien nur wenige Monate später im Jahr 2001, und bestand aus Stücken, die in derselben Session wie sein Vogänger entstanden. Und doch wurde ein eigenständiges und grandioses Werk daraus, dass die exzentrische Eigensinnigkeit seines Vorgängers erbte und auf gleiche fabelhafte, aber dennoch ganz  eigene Weise in Form goss. Und das ist eine Leistung, die wohl in der jüngeren Musikgeschichte keinem anderen gelang. Ein schweres Erbe, dass sie sich selbst auferlegten - die Erwartungshaltungen schienen gewaltig. Doch Radiohead wären nicht Radiohead, würden sie auf selbige nicht pfeifen, und stattdessen ihre eigene künstlerische Vision in Klänge bannen. Und das vollbrachten sie auch mit dem nächsten Album: "Hail To The Thief" - aus dem Jahr 2003. Und schon der politische Charakter des Albumtitels erregte Aufsehen, welcher den Protest-Slogan darstellt, der von Anti-Bush-Aktivisten  im Jahr 2000 genutzt wurde, in Anspielung auf die dubiosen Umstände, die zur Wahl George W. Bush's zum Präsidenten der USA führten....was eines der düstersten Kapitel der jüngeren US-Geschichte einläuten sollte. So ist "Hail To The Thief" zum Teil unter den Eindrücken des Afghanistankrieges entstanden, und wurde in den jungen Irak-Krieg hinein geboren. Und ebenso düster sollte auch klingen, was Thom Yorke & Co. hier zusammen trugen.  Wie auf seinen Vorgängern zeigten die Briten auch auf ihrem 6. Album einen Hang zur experimentierfreudigen und verstörenden Elektronik. Und doch sollte "Hail To The Thief" ihr bis dato vielseitigstes Album werden, dessen zum Teil enorm gegensätzliche Bausteine am Ende eine einzige mächtige Klangkathedrale ergeben, die sich hoch hinauf in den schwarzen Nachthimmel bohrt. Soundtechnisch finden sie hier eine Art Mittelweg zwischen spröderen und rockigeren  Klängen der 90er,  und den synthetischen Klangexpiditionen der 00er-Jahre....und hauchen dem wiedermal so viel Eigenleben ein, dass Vergleiche schließlich völlig sinnlos erscheinen. Schon der erste Vorbote des Albums, das grandiose "There There", verquickte auf vortrefflich Art und Weise Melodik mit Abstraktion, zu einer eindringlichen Art-Rock-Perle.


Radiohead - There There von samithemenace 

Eine wesentlich rockigere Einstimmung, als man die Jahre zuvor von ihnen gewöhnt war. Und mit einer ähnlichen, ja noch widerborstig rockenderen Nummer, startet man auch sogleich in das Album: der Opener "2+2=5" (♪♫♪) pirscht sich langsam aber beständig heran, ehe plötzlich ein nahezu Zähne fletschendes Art-Rock-Ungeheuer aus der Kiste springt. Großartig und zugleich ein wenig paranoid geht es dann weiter, wenn "Sit Down. Stand Up." (♪♫♪) auf schwebenden Klangteppichen daher gleitet, und sich plötzlich in einen Strudel aus wild kreiselnden TripHop-Beats stürzt.  "Go To Sleep" (♪♫♪) entflieht in folklige, erdigere und ein klein wenig freundlichere Gefilde, ehe sich über dem von hypnotisch ungeraden Beats untermalten "Where I End And You Begin" (♪♫♪), erneut dichte graue Wolken zusammen brauen. "We Suck Young Blood" eröffnet sich dem Hörer als berückende und atmosphärische Schauerballade, "The Gloaming" (♪♫♪) bringt eine geisterhafte Art-Pop-Perle zum Vorschein, und mit "Myxomatosis" (♪♫♪) tauchen sie in nahezu verstörende Abgründe hinab. Die überirdische, melancholische Ballade "Sail To The Moon" erstrahlt dann in dunklen, aber prachtvollen Farben, und lässt eine nahe Verwandtschaft zum "Pyramid Song" erkennen.


Radiohead - Sail to the Moon von industrialbirds

Mit "Scatterbrain" (♪♫♪) entlocken sie sich eine schwüle und schwermütige Ballade die an Zeiten von "OK Computer" erinnert, und das Finale bestreitet "A Wolf At The Door" (♪♫♪) als soft orgelnde Indie-Perle, die einen beinah mit einer versöhnlicheren Stimmung aus dem Album entlässt. "Hail To The Thief" gehört aber wohl auch zu den am meisten unterschätzten Werken der Band, trotzdem es schon seinerzeit von Kritikern zum Teil umfeiert wurde. Doch wem sollte man das übel nehmen? An dem Punkt, an dem Radiohead sich hier befanden, machen die meisten Musik spätestens schlapp - wenn nicht bereits schon früher. Und wer seinen Backkatalog bereits mit solchen musikalischen Kostbarkeiten füllte wie Radiohead, der hat es besonders schwer, an die alten Leistungen anzuknüpfen. Aber auch nach 9 Jahren ist "Hail To The Thief" noch immer eine unverändert herausragende Platte, die perfekt den Geist seiner Zeit einfing - und ihm gleichzeitig weit voraus war. Hier hören wir quasi eine Band, die stetig weiter voran in Richtung Zukunft schreitet, und doch immer wieder über die Schulter auf den Weg zurück blickt, der bereits hinter ihnen liegt. 


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