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Sonntag, 8. November 2015

Besprochen: JOANNA NEWSOM - "DIVERS"

Nach einer halben Dekade der Abwesenheit ist die wunderbare Joanna Newsom endlich zurück - und hat mit ihrem vierten Album "Divers" ein erhabenes und fesselndes Meisterwerk im Gepäck, das ihren bisher eh schon beeindruckenden Backkatalog noch weit zu überstrahlen vermag.

Wie wohl so manch eine Kunstform neben ihr, kann Musik oft sehr unterschiedliche Wirkungen beim Hörer erzeugen - kann aber eben auch sehr verschiedene Anforderungen an ihn stellen. Manchmal ist sie vor allem zur Unterhaltung gedacht, ist ganz dem Massengeschmack angepasst, soll sich gut verkaufen und kann sich an Hits und Chartrekorden bemessen lassen. Kann dabei aber natürlich dennoch begeistern. Und doch unterscheidet sich solche Musik sehr von einer anderen Ausprägungsform - von eben der, die sich vor allem als Kunst begreift. Die mit manchmal gewagten oder von aktuellen Trends unabhängigen Mitteln arbeitet, welche die Grenzen gängiger Songstrukturen überwindet und auch musikalisch wie lyrisch anspruchsvollere Wege geht. Die sich nicht danach bewerten lässt, wie viele potentielle Hits sie hervorzubringen vermag, wie oft sie im Radio gespielt oder wie häufig sie bei Streamingportalen geklickt wird. Sie will und kann vielleicht am besten auf einer emotionalen Ebene funktionieren. Und wer sich in den vergangenen 10 Jahren ihrer bisher andauernden Karriere mit der amerikanischen Singer/Songwriterin Joanna Newsom befasst hat, der weiß wohl nur zu gut, warum dabei nun ihr Name fast schon zwangsläufig ins Spiel kommen muss. Denn das die 33jährige alles andere als eine gewöhnliche Künstlerin ist, hat sie in der Vergangenheit oft genug unter Beweis gestellt. Dabei durchstreifte sie bislang vor allem die Weiten der Folk-Gefilde - das aber auf ihre ganz eigene (wunderbare) Weise: verspielt und avantgardistisch, begleitet von Streichern, Pianos, Bläsern und vielen, vielen Harfen, sowie durchsetzt von nicht selten popigen, häufig auch barocken und vor allem in früheren Tagen manchmal auch polyrhythmischen Elementen. Dabei erschafft Joanna Newsom immer wieder ganz große Kunst, die aber manch einen auch vor Herausforderungen stellen kann. So bot etwa ihr zweites Album "Ys" (2006) eine knappe Stunde Musik, verteilt auf nur 5 (dementsprechend lange) Songs, wohingegen der Nachfolger "Have One On Me" (2010) als 3-fach-Album mit 18 Songs  sogar die 2-Stunden-Marke knackte. Doch sie hat uns eine Menge Zeit gelassen, um diesen wahrhaftigen (wenngleich auch ziemlich fantastischen) Brocken von einem Album zu verdauen - denn 5 Jahre ist es inzwischen schon her, das wir zuletzt neue Musik von Joanna Newsom zu hören bekamen. Doch in diesem Sommer schickte sie den ersten Vorboten ihres vierten Albums mit der wunderbaren Single "Sapokanikan" in die Welt: eine verspielte und optimistisch tänzelnde Folk-Nummer, die aber auch ihre nachdenklichen, schwelgerischen und gar feierlichen Momente hat.


Konnte diese Perle doch schon recht hohe Erwartungen an das kommende Album stellen, so wurden diese mit "Divers" nun aber weit übertroffen. Und das liegt nur zum Teil an der Tatsache, dass sie hier zum ersten Mal seit ihrem Debüt "The Milk-Eyed Mender" (2004) wieder in gewohnte Album-Formen zurück kehrt: mit einer knappen Stunde Musik auf 11 Songs kriegt auch der nicht an ihre Kunst gewohnte Hörer in puncto Quantität etwa das, was er gemeinhin von einem Album erwartet. Das mag das Gesamtwerk vielleicht etwas zugänglicher machen, weil die Geduld eines manchen nicht mit diversen Überlängen strapaziert werden kann. Aber das sind eher Fußnoten. Es sind vor allem ganz die Songs an sich, die hier den besonderen Reiz ausmachen - und die irgendwie noch farbenprächtiger, noch experimentierfreudiger und zugleich auch noch greifbarer ausfallen, als wohl fast alles, was die Dame bisher gemacht hat. Schon "Anecdotes" (♪♫♪) lädt als warmer und blumig-melodischer Opener in das Album ein, der stimmungsvoll von Flöten, Piano, Bläsern, Harfen und Streichern untermalt wird. Es blitzen hier auch immer wieder Erinnerung an die Kunst einer Kate Bush auf - was auf dem gesamten Album irgendwie immer wieder unterschwellig zu spüren ist, aber im großartigen "Leaving The City" (♪♫♪) meiner Meinung nach besonders zur Geltung kommt, welches deutlich von Harfen geprägt ist und im Refrain gar mitreißende Formen annimmt. Das wunderbar melodische "Goose Eggs" (♪♫♪) kombiniert auf gelungene Art popige und psychedelisch-barocke Elemente, lässt aber auch Einflüsse erkennen, die mich an Soul oder Country denken lassen. Mit dem Titelsong "Divers" bietet sie uns einen sanften, verträumten und nachdenklichen 7-Minuten-Epos, der mit relativ wenig Aufwand eine enorm einnehmende Atmosphäre entwickelt. Ganz groß ist auch "You Will Not Take My Heart Alive" (♪♫♪), welches anfangs vor allem von Harfen begleitet wird und romantisch barocke Züge annehmen kann, bis dann beim krönenden Höhepunkt sanfte und schillernde, aber dennoch einprägsame Synthesizer durch den Song schweben. Oder etwa auch die wundervolle, nachdenkliche und schon fast philosophisch anmutende Ballade "Time, As a Symptom" (♪♫♪), die anfangs nur von einem Piano und zunehmend von Vogelgesängen begleitet wird, aber in seinem weiteren Verlauf zu einer fast epischen Hymne heranwächst, zu der sich etwa noch Bläser, Streicher und Flöten hinzu gesellen.



Doch wer versucht, auf Anhieb aus all dem schlau zu werden, was während der Spieldauer des Albums so alles passiert, der wird wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit kläglich daran scheitern. Denn "Divers" ist ein Album, das eher unzählige Fragen aufwirft, anstatt sie zu beantworten. Es ist wie eine facettenreiche und atemberaubende Reise durch eine von ihr eigens erschaffene Märchenwelt, voll verschlungener und bunt bewachsener Pfade, die  einen immer tiefer in ihr musikalisches Labyrinth führen - in dem aber nur ihre ganz eigenen Regeln existieren. Man muss mir hier solche leicht schwülstigen Metaphern verzeihen - doch wer erst einmal der zauberhaften Magie von "Divers" ebenso verfallen ist, der kann vielleicht nachempfinden, wie Joanna Newsom es schafft, einem derartige Bilder vorm inneren Auge herum tanzen zu lassen. Man möchte ja am liebsten schon ganz tief in die verbale Kitschkiste greifen und es mit einer fast schon "spirituellen" Erfahrung vergleichen - auch wenn ich derartige Umschreibungen sonst eher verabscheue. Doch wie bereits erwähnt: diese Musik kann vor allem auf emotionaler Ebene am besten funktionieren. Denn trotzdem es hier zunehmend eine Spur eingängiger zugeht, als auf den vorangegangenen Platten der Newsom, so ist "Divers" dennoch kein Album, das man auflegt, weil man gerade eine nette Hintergrunduntermalung beim Staubwischen braucht. Mit einem edlen Wein mixt man ja schließlich ebenso wenig eine Sangria, so wie man auch kein kunstvolles Gemälde dazu verwenden würde, um die Abstellkammer optisch aufzuwerten. "Divers" braucht Aufmerksamkeit und Zeit, um all seine Facetten entfalten zu können. Doch dafür wird man auch reich belohnt: mit einem erhabenen, zauberhaften und zeitlosen Meisterwerk - und dem besten Album, das man von Joanna Newsom bisher zu hören bekam. Das es zudem auch jetzt schon definitiv zu den besten Alben des Jahres zu zählen ist, erklärt sich dabei wohl von selbst.





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