Lang lebe die Königin: statt abzudanken, wie es zuletzt erst wieder böse Zungen forderten,
zeigt sich Madonna auf ihrem neuen Album "Madame X" so
kreativ und ambitioniert, wie schon lange nicht mehr.
Das die Medien doch mitunter ziemlich unberechenbar sein können, ist eine Lektion, die Madonna in ihrer Karriere wohl so gut gelernt hat, wie kaum ein Weltstar neben ihr: im einen Moment noch als Königin verehrt, und im nächsten dann schon als Hexe auf dem medialen Scheiterhaufen verbrannt. Das darf Madonna in ihrer Karriere ja regelmäßig erfahren. In den letzten Jahren ist vor allem ihr Alter ein Lieblingsthema, auf dem regelmäßig herum gehackt wird. Oder alternativ wird von den Medien dann eben ihr stimmlich nicht so geglückter Live-Auftritt beim ESC in diesem Jahr zum Anlass genommen, ihre fast 40jährige Weltkarriere für beendet zu erklären. Immer mehr Menschen wie Medien rüttelten und sägten in den vergangenen Jahren, Monaten und Wochen emsig an ihrem Thron - doch da hatten sie die Rechnung ohne die Queen of Pop gemacht. Ein Titel, den sie sich hart erarbeitet und redlich verdient hat. Denn nur zur Erinnerung: Madonna ist nun mal kein Pop-Püppchen aus der Retorte, die sich ihre Hits von professionellen Songschreibern liefern lässt, und am kreativen Prozess praktisch unbeteiligt ist. Madonna ist Musikerin, Songwriterin, Produzentin...Künstlerin! Sie wurde nicht durch die elitäre Disney-Maschinerie gejagt, und/oder als von Label und Produzenten fremdgesteuertes Pop-Produkt vermarktet. Madonnas Karriere begann, als sie mit selbst aufgenommenen Demo-Tapes durch die Clubs des New York der frühen 80er tingelte, um DJs auf sich aufmerksam zu machen - und setzte sich zumeist damit fort, dass sie mit seinerzeit unbekannten Underground-Musikern als Co-Produzenten ins Studio ging, um neue Sounds zu kreieren. Und damit wurde sie mit über 300 Mio. verkauften Platten zur bis dato erfolgreichsten Musikerin aller Zeiten! zeigt sich Madonna auf ihrem neuen Album "Madame X" so
kreativ und ambitioniert, wie schon lange nicht mehr.
Doch das Madonna eine Musikern mit einer eigenen Vision ist, die Grenzen gesprengt, mit Konventionen gebrochen, und ganze Generationen geprägt und inspiriert hat, sollte sie in ihrer fast 40jährigen Karriere wohl zur Genüge bewiesen haben. Auch wenn viel zu viele Leute da draußen dies immer wieder zu vergessen scheinen, wollen sie Madonna doch am liebsten aus einer Pop-Welt verbannt sehen, die in dieser Form ohne sie vollkommen undenkbar wäre. Aber, hey: spätestens wenn Madonna irgendwann nicht mehr unter uns weilen sollte (was hoffentlich in noch ferner Zukunft liegt), wird es ihnen allen plötzlich wieder einfallen. Und dann werden sie überschwänglich lamentieren und gebetsmühlenartig Lobeshymnen auf Madonna anstimmen, wo sie heute nur Häme und Spott für sie übrig haben. Doch vor allem nachdem in den letzten Jahre so viele Größen wie u.a. Michael Jackson, David Bowie, Whitney Houston oder Prince von uns gegangen sind, sollten wir vielleicht allmählich mal damit anfangen, unsere verbleibenden Helden zu feiern, solange sie noch unter uns weilen. Und dafür hat uns Madonna mit ihrem neuen und 14. Studioalbum "Madame X" auch einen weiteren, geradezu perfekten Anlass gegeben: denn all denen, die kürzlich noch großspurig ihr Ende prophezeiten, antwortet sie hier mit einem der besten Alben ihrer Karriere! So kreativ und wagemutig, so inspiriert, experimentierfreudig und relevant wie hier, hat man die Queen of Pop schon seit "Ray of Light" oder "Music" nicht mehr erlebt. Dabei folgt das Album auch einem übergeordneten Thema oder Konzept. "Madame X" (was auf einen Spitznamen zurückgeht, den sie als junge Frau von ihrer einstigen Tanzlehrerin, der legendären Martha Graham, bekam) ist hier ihr neuestes Alter Ego: eine Geheimagentin, die ihre Identitäten wechselt, für die Freiheit kämpft und Licht an dunkle Orte bringt.
Inspiriert durch die vielseitige und lebendige Musikszene ihrer neuen Wahlheimat Portugal, zeigt das neue Album eine recht breite und bunte Soundvielfalt - weshalb man musikalisch nur indirekt von einem spürbaren roten Faden sprechen kann. Aber neben dem thematischen Konzept, wird es vor allem durch seine allgemeine Grundstimmung, sein Detailreichtum, seinen authentischen Sound, und seine Experimentierfreude wunderbar als geschlossenes Werk zusammen gehalten. Nicht unschuldig daran ist aber wohl auch der Produzent Mirwais, der sie einst schon auf "Music" und "American Life" betreute, und ihr auch bei den meisten Songs von "Madame X" erneut unter die Arme griff. Und ein weiteres recht dominantes Element auf dem Album, sind die Latino-Einflüsse, die schon durch die erste Single "Meddelín" im Duett mit Maluma angekündigt wurden: ein fabelhafter Latin-Pop-Ohrfänger mit Reggaeton- und Dance-Einflüssen, sowie mit hier und da ein wenig "Cha-cha-cha", oder einem lasziv-erotisch dahin gehauchten "Slow down, papi". Sowas darf man zukünftig dann auch gerne als einen Klassiker der Queen of Pop betiteln. Und diese Einflüsse ziehen sich auf verschiedenste Weise durch viele Stücke des neuen Albums. Zum Beispiel durch das wunderbare und minimalistische "Killers Who Are Partying" (♪♫♪): ein von zärtlichen Akustikgitarren, elektronischen Beats und teils portugiesischen Lyrics begleiteter Song, in dem sie sich mit den Unterdrückten dieser Welt solidarisiert: "I will be gay, if the gay are burned / I will be Africa, if Africa is shut down / (...) I will be Islam, if Islam is hated / I will be Israel, if they're incarcerated." Oder durch solche mitreißenden und sehr authentisch anmutenden Latin-Pop-Ohrwürmer wie "Faz Gostoso" (feat. Anitta, ♪♫♪) und "Bitch I'm Loca" (feat. Maliuma, ♪♫♪), sowie auch durch das melodisch warme und mit Akkordeon-Klängen gewürzte "Crazy" (♪♫♪), welche streckenweise auch auf portugiesisch/spanisch gesungen sind.
Doch es gibt hier auch so manch überraschende Momente zu bestaunen, während es stilistisch mitunter rund um die Welt geht. Das machte vorab ja schon die sehr schöne, von Trap und Pop geprägte zweite Single "Crave" feat. Swae Lee (♪♫♪) deutlich, ebenso wie auch die mit Raggae-Fusion-Klängen und Gastvocals von Quavo bestückte Promo-Single "Future" (♪♫♪). Doch da gäbe es etwa auch noch das fabelhafte "Dark Ballet", das inhaltlich Bezug zu Jeanne d'Arc nimmt, aber darüber hinaus aufhört ein Song zu sein, und stattdessen zum abstrakten Pop-Kunstwerk mutiert: geht es anfangs noch als Piano-Ballade los, in der Madonnas Gesang zunehmend mit Beats und Streichern begleitet wird, rast plötzlich ein hastendes Piano-Solo quer durch den Song, dem dann auch bald ein elektronischer "Nussknacker" mit extrem verzerrtem Gesang und Spoken-Word-Passagen folgt. Mit anderen Worten: ein popmusikalischer Hochgenuss!
Einer der weiteren besonderen Momente des Album birgt das fantastische "God Control": erst beginnt es als schwermütige, zunehmend von bedächtigen Kinderchören dominierte Ballade, nur um dann urplötzlich zu einer grandiosen Disco-Hymne als Weckruf an die Demokratie auszubrechen: "Everybody knows the damn truth / Our nation lied, we lost respect / When we wake up, what can we do? / (...) This is your wake-up call / I'm like your nightmare / I'm here to start your day / This is your wake-up call / We don't have to fall / A new democracy / God and pornography / A new democracy." Und das Musikvideo dazu zeigt sich als leidenschaftliches, und teils gar verstörendes Plädoyer gegen Schusswaffengewalt - was ihr sicherlich nicht nur Freunde einbringen wird, und schon kurz nach seinem Release eine Menge Kritiker und Hater auf den Plan rief. Aber Madonna wäre eben nicht Madonna, wenn sie nicht drauf pfeifen, dem Sturm der Empörung trotzen, und damit ganz sie selbst bleiben würde.
Ebenfalls sehr beachtenswert ist das grandios produzierte, soft elektronische und atmosphärische "Batuka" (♪♫♪), das von Trommel-Beats, Handclaps, Synthesizern, und fantastischen Gesängen des (auch wenn es eher an afrikanische Klänge erinnern mag) portugiesischen Batukadeiras Orchestra untermalt wird - und eine nahezu hypnotische Wirkung zu entfalten vermag. Inhaltlich kann man es als einen Appell an die Menschen verstehen, gemeinsam den langen und beschwerlichen Weg zu einer besseren Welt zu gehen: "It's a long way / It's a long day / Lord have mercy / Things have got to change / There's a storm ahead / I hear the wind blowing / Will we win this race?" Wobei hier vor allem eine Textzeile auffällt, die doch recht starke und orangehäutige Assoziationen wachruft: "I was up all night / I said a little prayer / Get that old man / Put him in a jail / Where he can't stop us / Where he can't hurt us." Und nicht minder hervorragend ist auch das Pop-Meisterstück " I Don't Search I Find" (♪♫♪), welches vor allem durch seine schwebenden Streicher und House-Elemente an ihre "Vogue"- und "Erotica"-Ära der frühen 90er Jahre erinnert, sowie das nachdenkliche und elektronisch-atmosphärische "I Rise" (♪♫♪), in der auch Emma González, eine berühmte Überlebende des Schulmassakers von Parkland im Jahr 2018, zu hören ist.
"Madame X" mag freilich nicht das durch und durch von Latin-Pop beeinflusste, oder stilistisch wie aus einem Guss wirkende Album geworden sein, dass sich viele davon erhofft hatten. Doch hat man sich im Zweifelsfall erst einmal in die Platte hinein gehört, und ein wenig unter die Oberfläche geschaut, funktioniert es auch in seiner Gesamtwirkung hervorragend. So hat sie nicht nur versucht, die vielen musikalischen Strömungen ihrer neuen Heimat auf einem Album einzufangen. Indem sie sich vieler polit- und sozialkritischer Themen bedient, und die Missstände in der Welt an den Pranger stellt, zeigt sich dabei auch so politisch, wie zuletzt auf der schändlich unterschätzten Perle "American Life" aus dem Jahr 2003. Und somit hat sie praktisch aus den verschiedensten internationalen Musikstilen ein auf den Punkt produziertes und inhaltlich enorm relevantes (World-Music-) Album destilliert, das weder mit wunderbaren Melodien, noch mit herrlich bizarren und experimentellen Momenten geizt. Wenn man will, kann man das alles natürlich auch ganz verwirrend, eigenartig und durcheinander finden. Doch ebenso kann man hier auch eines der besten Alben in Madonnas bisheriger Karriere entdecken.
Toll geschrieben...auf den Punkt gebracht;-)
AntwortenLöschenVielen Dank. Das freut mich sehr zu hören! :)
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